Die Türkei schlittert in politisches Neuland. Seit dem Putsch von 1971 gab es keine Übergangsregierung mehr. Und ein Allparteienkabinett, so wie es die Verfassung für die heutige Situation vorschreibt, gab es noch nie. Es ist eine Premiere für das Land. Doch dann scheint alles wiederum auch nur düstere Wiederholung und unvermeidbare Zuspitzung zugleich für die Türken zu sein: Tayyip Erdogan, der die Türkei im 13. Jahr regiert, kämpft um seine Macht. Er will sie für sich allein und – wenn es sein muss – auch um den Preis des Friedens.
Die Rückkehr in die 1980er- und 1990er-Jahre, als die Armee im Südosten des Landes Krieg gegen die kurdische Guerilla und die eigene Bevölkerung führte, ist ein Albtraum für die Türken. Widerstand regt sich jetzt bereits angesichts der täglichen Toten. Staatspräsident Erdogan und seine wie Marionetten funktionierenden Minister und Parteifunktionäre werden für den Gewaltausbruch verantwortlich gemacht: Erst haben sie vollmundig die Lösung der Kurdenfrage versprochen, dann den Kampf "bis zum Ende". Dazwischen lag eine Wahlniederlage. Die Kurdenpartei HDP brachte Erdogans Partei um die Mehrheit.
Doch die Neuwahlen, die der Staatschef erzwungen hat, könnten ein Debakel werden. Im Allparteienkabinett werden wohl nur Erdogans Partei und die Kurden sitzen; die anderen boykottieren. Schlecht für Erdogan. Gut möglich, dass er den Notstand ausruft und die Wahlen verschiebt.(Markus Bernath, 25.8.2015)