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Für viele Flüchtlinge sind Polizisten die ersten Menschen, denen sie in Österreich begegnen. Mit der aktuellen Situation sei man bei der heimischen Polizei überfordert – Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat mehr Personal versprochen.

APA/HANS KLAUS TECHT

5.000 Flüchtlingskinder im schulpflichtigen Alter werden im Herbst erwartet. Der Vorsitzende der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft, Paul Kimberger, fordert deshalb mehr Personal.

Auf dem Foto: Beim Projekt PROSA (Projekt Schule für Alle!) gibt es für junge Asylwerberinnen und Asylwerber (Altersgruppe 16+) die Möglichkeit einen Pflichtschulabschluss zu machen.

Foto: Corn

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Deutschkurse boomen dieses Jahr, vor allem in den Grundniveaustufen. Mehr Deutschlehrerinnen und Lehrer gibt es an vielen Instituten aber noch nicht – was sich in Zukunft sehr wahrscheinlich ändern wird.

Waltraud Grubitzsch/dpa

Die Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, sorgen auch für eines: Arbeitsplätze. Ob Unterbringung, Transport, Logistik, Verpflegung oder Betreuung – an allen Ecken und Enden fehlt es momentan an Personal, denn die Asylanträge haben sich dieses Jahr beinahe verdreifacht. Dass nächstes Jahr plötzlich weniger Menschen in Österreich ankommen ist laut Innenministerium unwahrscheinlich, weshalb es auch längerfristig in einigen Bereichen mehr Personal geben müsste, etwa in der Ausbildung und in der Sozialarbeit.

In einer zweiten Phase geht es schließlich nicht mehr nur um das Management der Anträge, sondern auch um Integration und Zusammenleben in einer bunteren Gesellschaft. Ein Durchruf in Insitutionen und Organisationen zeigt: viele sind mit der aktuellen Notsituation so beschäftigt, dass personell noch gar nicht auf die gestiegenen Ankünfte reagiert wurde – freiwillige Helfer halten die Versorgung an vielen Orten am Laufen. Dass sich hier in Zukunft einiges verändern muss, wurde überall bestätigt. Eine Zusammenschau:

Behörden

In der Öffentlichkeit am sichtbarsten ist die neu geschaffene ehrenamtliche Position des Flüchtlingskoordinators: Ex-Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad soll ab sofort vor allem für ausreichend Quartiere sorgen und ganz allgemein das Management der ankommenden Flüchtlinge besser koordinieren als bislang.

Durch neue Notquartiere hätte es vor Ort auch zusätzliche Mitarbeiter gebraucht. Das sind allerdings nur die Zahlen des Bundes. In den neun Bundesländern habe es in jenen Bereichen, für die sie verantwortlich sind, wahrscheinlich auch Zuwächse gegeben, sagt Grundböck. Beim Bund könnten es in Zukunft wieder weniger Mitarbeiter in der Grundversorgung werden, denn "wenn die Länder ihre Quoten erfüllen würden, wäre das eine Entlastung für den Bund."

Die Frage ob jemand Asyl bekommt, oder nicht, ist Sache des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Hier waren Anfang des Jahres 700 Mitarbeitern in diesem Bereich tätig, aktuell sind schon 70 dazu gekommen und weitere 120 sind in Umsetzung, sagt Grundböck. "Wir gehen nicht davon aus, dass die Anträge nächstes Jahr plötzlich weniger werden, deswegen sind für 2016 weitere 200 Mitarbeiter angedacht." Die Entscheidung pro oder contra Asyl dauert laut Grundböck momentan durchschnittlich vier Monate – von Antragsstellung bis Erstinstanz. Die massive Aufstockung der Behörde sei notwendig, um diese Zeitspanne aufrechterhalten zu können. Aber auch mit dem zusätzlichen Personal müsste ein Mitarbeiter rein rechnerisch 79 Schicksale bearbeiten.

Polizei

Bei ihren Kapazitäten "an der Grenze angelangt" seien auch die Polizisten, sagte der Chef der Polizeigewerkschaft Hermann Greylinger. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zeigte unlängst in der Zeit im Bild Verständnis: Täglich würden von der Polizei 300 bis 400 Flüchtlinge aufgegriffen, die einvernommen, versorgt und in Quartiere gebracht werden müssten. Allein 1.350 Polizisten waren Anfang dieser Woche bei den verstärkten Grenzkontrollen im Einsatz. Deswegen werde nicht nur das Bundesamt, sondern auch die Polizei laut der Ministerin bald aufgestockt.

In Niederösterreich wurde die Schaffung von vier speziellen Polizei-Anhaltestellen für Asylwerber kritisiert – es sei zu befürchten, dass die Dienststellen aufgrund viel zu wenig Personal wieder zusperren müssen, schrieb die SPÖ Niederösterreich in einer Aussendung.

Auch in anderen Ländern ist die Polizei unterbesetzt: In Deutschland sind die Bundespolizisten laut Gewerkschaft der Polizei (GdP) seit Monaten so überlastet, dass sie ihre Aufgaben an der bayerisch-österreichischen Grenze nicht mehr erfüllen können. Seit Jahresanfang seien "etwa 45 000 unerlaubt eingereiste Personen nicht mehr erkennungsdienstlich behandelt worden", wird der Vorsitzende der GdP in der Süddeutschen Zeitung zitiert. Die Deutschen reagieren deshalb mit mehr Ausbildungsplätzen: Ab September stellt die Bundespolizei 50 Prozent mehr Auszubildende ein als im Jahr zuvor.

Betreuung

Ob Nothilfe, wie die Betreuung in den Asylwerberunterkünften, oder die spätere Unterstützung von anerkannten Flüchtlingen – die Betreuung ist ein Bereich, in dem auch in Zukunft einige Arbeitsplätze entstehen werden. Während Sozialarbeiter und Flüchtlingsbetreuer die Asylwerber bei allen möglichen Erledigungen und Behördengängen unterstützen, ist aktuell die Betreuung in den überfüllten Unterkünften das wichtigste Thema.

Als Betreiber des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen und 23 weiterer Asylwerberunterkünften in ganz Österreich ist die gewinnorientierte Firma ORS hauptverantwortlich für die Betreuung der Asylwerber. In den vergangenen Wochen und Monaten wurden die Zustände heftig kritisiert, etwa von Amnesty International, wo man von "groben Versäumnissen" und von einem "Menschenrechtsskandal auf österreichischem Boden", sprach.

Auf der Website von ORS liest man von 400 Mitarbeitern für täglich 6000 Flüchtlinge – ist das nicht viel zu wenig? Wilhelm Brunner, Geschäftsführer von ORS in Österreich, sieht das Problem nicht im Betreuungsschlüssel: "Selbst wenn ich neben jeden Asylwerber einen Betreuer stelle, schläft der Asylwerber immer noch in einem Schlafsack in einem Zelt. Die Lösung der gegenwärtigen Situation hängt direkt mit der Schaffung von Unterkünften zusammen", sagte er dem Wirtschaftsblatt. In Traiskirchen habe man binnen weniger Wochen von 100 auf 140 Mitarbeiter aufgestockt.

Die milliardenschwere Fondsgesellschaft steht dennoch in der Kritik. Ihre Gewinne wachsen und neue Tochtergesellschaften werden gegründet. Für die Betreuungsfirma könnte die Zunahme ankommender Menschen in Europa vor allem eines sein: ein willkommenes Geschäft.

Einen anderen Zugang hat naturgemäß die Caritas. Generalsekretär Christoph Schweifer hebt vor allem die Hilfe und das Engagement hunderter Freiwilliger in den Vordergrund: "Es hat sich eine riesige Gruppe organisiert, auch über soziale Netzwerke", sagt er. Die Nothilfe organisiert die Caritas aktuell mit bestehendem Personal, teilweise wurde aus anderen Bereichen – etwa der Katastrophenhilfe – Personal umgeschichtet. Schweifer betont außerdem, was über die Notversorgung hinausgeht und die langfristige Betreuung und erfolgreiche Integration von anerkannten Flüchtlingen betrifft: "Es wird in Zukunft viele Menschen mit besonderen Kenntnissen brauchen: interkulturelle Kompetenz, aber vor allem Fremdsprachen." Die Caritas arbeite bereits mit vielen Menschen mit Migrationshintergrund zusammen – "Austausch, beispielsweise in Lerncafés oder anderen Aktivitäten, ist wichtig." Momentan sei man mit der Planung für nächstes Jahr beschäftigt, denn integrationsfördernde Angebote wolle man unbedingt ausweiten. Die Nothilfe habe aber Vorrang, weshalb noch nicht klar sei, wie viel mehr Personal es für die geplanten Angebote braucht.

Bei der Diakonie sind aktuell 18 Stellen im Flüchtlingsdienst ausgeschrieben: Vom Koch, über Jugendbetreuung bis zu Rechtsberatern und administrativen Mitarbeitern ist die Liste lang.

Schule

Mit bevorstehendem Schulbeginn wird es in den Klassen einige neue Gesichter geben: Im Bildungsministerium rechnet man mit 5.000 zusätzlichen schulpflichtigen Flüchtlingskindern. Der Vorsitzende der Pflichtschullehrer-Gewerkschaft, Paul Kimberger, fordert deshalb mehr Personal, um die steigende Zahl an Flüchtlingskindern an den Schulen bestmöglich betreuen zu können. Woher aber die Lehrerinnen und Lehrer, die die Muttersprachen der Kinder beherrschen und notfalls vermitteln können? Ähnlich wie in den 90er-Jahren werde es notwendig sein, Lehrer aus den Herkunftsländern der Flüchtlinge mit Sonderverträgen anzustellen, sagte Kimberger am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal.

Akurate Planung fällt den Landesschulräten bislang aber schwer, denn der Aufenthaltsort der Asylwerber kann sich schnell ändern. Mit Platzproblemen rechnet man im Ministerium aber nicht: Die 5.000 Schüler entsprächen in etwa dem jährlichen demografischen Schülerrückgang. An Volksschulen, Haupt- und Neuen Mittelschulen gibt es laut Statistik Austria etwa 28.000 Klassen – hochgerechnet käme damit in etwa in jede sechste Klasse ein Flüchtlingskind.

Der Bedarf an mehrsprachigen Lehrern wird auch in den kommenden Jahren bestehen bleiben. Kimberger machte außerdem klar, dass die besondere Situation – viele der Kinder sind traumatisiert – mehr Schulpsychologen erfordere. Personal, das auch im Normalbetrieb ohne Flüchtlinge fehle

Sprache

Die Nachfrage nach Deutschkursen ist in diesem Jahr extrem angestiegen. Beim Österreichischen Integrationsfonds, ÖIF, hat das Außenministerium deshalb ein zusätzliches Sonderkontingent für Sprachfördermaßnahmen zur Verfügung gestellt. Asylberechtigte und Subsidiär Schutzberechtigte können dabei in Grundniveau-Sprachkursen – also Alphabetisierung, A1 und A2-Stufe – zu maximal 750 Euro je Stufe gefördert werden.

Zusätzliche Kurse sind im Vergleich zum letzten Jahr nicht viele dazu gekommen, es wurde vor allem intern umgeschichtet: "70 Prozent sind Grundniveau-Kurse – das ist ein Zuwachs von mehr als der Hälfte", sagt Franziska Troger vom ÖIF. Beim Personal habe man bis dato nicht aufgestockt, "damit die Kapazitäten in die Förderung der Menschen gehen."

Auch beim AMS verweist man auf die stark gestiegene Nachfrage nach Deutschkursen in den Partnerinstituten wie beim Wifi oder bfi. "Zwei von drei Arbeitssuchenden haben jetzt schon Migrationshintergrund. Wir brauchen unbedingt mehr Kapazitäten bei unserem Partnern", sagt AMS-Sprecherin Beate Sprenger. Beim AMS mangle es auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit sowieso schon an Personal – diese Situation könnte sich noch verschärfen. Was dann, wie auch bei den Lehrern und bei Sozialarbeitern, bei künftigen Mitarbeitern gefragt sei, ist interkulturelle Kompetenz und Fremdsprachen – "für eine bessere Beratung der Menschen, die nicht so gut Deutsch sprechen", sagt Sprenger.

Der vom AMS Wien angebotene Kompetenzcheck speziell für Asylberechtigte werde nicht auf andere Städte ausgeweitet, da von 17.000 asylberechtigten Jobsuchenden 12.000 in Wien leben würden.