Oliver Sacks (hier auf einem Archivfoto 2002) wurde durch die Verfilmung seines Buchs "Zeit des Erwachens" weltbekannt.

Foto: Imago/Leemage

New York / Wien – "Mein vorherrschendes Gefühl ist das der Dankbarkeit. Ich habe geliebt und bin geliebt worden, mir wurde viel gegeben, und ich habe etwas zurückgegeben. Ich habe gelesen und bin gereist, ich habe gedacht und geschrieben." Diese Zeilen standen am Ende eines kurzen Essays, den Oliver Sacks am 19. Februar dieses Jahres in der New York Times publizierte.

Der weltberühmte britisch-amerikanische Neurologe, Psychiater und Schriftsteller machte damals in bewegenden Worten öffentlich, dass er in wenigen Monaten an den Folgen einer seltenen Krebserkrankung sterben werde. Und obwohl der Mediziner Sacks aufgrund seines Berufs ständig mit Krankheit und Sterben zu tun hatte, gestand er in dem Essay freimütig ein, angesichts des bevorstehenden Todes nicht ohne Angst zu sein.

Sachlich und mit viel Selbstironie

Anfang des Jahres hatte der 1933 in London geborene Sacks erfahren, dass seine Leber von Metastasen befallen sei – als Spätfolge eines seltenen Tumors am Auge, der ihm vor neun Jahren entfernt worden war. Die eigene Augenerkrankung hatte der Sohn eines jüdischen Ärztepaars ebenso aufgearbeitet (in "Das Innere Auge" 2011) wie seine zahlreichen anderen Leiden zuvor – sachlich, kenntnisreich und immer mit viel Selbstironie.

Berühmt machten ihn aber seine einfühlsamen und mitfühlenden medizinischen Fallgeschichten von Menschen, die aufgrund von neurologischen Erkrankungen oder auch nur einer kleinen Hirnverletzung "ganz anders" geworden sind. So schilderte er 1973 in "Zeit des Erwachens" das Schicksal seiner New Yorker Patienten, die seit Jahrzehnten an den Folgen der Europäischen Schlafkrankheit litten und dank eines Medikaments kurz daraus "aufwachten".

Abweichungen von der Norm

Dieses Buch wurde zu Sacks’ Durchbruch und begründeten seinen Weltruhm – nicht zuletzt dank der Verfilmung mit Robin Williams (als Oliver Sacks) und Robert De Niro. Etliche Bestseller mit Fallgeschichten folgten, deren Titel sprichwörtlich wurden wie "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Nicht wenige der Werke des Vielschreibers handeln von Sacks’ eigenen Abweichungen von der Normalität wie "Der Tag, an dem mein Bein fortging".

Auch seine famose Autobiografie "On the Move – Mein Leben", die erst vor wenigen Wochen erschien, ist voller medizinischer Fallgeschichten von Patienten, Freunden und Verwandten. Vor allem gibt Sacks darin Einblicke in sein eigenes bewegtes Leben: seine Kindheit und sein Studium in England, seine Homosexualität, seine eher selbstzerstörerische Leidenschaft für Motorräder und die Gewichtheberei oder sein Drogenkonsum. Und er verschweigt auch nicht, dass er nach seinem 40. Geburtstag 35 Jahre lang keinen Sex hatte, ehe er doch noch einen Lebenspartner fand.

"Ich schreibe Überlebensgeschichten", erklärte Oliver Sacks einmal, "Geschichten davon, wie man mit diesen Krankheiten lebt." Am Sonntag ist der wohl größte medizinische Geschichtenerzähler der Gegenwart in seiner Wahlheimat New York gestorben. (Klaus Taschwer, 30.8.2015)

Klaus Taschwer erinnert sich:

Als ich einmal Oliver Sacks begegnete ...

Ganz zufällig war sie nicht, meine Begegnung mit dem berühmten Neurologen und Psychiater Oliver Sacks im Jahr 1997: Ich hatte um einen Termin gebeten, weil ich ihn über sein damals neues Buch "Die Insel der Farbenblinden" befragen wollte. Und Oliver Sacks war gerade zu Besuch in Wien, um einen Vortrag zu halten (siehe auch Wenn Sehen keinen Sinn ergibt).

Als ich dann das erste Mal in meinem Leben die große, weiche Hand von Oliver Sacks schüttelte, war sie schon nicht mehr blutig. Aber beinahe noch! Sacks hatte nämlich ein nicht mehr ganz weißes Taschentuch in der Linken.

Wie mir der Vollbartträger ohne Umschweife unmittelbar nach dem freundlichen "Hello" erzählte, habe er sich gerade seinen Penis im Reißverschluss seiner Hose empfindlich eingeklemmt. Ich glaube "penis injury" war das zirka achte Wort, das ich aus seinem Munde hörte.

Sacks trug es mit Fassung, nicht ohne zu erwähnen, dass er gleich darauf von einem heftigen Nasenbluten befallen worden sei – zum ersten Mal in seinem Leben! Nach dieser überraschenden Gesprächseröffnung meinte er noch: Er sei nun das zweite Mal in seinem Leben in Wien und solle an diesem Tag noch über Sigmund Freud referieren – da könne so etwas schon passieren. (tasch)