Hunderttausende werden in diesem Jahr eine gefährliche Reise in Kauf nehmen, um Europa zu erreichen. Viele davon fliehen vor dem Bürgerkrieg in Syrien oder der brutalen Repression durch die Regierung in Eritrea. Erreichen sie den Westen, werden sie ihr Leben zweimal riskiert haben: einmal auf der Fluch aus ihrem Land, das andere Mal beim Eintritt in unseres.

Die Opfer vieler vergangener Konflikte hatten mehr Glück. Nach der sowjetischen Invasion 1956 flohen 200.000 Ungarn nach Österreich und Jugoslawien. Binnen Monaten wurden sie auf Länder wie die USA, Australien, Brasilien und Tunesien aufgeteilt. Eine Generation später verstreute der Krieg Millionen in Indochina, die internationale Gemeinschaft siedelte 1,3 Millionen Menschen neu an. Und während der 1990er-Jahre wurden in den Balkankriegen fast vier Millionen Menschen vertrieben, wieder half die Welt.

In der gegenwärtigen Krise hat die EU dabei versagt, gemeinsam zu handeln. Das hat einzelne Staaten dazu gebracht, ihre Angelegenheiten selber in die Hand zu nehmen. Ungarn baut einen Zaun an der Grenze zu Serbien. Staaten an Außengrenzen versuchen, ihre Verpflichtungen im Asylsystem zu umgehen, indem sie nicht entsprechende Auffang- und Asylverfahrenskapazitäten bereitstellen.

Nachdem die Flüchtlingskonvention 1951 angenommen wurde, war Europa deren operationelles und moralisches Rückgrat. Dem ist nicht länger so. Im Mai stellte die EU-Kommission eine Agenda zur Migration vor, die – falls umgesetzt – den Europäern das geben würde, was sie verlangen: Kontrolle über Migrationsströme. In den meisten EU- Staaten sehen die Bürger legale Einwanderung positiv, nur das Chaos an den Grenzen treibt sie in die Arme von Populisten.

Dennoch fanden nur zwei Aspekte der Agenda unmittelbare Unterstützung: eine Militäraktion gegen die Menschenschmuggler und eine robuste Bemühung, Immigranten, denen kein internationaler Schutz zusteht, zurückzuschieben. Der Rest des Plans, der darauf abzielte, Leben zu retten und Lebensbedingungen zu verbessern, geriet in die Kritik.

Die am meisten bekämpfte Idee war jene, 40.000 Asylwerber aus Griechenland und Italien auf andere Mitgliedstaaten zu verteilen. Am Ende wurden nur 32.000 auf freiwilliger Basis akzeptiert.

Diese Programme verkörpern den Geist gemeinsamer Verantwortung, die der Kern der EU ist. Werden sie nicht permanente und verpflichtende Teile eines gemeinsamen europäischen Asylsystems, wird dieses auseinanderbrechen. Sollte es dagegen verbessert werden, könnte das europäische Asylsystem zum Modell für internationale Kooperation im Flüchtlingsschutz werden.

Europa muss es Flüchtlingen ermöglichen, in Sicherheit um Asyl anzusuchen. Das bedeutet nicht, dass jeder Bedürftige Schutz bekommen muss. Aber diejenigen, denen Europa das zugesteht, sollten nicht gezwungen werden, ihr Leben dafür zu riskieren. In der Praxis würde das bedeuten, dass es Menschen erlaubt sein sollte, Asyl von außen zu beantragen. Tausende syrische Flüchtlinge mit Qualifikationen, die in Europa gebraucht werden (Ärzte, Krankenschwestern, Bauarbeiter), schmachten in libanesischen oder jordanischen Flüchtlingscamps. Die EU könnte ihnen erlauben, um Arbeitsvisa anzusuchen.

Die Europäische Union verfolgt eine integrierte Asyl- und Migrationspolitik und sollte die Verschwendung und Redundanz von 28 Parallelsystemen eliminieren. Es sollte eine Asyl- und Immigrationsbehörde geben und eine einheitliche Küstenwache. Das Einwanderungssystem der EU muss reformiert werden im Geiste der Einheitlichkeit und Generosität – und im Einklang mit europäischen Werten. (George Soros, 24.8.2015)