Modernes Finale

Günther Loewit kennt sich aus mit dem Tod. Er ist Arzt. Sein aktueller Befund: "Es ist derzeit keine therapeutische Option, den körperlichen Tod in Kauf zu nehmen, um das seelische Wohlbefinden zu wahren. Die moderne Medizin steht der Seele und ihren Bedürfnissen ebenso hilflos gegenüber, wie die Religion jahrhundertelang dem Körper verständnislos gegenüber gestanden ist."

Das bedeutet: Wir sterben versehentlich. Während einer letzten OP. Oder auf der Intensivstation. Nicht selten einsam. Seine Conclusio: Der Mensch hat verlernt, dass der Tod Teil des Lebens ist. Deshalb ist die Gesellschaft kaum mehr bereit zu sagen: "Ein Mensch darf sterben."

Loewit fordert mehr menschliche Begleitung und weniger intensivmedizinische Behandlung. "Sterbende können umso leichter loslassen, je weniger man medizinisch versucht, sich dagegen zu wehren." Oder wie es Sokrates formulierte: "Ganz gesund ist man erst, wenn man tot ist."

Günther Loewit
Sterben. Zwischen Würde und Geschäft
Haymon, 2015
328 Seiten, 12,95 Euro

Foto: Verlag Haymon

Historisches Ende

In der kulturwissenschaftlichen Betrachtung von Anna Bergmann ist der Mensch vor allem Lunge, Leber, Niere und Herz. Der Patient als Maschine, die in ihre Einzelteile zerlegt und wieder repariert werden kann. Um die Ursprünge dieser Sichtweise zu verstehen, durchforstet die Historikerin knapp 600 Jahre Medizingeschichte.

Sie beginnt mit den Klimaveränderungen durch die "Kleine Eiszeit". Demnach machten Kälteperioden, Erdbeben und Seuchen eine neue Verwaltung des Todes notwendig. Quarantäne und Stigmatisierung waren die Ingredienzien dieser neuen Biopolitik.

Im anatomischen Theater des 14. Jahrhunderts (ein Spektakel für Gelehrte, Fürsten und Könige) sieht sie den Grundstein moderner Medizin: Der Mensch als pures Forschungsobjekt. Die Autorin plädiert schlussendlich für eine ganzheitliche Betrachtung von Patienten und spart nicht mit Kritik an der Transplantationsmedizin. Radikal, ohne Grautöne.

Anna Bergmann
Der entseelte Patient. Die moderne Medizin und der Tod

Franz Steiner Verlag, 2014
445 Seiten, 30,80 Euro

Foto: Franz Steiner Verlag

Philosophischer Schluss

Eine Stunde noch, dann ist das Leben vorbei. Dieses Gedankenexperiment wagt der französische Philosoph Roger-Pol Droit. 60 Minuten, die vieles relativieren. Er stellt fest: Fitnessstudio, gesunde Ernährung, Diabetes, Bluthochdruck – alles passé. Pläne, Sorgen, Ängste – völlig obsolet. Rien ne va plus. Ohne Verhandlungsspielraum.

Er fragt sich:"Was bleibt übrig?" Seine Antwort: Die große Befreiung. Von Masken, hinter denen sich ein Mensch verstecken kann. Von Rollen, die unsere Endlichkeit kaschieren. Für Droit gilt es nur noch den einzigartigen Raum dieses kurzen Zeitabschnitts zu erkunden. Den nahenden Tod denkbar zu machen.

Das klingt so: Es gibt keine "ars moriendi". Die Kunst des Sterbens ist unmöglich. Dafür bräuchte es Übung. Denn erlernbar ist nur, was sich mehrmals wiederholt. Sein grobes Fazit: Das Leben ist ein Gesamtpaket – mit dem Tod als finalem Akt. Darüber nachzudenken lohnt sich. Länger als eine Stunde.

Roger-Pol Droit
Wenn ich nur noch eine Stunde zu leben hätte.

Rororo, 2015
111 Seiten, 12,40 Euro

Foto: Rororo

Trivialer Abgang

Am Ende sind wir alle gleich. Oder doch nicht? Der Tiroler Schriftsteller Stefan Soder greift den assistierten Suizid, wie er etwa in der Schweiz praktiziert wird, auf und verlegt ihn in einen fiktiven, privatwirtschaftlichen Kontext.

Der Tod als gewinnbringendes Event. Der Preis für einen selbstgewählten, lustvollen Abgang: 150.000 Franken. Wer über das notwendige Kleingeld verfügt, kann eine Pauschalreise ins Jenseits buchen. Der Veranstalter: Ein mysteriöser Club in der Schweiz.

Der Protagonist: Thomas Einselber, ein egozentrischer Finanzmathematiker, der die höchste Stufe der Karriereleiter erklommen hat. Für ihn gibt es nichts mehr zu erreichen. Was einmal Befriedigung und Belohnung versprach, zeigt keine Wirkung mehr.

Wohlhabend, übersättigt, lebensmüde. Als Konsequenz bleibt nur das assistierte Sterben als letzte Dienstleistung im Leben. Ein provokanter Roman mit einem Manko: Das Ende ist todlangweilig.

Stefan Soder
Club

Braumüller, 2015
399 Seiten, 21,90 Euro

(Günther Brandstetter, 1.11.2015)

Foto: Verlag braumüller