Danièle Delorme in Julien Duviviers "Der Engel, der ein Teufel war"

Foto: Österreichisches Filmmuseum

Wien – Unter den niedrigen Motiven hat die Habgier einen besonders schlechten Ruf. Wer aus materiellen Gründen ein Verbrechen begeht, geht gleichsam noch unter Niveau. Dabei ist die Habgier, so wie alle anderen Untugenden, eine komplizierte Angelegenheit und hängt wesentlich von dem ab, was andere haben und was das Leben so bietet.

Der französische Filmklassiker Le roman d'un tricheur (Roman eines Schwindlers, 1936) von Sacha Guitry verbindet das Interesse an der Bereicherung mit einem erlernten Sinn für Gelegenheiten: Man darf das Leben nicht zwingen wollen, es fügt sich geschmeidiger dem Opportunisten – reich wird, wer sich flexibel zeigt. Der Held wird durch eine besondere Ironie des Lebens auf seine Rolle vorbereitet: Wegen einer Kinderei wird er vom Abendessen ausgeschlossen, die elf anderen Mitglieder der Familie lassen sich die Schwammerln schmecken und sterben an einer Vergiftung. Wer solcherart aufgespart wird, muss aus seinem Leben etwas machen. Es muss reichen für einen Roman.

Und genau das erzählt Guitry dann auch: die Geschichte eines Mannes, der seine Geschichte in ein Buch schreibt, nachdem wir zuerst schon von der Stimme des Regisseurs in den Film hineingeführt wurden – durch das Filmstudio hindurch, alle Abteilungen werden besichtigt, und derjenige, der das alles zusammenhält, ist auch so etwas wie ein Geschmeidigkeitskünstler. Sacha Guitry, eine legendäre Figur des französischen Kinos, lange umstritten wegen seiner Rolle während der deutschen Okkupation, spielt hier mit dem Medium selbst, sein Film funktioniert wie ein Kartentrick, ein Stummfilm, der einen Roman enthält, hinter dem sich ein modernes Meisterwerk versteckt.

Jahre des Aufschwungs

Man könnte über Le roman d'un tricheur allein lange Texte schreiben, aber das Österreichische Filmmuseum stellt ihn in den kommenden Wochen in den Kontext einer Retrospektive zum französischen Kriminalfilm zwischen 1930 und 1960: Noir/Polar, so der Titel, ist ein würdiger Auftakt für die neue Saison, ein reiches und vielschichtiges Programm, das in seinen inneren Verzweigungen an die Präzision erinnert, mit der das italienische Nationalkino im Filmmuseum aus den geläufigen Meistererzählungen erlöst wurde. Historisch geht es um jene 30 Jahre, die den "trente glorieuses" (nicht vollständig) vorausgingen, den Jahren des Aufschwungs nach dem Krieg. Noir/Polar schiebt sich wie ein eingezogener Schieferspan in diese Erfolgsgeschichte und zeigt, welchen riesigen Sprung Frankreich nach 1945 zu machen hatte.

Die ersten paar Minuten von Goupi mains rouges (Eine fatale Familie, 1943) von Jacques Becker machen deutlich, wie sehr das ländliche Frankreich zu diesem Zeitpunkt noch in Traditionen der "langen Dauer" verhaftet war: Der Strom wird nur auf Bestellung eingeschaltet, und der Typ aus dem "fernen" Paris macht sich schon durch Anzug und Schnurrbart verdächtig. Goupi mains rouges ist ein schönes Beispiel für die Architektur dieser Retrospektive: Von Jacques Becker kennt man am ehesten Casque d'or (Goldhelm, 1952), der auch läuft, daneben ist dieses ländliche Sittenbild einer komplizierten Familie eine echte Entdeckung, auch für die Geschichte des "poetisch realistischen" Film noir.

Ein hässlich-herrliches Land

Ähnlich wie mit den individuellen Autorenpolitiken der Regisseure (Guitry betont das "moi-meme", das "ich selbst" seiner Arbeit ausdrücklich) verhält es sich in Polar/Noir mit den Hierarchien der Namen: Sie werden aufgehoben, neben Marcel Carné gilt Henri Decoin genauso viel, und man kann Maurice Tourneur oder Pierre Chenal als genuine Meister erkennen.

Filmgeschichte existiert nicht anders als im Modus permanenter Revision, und wenn man zuletzt das mit Deutschland kollaborierende Frankreich unter Pétain in Farbfotografien oder anderen Medien neu sehen lernte, dann könnte man mit Noir/Polar auch feststellen, dass alles immer schon da und sichtbar war: Frankreich, ein hässliches, herrliches Land, das sich in seinen Monstren wie Michel Simon spiegelte und in vielen großen Filmen den Mut hatte, sich nicht zu idealisieren. Das ergibt aus heutiger Sicht eine "schwarze Serie", die aller Ehren und zahlreichen Besuch im Filmmuseum wert ist. (Bert Rebhandl, 30.8.2015)