Heinz Patzelt, Amnesty International, in der "ZiB 2".

Foto: Screenshot / ORF TVThek

Man muss kein Theaterexperte sein, um den haltlosen Unfug zu bedauern, der mit der Verwendung des Begriffes "Tragödie" ständig angerichtet wird. Das elendigliche Verrecken so vieler Menschen auf der Ladefläche eines Lastkraftwagens ist vieles: ein Skandal, eine Bankrotterklärung der europäischen politischen Kultur.

Die klassische Tragödie beschreibt den Zusammenprall mehrerer Prinzipien. Diese sind sittlich miteinander unvereinbar. Das Verhängnis resultiert für den Betroffenen daraus, dass für ihn die Situation ausweglos bleibt, selbst wenn er sich nach bestem Gewissen um eine Lösung des Konfliktes bemüht.

Es war Heinz Patzelt von Amnesty International vorbehalten, in der ZiB 2 die Katastrophe des kollektiven Erstickungstodes nicht auch noch für einen Tragödienstoff auszugeben. Denn worin, so Patzelt mit wünschenswerter Deutlichkeit, wäre das Schicksalshafte des entsetzlichen Vorgangs zu begreifen?

"Leichengestank" steigt von den heimischen Parkplätzen auf. Auf dem Balkan liegen "große und kleine Grabhügel", im Mittelmeer ertrinken Tausende, und beim östlichen Nachbarn werden "wahnsinnige Stacheldrähte" aufgespannt.

Patzelts explizite Worte waren wohltätig, weil sie sich vom üblichen Bürokratengewäsch absetzen. Längst übt die Sprache über die Wohlmeinenden, die sie im Munde führen, ihre Tyrannei aus. Wie anders wäre die Hilflosigkeit zu deuten, mit der die Innenministerin ihre guten Absichten bekundet? Die Anlaufstellen für Flüchtlinge, sagte sie am Runden Tisch des ORF, müssten bald "einer Realisierung zugeführt" werden. Sie meinte womöglich die Eröffnung neuer Zuführwege. (Ronald Pohl, 28.8.2015)