STANDARD: Herr Raab, Ihr erstes Buch hieß "Der Metzger muss nachsitzen". Eine kriminalistische Zeitreise in Willibald Metzgers schulische Vergangenheit, der böseste Bube der 8B wurde um die Ecke gebracht. AHS-Lehrer schreibt einen Krimi im Schulmilieu ...

Raab: (lacht) Ja, weil wir Lehrer so viel Zeit haben nach der Schule. Nein, ich habe aus Spaß zu schreiben begonnen, völlig unbeleckt, weil ich in Deutsch so schlecht war. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich Schriftsteller werden könnte. Darum ging das so locker von der Hand. Dass mein erstes Buch im Schulmilieu spielt, war halt aufgelegt, weil ich noch Lehrer war. Ich habe mich wirklich zwingen müssen, dass ich nicht schriftlich Rache übe an meiner schulischen Vergangenheit.

STANDARD: Gab es Rachegründe?

Raab: Jeder, der zurückschaut, hat positive und negative Erfahrungen. Das Schlimme an der Schulzeit ist, dass sich vor allem die negativen so reinfressen, dass ich mich an die pädagogischen Totengräber meiner Zeit besser erinnern kann als an die netten. Auch in meinen zehn Jahren Schuldienst habe ich gelernt: Wenn im Konferenzzimmer zwei Affen sitzen, dann können die alles kaputtmachen, die ganze Stimmung und die Atmosphäre der Schule.

Zeugnistag in den Sommerferien: Schriftsteller Thomas Raab brachte zum 2+1-Sommergespräch mit Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek sein Zeugnis aus der vierten Volksschulklasse mit.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie waren selbst Lehrerin. Haben Sie auch solche Frustmomente im Lehrerzimmer erlebt?

Heinisch-Hosek: Es gibt selbstverständlich mühsame Situationen im Lehrerzimmer, etwa bei Konferenzen, und es gibt fortschrittliche Situationen. Bei mir zum Beispiel war es so, dass wir einen Teambuildingprozess für eine Klasse nicht zustande gebracht haben. Es war unter uns erwachsenen Frauen – wir waren nur Frauen – trotz Mediation nicht möglich, ein Team zu bilden für eine gemischte Klasse von schwerhörigen und hörenden Kindern. Wir sind dann in eine andere Zusammensetzung gegangen. Wenn man merkt, mit einem anderen Team klappt's besser, ist es völlig okay.

STANDARD: Was hat Sie dazu gebracht, AHS-Lehrer für Mathematik und Sport zu werden?

Raab: (denkt nach)

Heinisch-Hosek: Nicht die Ferien bitte ... (Lachen)

Raab: Nein, aber das ist ja das Problem mit dem Lehrersein. In den zehn Jahren, in denen ich Lehrer war, war's ganz selten, dass ich mich getraut habe zu sagen: Ich bin Lehrer. Ich war immer Musiker und habe gesagt: Ich bin Musiker und (fast flüsternd) Lehrer ... (lacht). Das ist schrecklich, dass man so einen negativen Mantel über seinem Berufsbild hat, und ich war gern Lehrer. Mein Vater war auch Lehrer, er hat mit Mathematik begonnen und aufgehört. Ich war kein guter Mathematiker und hab mir gedacht: Papa, dir zeig ich's (lacht). Aber die Grundmotivation war, dass ich immer gern mit Menschen zu tun gehabt habe. Die Grundbedingung eines Lehrers ist Menschenliebe, wenn die nicht da ist, hat er nichts verloren in dem Beruf. Wie man das abprüft als Aufnahmekriterium, ist die Frage, aber das gehört her, finde ich.

"Als ich begonnen habe, war ich begeistert davon, wie viel Energie und Kraft im Lehrerzimmer ist", erzählt der Autor der Metzger-Krimis, Thomas Raab.
Foto: Heribert Corn

Heinisch-Hosek: Wer eignet sich, wer weniger, bei wem wächst vielleicht die Lust am Job, wenn er schon mal drin ist? Ich glaube, dass so das rasche Einsteigen ins System oft falsche Erwartungen weckt oder diese Erwartungen später nicht erfüllt werden. Der Alltag in der Klasse kann schon ein sehr hartes Geschäft sein, aber mit der neuen Ausbildung steigt der Praxisanteil jedenfalls.

Raab: Ich glaube, dass die meisten, die diesen Beruf antreten, das aus einer positiven Motivation heraus tun. Als ich begonnen habe, war ich begeistert davon, wie viel Energie und Kraft im Lehrerzimmer ist. Aber was ich erlebt habe, ist, dass das Außenbild so zehrt an diesem Beruf, dass du die Freude verlierst und immer in einem Rechtfertigungsdrang bist. Du kriegst nur von außen dieses "Alle wissen eh alles". Das macht dich leer als Lehrer.

Heinisch-Hosek: Darum brauchen wir unbedingt auch für diese große Berufsgruppe Mitarbeitergespräche, wie wir sie im gesamten öffentlichen Dienst haben. Was willst du dieses Jahr für dich erreichen, was brauchst du an Weiterbildung, oder brauchst du eine Auszeit? Lehrerinnen und Lehrer haben ja ganz selten die Möglichkeit, mal ein Jahr auszusteigen und etwas ganz anderes zu tun. Ja, mit Sabbaticals geht das schon, aber um die Energie behalten zu können, müsste man so alle fünf bis zehn Jahre die Möglichkeit haben, sich eine Zeitlang rauszunehmen. Ein Leben lang in der Schule zu verbringen, das geht nicht für alle. Ich verstehe schon, dass da Energieverluste an der Tagesordnung sind. Das System ist zu starr. Darum ist Autonomie auch im Personalbereich so wichtig.

Raab: Ja, ganz wichtig. Aber mittlerweile hinterfrage ich das ganze System auch komplett.

"Das Problem in Österreich ist auch, dass wir bis zum Hals in Rollenklischees stecken", meint Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Was heißt das konkret?

Raab: Ich habe als Lehrer im Gymnasium gemerkt, wie schwierig das erste Jahr ist, der Umstieg. Da sitzen von der einen Volksschule sieben Schüler in der Klasse, die ein Team sind, dann sitzen ein paar solche und dann sitzt ein Einzelgänger. Das ist ganz schwierig. Ich habe mittlerweile auch das Gefühl, dass diese Teilung der Kinder in falschen Stadien erfolgt, dass man vielleicht besser acht oder neun Jahre Gemeinschaft erlebt. Unsere Tochter bekommt jetzt in der dritten Klasse wahrscheinlich Noten. Sie muss erst einmal lernen, damit zu leben, dass sie Noten kriegt. In der vierten Klasse muss sie in Wien den Beweis abliefern, dass sie maximal zwei Zweier hat. Da ist das ganze Notensystem zum Krenreiben. Wenn ich ein System von eins bis fünf habe, müsste ich es auch ausschöpfen dürfen, aber in Wien ist das ein Todesurteil. Da herrscht jetzt schon so ein Druck: Wir müssen das schaffen, dass wir ja ins Gymnasium kommen.

STANDARD: Ist das auch Ihre Erwartung als Vater, dass Ihre Tochter ins Gymnasium muss?

Raab: Das ist nicht die Erwartung eines Vaters, sondern das ist die Erwartung eines gesellschaftlichen Umfeldes, in dem man lebt. Mein Vater war so verzweifelt darüber, dass ich zwei Dreier hatte. Es wäre für ihn das Schlimmste gewesen, wenn sein Trottelbub in die Hauptschule kommt, und der hat alles gemacht von Selbsterniedrigung bis Fremderhöhung, dass ich einen Gymnasiumplatz kriege. Das ist heute vielleicht ein bisschen anders, aber trotzdem ...

Heinisch-Hosek: Wenn die Wahl erst mit 14 wäre, wäre vieles entspannter. Sie sprechen mir aus der Seele. Unser Enkel hat zwei Gymnasiallehrer als Eltern, und wenn er eine Neue Mittelschule besuchen will, kann er das natürlich tun. Er muss glücklich sein. Das Bewusstsein fehlt halt oft, weil Eltern für ihre Kinder das Beste wollen oder was Besseres, als sie vielleicht selber gehabt haben. Der Stress beginnt in Wahrheit am Ende der dritten Klasse Volksschule. Diese Last gehört von den Kindern, den Eltern und auch den Pädagoginnen und Pädagogen genommen, die da ja auch unter massiven Druck geraten, die Kinder fit zu machen mit Einsern und Zweiern, damit ja nix passiert.

Raab: Genau. Wenn meine Tochter mit 14, 15 oder 16 beschließt, dass sie Tischlerin werden will, dann freu ich mich. Ist das ein Maß von Bildung und Intelligenz, wenn ich nicht Matura mache?

Unter einem Baum im Garten des MAK vor dem Lokal "Österreicher im MAK" fand Fotograf Heribert Corn ein schattiges Plätzchen für das 2+1-Sommergespräch des STANDARD.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie waren in Väterkarenz – mit welchen Erfahrungen?

Raab: Mein Umfeld hat ganz komisch reagiert: Warum gehst du in Karenz? Du bist doch Lehrer ... Wir sind überhaupt nicht dort, wo man glaubt. Ich habe aber auch das Gefühl, dass auch die Entscheidung einer Frau gestärkt werden muss, die den Wunsch hat, vielleicht zwei Jahre zu Hause zu bleiben. Meine Frau war gerne zu Hause, aber sie hat sich gleichzeitig immer ein bisschen minder gefühlt durch diese Entscheidung. Eine Frau, die sich so entscheidet, darf sich nicht fühlen, als würde sie an der Selbstbehauptung der Frau nicht teilhaben wollen, denn das ist auch ein Teil der Selbstbehauptung. Das gehört auch aufgewertet. Das fehlt mir ein bisschen in dieser Diskussion.

Heinisch-Hosek: Da gebe ich Ihnen völlig recht. Das Problem in Österreich ist auch ein bisschen, dass wir sprichwörtlich noch bis zum Hals in Rollenklischees stecken. Daher muss ich als Frauenministerin überzeichnen, damit das, was noch fehlt, wahrgenommen wird. Damit will ich keiner Frau wehtun, die sagt: Ich will die Karenz jetzt genießen. Aber Alleinerziehende können sich das Daheimbleiben oft nicht leisten, weil kein Unterhalt gezahlt wird oder was auch immer. Ich würde die Karenz auch genießen, darum geht's nicht. Ich will auch kein Müttergeld einführen, wie es konservative Parteien auch in diesem Land fordern, weil ewig daheim zu bleiben, bezahlt zu werden, keine Pension zu erhalten – wofür bin ich dann da? Nur fürs Kinder-Großziehen? Das wollen doch auch nur die wenigsten.

Raab: Aber du willst vielleicht zwei Jahre zu Hause sein, es ist ja kein Erholungsjob.

Heinisch-Hosek: Nein, das hat ein Vater in Karenz ja erlebt. Unser Enkel ist bei uns, und ich bin erledigt (lacht).

Raab: Du willst aber nach zwei Jahren auch wieder zurückkommen können und dürfen.

Heinisch-Hosek: Und nicht schlechter qualifiziert einsteigen.

Raab: Und das ist aber in vielen Berufen noch immer sehr schwierig.

STANDARD: Was halten Sie von der Idee der Ministerin, Väter zu einem "Papamonat" zu verpflichten?

Raab: Für mich war klar, dass ich zu Hause sein möchte. Für einen Mann, der das komplett ablehnt ... Ich weiß nicht, ob man dem Kind was Gutes tut (lacht).

Heinisch-Hosek: Durch so eine Pflicht könnte man die Lust am Mehr wecken. Man würde Eltern und Unternehmen entlasten, wenn man Vätern einen Rechtsanspruch auf zumindest einen Papamonat einräumt. Wenn viele Väter in Karenz gingen, dann hätte keine Firma mehr diese Keule in der Hand.

Raab: Der Vater ist einen Monat zu Hause, Punkt. Das ist ein totales Angebot an das Leben. Pflicht macht's halt ein bissl seltsam, aber das gehört schon her.

derstandard.at/von usslar

STANDARD: Herr Raab, bitte vervollständigen Sie den folgenden Halbsatz: "Wenn ich Bildungsminister wäre ..."

Raab: Dann würde ich am nächsten Tag sofort zurücktreten, weil ich mir denke, das kann man nicht packen. Das ist, glaube ich, das Schlimmste, was man sich aussuchen kann (Lachen).

STANDARD: Frau Ministerin, "Wenn ich ein Buch schreiben würde ..."

Heinisch-Hosek: Dann würde ich mich total freuen über die freie Zeiteinteilung beim Schreiben, und es wäre ein Buch über Kinder und darüber, wie man ihnen ein zufriedenes, glückliches, eigenständiges Leben ermöglichen kann. (Interview: Lisa Nimmervoll, Video: Maria von Usslar 26.8.2015)