Miranda July ist Performancekünstlerin, Filmemacherin und nun auch Romanautorin.

Foto: Todd Cole

Miranda July: Der erste fiese Typ. 20,60 Euro / 336 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015

Cheryl Glickman hat es sich eingerichtet. Sie ist Anfang vierzig, lebt allein und hat einige gepflegte Neurosen, denen sie sich detailverliebt widmet. Ihr ausgetüfteltes Ordnungssystem ist ihr so wichtig, dass sie das Risiko eines zweiten Löffels, einer zweiten Gabel oder eines zweiten Tellers erst gar nicht eingeht. Benutzen, abwaschen, ab ins Regal – fertig. Auch in ihrem Gefühlsleben bleibt sie lieber für sich und vermeidet so Unordnung: Cheryl liebt zwar innig und schon lange, aber aus sicherer Distanz und unerwidert. Philipp ist zwanzig Jahre älter und Fan von flauschigen Pullis. Wie Cheryl auch arbeitet er in einer kleinen Firma, die Selbstverteidigung lehrt, mit der gleichzeitig der Körper in Bestform getrimmt werden kann: Mit dem "Butterfly" entkommen sie einem Würgegriff und straffen gleichzeitig die Oberarme!

Cheryl manövriert sich durch ihr eigenartiges Leben und geht jeglichen Konflikten aus dem Weg. Wenn der Gärtner, den die Vormieter schon beschäftigt haben, seine unerwünschten Dienste um Cheryls Haus verrichtet, fährt sie in aller Herrgottsfrühe mit dem Auto durch die Gegend, weil sie sich in seiner Gegenwart unwohl fühlt. Ihm zu sagen, dass sie seine Arbeit nicht braucht? Undenkbar.

Vielleicht sind es Umstände wie diese, die es machen, dass Cheryl seit Jahren einen Kloß im Hals hat, den sie eher mithilfe eines Farbtherapeuten und einiger Tropfen Rot wegzubekommen hofft als mit einem schlichten Nein. Ein Wort, das ihr selbst dann nicht einfällt, als ihre Chefs deren ungehobelte zwanzigjährige Tochter Clee bei ihr unterbringen, bis diese auf eigenen Füße stehen kann, Füße, die im Übrigen bestialisch stinken. Über das reden kann Cheryl nur mit ihrer Therapeutin.

Doch ebenso wenig, wie Cheryl nur die scheue, neurotische Eigenbrötlerin ist, ist die Therapeutin nur die eloquente Ratgeberin oder Philipp nur der knuffige Kollege. Die Figuren in Miranda Julys Debütroman Der erste fiese Typ versuchen sich in mehr als einer Rolle und changieren mit ihren Entwürfen von sich selbst zwischen Realität und Fantasie – welche Rolle in welche Welt gehört, steht dabei nicht immer fest.

July und ihre vielen Medien

Auf ein und dasselbe konzentriert sich Miranda July auch in ihrer künstlerischen Arbeit nicht, sie will und kann mit jedem Medium. 2005 bekommt die heute 41-Jährige für ihren Film Du und ich und alle, die wir kennen in Cannes die Goldene Palme für den besten Debütfilm. 2007 wählt die New York Times ihren Kurzgeschichtenband Zehn Wahrheiten (Diogenes-Verlag) zu den besten Büchern des Jahres. Zwei Jahre später zeigt die 53. Biennale Venedig ihre interaktiven Skulpturen Eleven Heavy Things. Auf weißen Sockeln oder Tafeln werden Menschen, die sich darauf oder dahinter stellen, kommentiert – oder Teile von ihnen: "Das ist nicht das erste Loch, in dem mein Finger war" steht auf einer hohen, schmalen Tafel oberhalb eines Loches, durch das ein Finger passt, und darunter: "und es wird nicht das letzte sein".

Das ist typisch July: Mit ihrem kindlich wirkenden Pioniergeist formuliert sie Dinge, die zwar nicht als fundamental wichtig erscheinen, aber nichts Geringeres als wahr sind. Wichtig oder trivial, Ernst oder Spaß, analog oder digital – bei July sind das keine Gegensätze. Bevor sie mit ihrem Romandebüt von sich reden machte, entwickelte sie gemeinsam mit dem Modelabel Miu Miu die App "Somebody", mit der echte Menschen das Smartphone ersetzen können: Per App kann man jemanden beauftragen, eine Botschaft persönlich zu überbringen – sofern sich Botin und Empfänger in der Nähe befinden.

Queere Variante über konventionellen Stoff

Dass Kommunikation – mit oder ohne App – zu einer vertrackten Sache werden kann, weiß Julys Romanheldin Cheryl nur zu gut. Eine SMS vom Mann ihrer Träume Philipp, in der es aber um eine andere Frau geht, setzt in Cheryl überbordende sexuelle Energie frei, indem sie kurzerhand in ihrer Fantasie in Philipps Körper schlüpft und seine Libido anzapft. Währenddessen stinkt Mitbewohnerin Clee vor sich hin und versaut die Küche mit unnötigen Zweit- und Dritt-Tellern. Es ist natürlich kein Gespräch, mit dem Cheryl ihrem Unmut Luft macht, sondern irgendwann watschen und raufen sich die beiden quer durchs Haus. Eine Art Fight Club zwischen den beiden Frauen entsteht; die körperliche Nähe wird zum Sexersatz. Als die beiden erkennen, dass sie einander wollen, drängt sich noch ein Lebewesen, das Baby Jack, in Cheryls Leben und das nächste Chaos bricht aus.

Es ist eine rasante Geschichte über eine Frau, die durch ihre Passivität auf Dinge stößt, die scheinbar Lebenstüchtigere von vornherein ausschließen. Sie ist kein Opfer ihrer Planlosigkeit, ihrer sexuellen Unschlüssigkeit oder ihrer merkwürdigen sozialen Umgangsformen – sie ist Profiteurin.

Obwohl Miranda July mit ihrem ersten Roman ihr ästhetisches Geschick nicht vollends zur Geltung bringen konnte, ist ihr eine besonders unkonventionelle und queere Variante über den konventionellen Stoff Liebe, Sex und Zärtlichkeit gelungen. (Beate Hausbichler, Album, 29.8.2015)