Wie sich Störungen in den Baumkronen zeigen: Der Wald ist durch Borkenkäfer und Windwürfe gefährdet. Vor allem Monokulturen zeigen sich anfällig.

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Der FWF zeichnete Rupert Seidl mit dem Start-Preis aus.

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Wien – Ein heißer Sommer neigt sich seinem Ende zu. Bei solch hohen Temperaturen steigt das Risiko von Waldbränden. Was sich auch in Statistiken niederschlägt: Brände in Wäldern haben in Mitteleuropa zugenommen, Sturmschäden und der Befall durch Borkenkäfer sind ebenfalls häufiger geworden. "Derartige Ereignisse verursachen heute sicher dreimal mehr Schäden als noch vor 40 Jahren", sagt Rupert Seidl. Der Forstwirt will wissen, inwieweit diese Entwicklung dem Klimawandel zuzuschreiben ist. Und wie sich die Entwicklung künftig weiter fortsetzt. Ein Forschungsprojekt, das die Jury des Wissenschaftsfonds FWF heuer mit einem Start-Preis auszeichnete.

Feuer, Windwürfe und Borkenkäfer sind für den 36-jährigen Oberösterreicher "Störungen": Sie verringern den Baumbestand und führen zu einer Reorganisation des Ökosystems. Diese Prozesse hat es zwar schon immer gegeben, und die im Wald lebenden Arten sind grundsätzlich gut an derartige Ereignisse angepasst. Doch viel spricht dafür, meint Seidl, dass heute die globale Erwärmung für die zunehmenden Störungen des Ökosystems Wald verantwortlich ist.

Vergleich mit der Geschichte

Um hier Klarheit zu schaffen, braucht es Langzeitvergleiche. "Wir wissen aus anekdotischen Berichten, dass es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch starken Windwurf und Borkenkäferbefall in Mitteleuropa gegeben hat." Das hat den Forscher von der Uni für Bodenkultur Wien dazu gebracht, die heutige Situation mit historischen Extremsituationen zu vergleichen.

Störungen haben laut Seidl "eine natürliche Schwankungsbreite": Auch in der Vergangenheit waren sie mal häufiger, mal seltener. "Da fragt man sich, ob die heutige Entwicklung historisch aus dem Rahmen fällt." Seidl, Sohn eines Försters, hat bereits eine Vermutung: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten die natürliche Schwankungsbreite der letzten 500 oder gar 1000 Jahre bereits verlassen haben – oder wir zumindest dabei sind, diese zu verlassen." Kurzum: Der menschlich beeinflusste Klimawandel zeigt im Wald seine Wirkung.

Für Seidls Langzeitstudien fehlt derzeit noch die Datengrundlage. Solide Aufzeichnungen reichen höchstens 30 bis 50 Jahre zurück. Nun will Seidl die "Störungsgeschichte Mitteleuropas bis ins 17. Jahrhundert hinein" rekonstruieren. Dafür wird er bei Bäumen aus verschiedenen Regionen Mitteleuropas Jahresringanalysen durchführen bzw. vorhandene Analysen sichten und zusammenführen. Denn die Baumstämme sind Tagebücher von einstigen Umwelteinflüssen.

Studien belegen bereits heute: Borkenkäfer waren früher im österreichischen Gebirgsraum nur auf begrenztem Raum zu finden. Doch aufgrund der höheren Temperaturen pflanzen sich die Rindenbrüter – die Borkenkäferfamilie umfasst mehr als 100 Arten – ebenso in mittleren und höheren Seehöhen gut fort. Dort kommt es auch zu weitflächigem Schädlingsbefall.

In der Ökologie gibt es jedoch nicht nur den "einen" Wirkungsfaktor. Der Klimawandel ist nur ein Faktor von vielen, der sich auf Waldbestände auswirkt. Waldaufbau und -bewirtschaftung sind weitere: Denn Monokulturen sind beispielsweise anfälliger für Schäden durch Windwurf und Borkenkäfer. Hier will Seidl in seiner Studie versuchen, das Geflecht an Faktoren und ihren Wechselwirkungen zu entwirren. Und er will auch die künftige Waldentwicklung simulieren, um das zukünftige Störungsrisiko abschätzen zu können.

Erhöhte Lawinengefahr

Mit den zunehmenden Störungen sind auch Leistungen des Waldes in Gefahr, die direkt dem Menschen zugutekommen. Eine geschädigte Waldfläche geht nämlich mit einem erhöhten Risiko von Naturgefahren wie Steinschlag oder Lawinen einher – mit potenziell lebensgefährlichen Folgen für die Bewohner von Gebirgsregionen. Dem entgegenwirken könnte eine angepasste Waldbewirtschaftung.

"Das Spannende ist, dass die Waldbewirtschaftung der letzten 50 Jahre in Mitteleuropa ja eine Erfolgsgeschichte war", sagt Seidl. In Österreich sind rund 50 Prozent der Fläche bewaldet. In vielen Regionen Mitteleuropas, auch hierzulande, steht heute mehr Wald als früher. "Zudem gibt es in den Wäldern auch mehr Holz pro Quadratmeter. Doch: Mehr Holz pro Fläche macht den Wald auch anfälliger für Störungen."

Seidl verweist auf ein weiteres Dilemma: Steigende Holzvorräte in Mitteleuropa bedeuteten auch gleichzeitig, "dass der Wald mehr CO2 speichert. Aber damit sitzen wir auch ein wenig auf einem Pulverfass. Wenn wir in Zukunft mehr Wind- oder Borkenkäferschäden haben – oder zunehmend Waldbrände -, kann dieser gespeicherte Kohlenstoff auch schnell wieder verlorengehen." Ein Teil des im Wald gespeicherten CO2 entweicht dabei in die Atmosphäre, was wiederum den Klimawandel antreibt.

Urwälder der USA

Den mitteleuropäischen Wäldern hat Seidl nun aber für ein paar Wochen den Rücken gekehrt: Er ist derzeit als Gastwissenschafter an der University of Wisconsin in Madison tätig. Von hier aus erforscht er die "Urwälder" des Yellowstone-Nationalparks im US-Bundesstaat Wyoming. Doch bei aller geografischen Distanz würden sich bei der Entwicklung von Wäldern ähnliche Fragen wie bei uns stellen, sagt Seidl. Außerdem seien in Nordamerika viele Ökosysteme noch stärker naturbelassen als in Europa. Damit kann man viele natürliche Prozesse in Wäldern besser untersuchen. Die Erkenntnisse seines USA-Aufenthalts will Seidl auch in sein Start-Projekt einfließen lassen. Geplanter Beginn ist Anfang 2016. (Lena Yadlapalli, 30.8.2015)