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Nachdem am Montag in Weißenau eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Flammen aufgegangen war (Bild), wurde am Dienstag eine Sporthalle in Nauen in Brand gesteckt.

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Berlin/Nauen – Deutschland setzt die sogenannte Dublin-Verordnung für Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien faktisch aus. Der Verordnung zufolge ist jenes EU-Land für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig, in dem der Betroffene zuerst in die EU eingereist ist – Italien oder Griechenland klagen unter den Lasten durch diese Regel. Mit dem Aussetzen der Verordnung dürfen Flüchtlinge, selbst wenn sie bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt haben, in Deutschland um Asyl ansuchen.

Die noch nicht abgeschlossenen Verfahren würden in Deutschland bearbeitet, sagte der Sprecher des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration (BAMF). Es handle sich bei der Neuregelung um eine Leitlinie des Bundesamts, nicht um eine formal bindende Vorgabe.

Bereits in der Vergangenheit habe das Bundesamt sehr genau geprüft, ob humanitäre Gründe dafür vorliegen, dass Deutschland die Asylverfahren übernehmen kann, fügte der Sprecher hinzu. So habe es bis Ende Juli nur 131 Überstellungen von Syrern in Rahmen der Dublin-Verordnung gegeben.

Die EU-Kommission hat die Aufhebung der Regelung begrüßt. Die Maßnahme sei ein Akt der europäischen Solidarität, sagte Kommissionssprecherin Natasha Bertaud am Dienstag in Brüssel.

Brandanschläge mehren sich

In Deutschland reißen indes die Meldungen über Angriffe auf Flüchtlingsquartiere nicht ab. Im brandenburgischen Nauen westlich von Berlin ist Dienstagfrüh eine geplante Notunterkunft für Flüchtlinge in Flammen aufgegangen. Das Feuer an der Sporthalle hatte sich bei seiner Entdeckung bereits auf das gesamte Gebäude ausgebreitet, wie die Polizei in Potsdam mitteilte. Die Feuerwehr habe sich deshalb dazu entschlossen, die Halle kontrolliert abbrennen zu lassen.

Verletzt wurde nach ersten Angaben niemand. Die Polizei ging nach den bisherigen Erkenntnissen von Brandstiftung aus. Ein technischer Defekt sei höchst unwahrscheinlich, hieß es.

Die Stunde des Rechtsstaats

In Nauen hatte es in diesem Jahr mehrfach Demonstrationen gegen die geplante Aufnahme von Asylwerbern gegeben. Der Landkreis hatte im Juli angekündigt, dass die Halle der vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen dienen soll.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) forderte eine Null-Toleranz-Politik gegenüber möglichen Tätern. "Sollten die Ermittlungen einen fremdenfeindlichen Anschlag belegen, werden Polizei und Justiz in Brandenburg alles daran setzen, der Täter habhaft zu werden und sie einer gerechten Strafe zuzuführen", erklärte er am Dienstag in Potsdam. "Es bleibt dabei: null Toleranz gegenüber jeglicher Form von Fremdenfeindlichkeit."

Auch im baden-württembergischen Weißenau stand in der Nacht auf Montag ein Haus, in dem Asylwerber untergebracht werden sollten, in Flammen. Die Behörden wollten vorerst keine Angaben zur Brandursache machen, schlossen aber Brandstiftung nicht aus.

Insgesamt haben sich im ersten Halbjahr 2015 die Übergriffe auf Asylunterkünfte in Deutschland verdreifacht, gab das Innenministerium zuletzt bekannt. Die deutsche Regierung verurteilte die Gewalt am Montag scharf, am Dienstag kündigte Justizminister Heiko Maas (SPD) ein entschlossenes Vorgehen der Justiz gegen Verantwortliche an. "Diese rechten Schläger, die es da gibt, gehören nicht auf die Straße, sondern sie gehören vor Gericht, und dort werden sie auch landen", sagte Maas am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin". Es sei nun die "Stunde des Rechtsstaats" gekommen. Er sei sich "absolut sicher, dass unsere Justiz dem gerecht werden wird", sagte Maas.

Zentralrat der Juden fordert NPD-Verbot

Unterdessen hat der Zentralrat der Juden in Deutschland vor dem Hintergrund fremdenfeindlicher Ausschreitungen in Sachsen seine Forderung nach einem Verbot der rechtsextremen NPD bekräftigt. Rechtsradikale Organisationen, "insbesondere die NPD, zeigen bei den Protesten in Sachsen ihr wahres Gesicht", sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der Dienstagsausgabe der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Ein Verbot werde deshalb "umso dringender". Es sei "erschreckend, mit welchem Hass und welcher Aggression gegen Menschen polarisiert wird, denen kein anderer Ausweg blieb, als aus ihrer Heimat zu fliehen", sagte Schuster.

Die NPD hatte dem Bericht zufolge unter anderem zu Demonstrationen gegen ein Flüchtlingsheim im sächsischen Heidenau aufgerufen. In dem Ort nahe Dresden hatte es am Wochenende in zwei Nächten in Folge schwere Krawalle vor einer Asylbewerberunterkunft gegeben.

Staatsspitze besucht Unterkünfte

Am Dienstag gab das Büro der Kanzlerin bekannt, dass Angela Merkel am Mittwoch die Flüchtlingsunterkunft in Heidenau besuchen wird. An Ort und Stelle werde die Kanzlerin Gespräche mit Flüchtlingen, haupt- wie ehrenamtlichen Helfern und Sicherheitskräften führen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Dienstag in Berlin mit.

Auch der deutsche Präsident Joachim Gauck will am Mittwoch eine Flüchtlingsunterkunft besuchen. In einem Quartier in Berlin wolle er sich über die Situation der Flüchtlinge und die Arbeit der Helfer informieren, teilte das Bundespräsidialamt am Dienstag mit.

Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) rief wiederum am Dienstag dazu auf, angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen zu unkonventionellen Maßnahmen zu greifen. Gefragt seien Improvisation und Engagement, sagte der Minister am Dienstag bei einem Besuch einer Erstaufnahmeeinrichtung im niedersächsischen Friedland. "Mit den gewohnten Verwaltungsabläufen ist das nicht zu schaffen", sagte der Minister.

Visa für Bewohner der Balkanländer

Eine Möglichkeit, die Asylanträge zu reduzieren, schloss der Präsident des deutschen Bundesamtes für Migration, Manfred Schmidt, in einem Interview mit der bosnischen Zeitung "Dnevni avaz" nicht aus: die Wiedereinführung von Visa für Menschen aus den Balkanländern. "Im Moment versuchen wir auf alle Arten, die Asylanträge aus den Ländern des Westbalkans zu reduzieren", sagte Schmidt in dem Interview am Dienstag.

"Wenn wir das nicht schaffen, wird in den deutschen Institutionen sicher die Diskussion über die Einführung von Visa losgehen. Und wenn diese Diskussion anfängt, dann besteht da auch eine Chance dafür." Schmidt fügte hinzu: "Außerdem denkt man über die Abschaffung von Schengen als eine Maßnahme nach." (APA, red, 25.8.2015)