Anna Badora beginnt ihre erste Spielzeit am Wiener Volkstheater mit der Dramatisierung eines Romans: "Fasching" hat am 5. September Premiere.

Foto: Andy Urban

STANDARD: Der Stern ist weg vom Wiener Volkstheater. Warum?

Anna Badora: Ich habe den roten Stern immer als ein Markenzeichen von Michael Schottenberg betrachtet. Der war sein Leitmotiv, das Symbol seiner Arbeit. Wir werden wieder die alte Spitze aufsetzen, die das Haus über 100 Jahre geziert hat. Wir werden den Stern wohl versteigern, um damit den notwendigen Eigenanteil der Renovierungen ein klein wenig zu reduzieren. Die Abnahme ist jedenfalls nicht ideologisch zu deuten!

STANDARD: Als erste echte Neuerung wurde im Zuschauerraum eine neue Tribüne installiert. Die Zahl der Sitze sinkt geringfügig, Sicht und Akustik sollen verbessert werden. Waren rein technische Überlegungen für die Adaption ausschlaggebend?

Badora: Ja, aber auch, weil die Zuschauer damit näher an die Bühne heranrücken. Was mich wirklich erstaunt hat: Ich habe mich in die Pläne der Architekten Helmer und Fellner vertieft, die das Theater erbaut haben. Die wollten in der Tat eine solche Tribüne einrichten. Sie bekamen nur die Auflage, 1.900 Plätze vorzusehen, davon 600 Stehplätze, die unter dem Balkon angesiedelt waren.

STANDARD: Sie kehren also baulich zum Gründungsgedanken zurück?

Badora: Ja, aber nicht als Selbstzweck. Allein die Verbesserung von Sicht und Akustik sind Gründe genug gewesen. Bei den Tanzfestivals mit provisorischer Tribüne konnten wir diese Verbesserung bereits beobachten. Ich mache mir trotzdem keine Illusionen, dass alles sofort perfekt ist. Im Laufe der ersten Spielzeit werden vielleicht noch kleinere Anpassungsarbeiten notwendig werden.

STANDARD: Wie lösen Sie die Frage, Stauraum für laufende Produktionen zu gewinnen? Das Volkstheater gilt als beengt. Weshalb sich kaum Dekorationen vor Ort anlagern lassen, was wiederum die Möglichkeiten einschränkt, Produktionen im Repertoire zu halten.

Badora: Eine wesentliche Verbesserung ist erst im Zuge der Generalrenovierung möglich. Erst dann kann man Durchbrüche machen, "Räume" erschaffen, etwa dort, wo sich jetzt Parkplätze befinden. Es gibt ein paar Varianten, je nachdem wie viel Geld vorhanden sein wird.

STANDARD: Wann kommt denn die Renovierung nun wirklich?

Badora: Es wurde uns von der Stadt zwar schon grünes Licht gegeben, ein Plan, wie was finanziert werden soll, liegt allerdings noch nicht vor. Wir rechnen bis Ende Dezember 2015 damit. Dann brauchen wir wohl noch bis zu zwei Jahre für die Detailplanung.

STANDARD: Ein allfälliger Umbau begänne 2017?

Badora: Exakt.

STANDARD: Ist das nicht ein Pferdefuß für Ihre erste Amtszeit? Eine solche Bewilligung kommt spät.

Badora: Natürlich wäre es bequemer, wenn ich alles bereits vorab erledigt vorgefunden hätte. Andererseits: Will man das Gebäude erhalten, muss das Theater renoviert werden. Man geht durch Gänge und sieht Fenster, die schon fast herausfallen. Unterstellt man den Verantwortlichen auch nur ein Minimum an Verantwortungsgefühl, kann es nur heißen: Ja, wir machen es, wir packen das, wir schaffen das. Man muss das Theater nicht einmal für lange Zeit am Stück schließen, sondern kann den Umbau in Phasen bewältigen. Man lagert dann zum Beispiel die letzte Inszenierung einer Spielzeit aus. Jürgen Flimm hat das seinerzeit in Köln gemacht, und seine Zeltproduktionen wurden Hits. Die Erschließung außerhäusiger Spielorte besitzt außerdem einen eigenen Reiz.

STANDARD: Wie steht es um die angekündigte Anhebung der Subvention durch Stadt und Bund?

Badora: Vom Bund gibt es noch immer keine verbindliche Zusage. Die zwei oder drei Tranchen der Stadt decken vorderhand nicht das Ausbleiben der Valorisierung. Ich erlebe zum ersten Mal in meiner Berufslaufbahn als Theaterdirektorin, dass die Valorisierung nicht ausgeglichen wird. In Düsseldorf oder Graz war das selbstverständlich. In Wien gibt es das nicht, und das bedeutet ein Ausbluten von innen. Auf drei Jahre bekommen wir von der Stadt jeweils 150.000 Euro Mehrsubvention. Damit können wir die Hälfte der uns jährlich entgehenden Mittel durch die fehlende Valorisierung ausgleichen. Unser Budget schrumpft also. Wir sind aber bezüglich des Bundes optimistisch.

STANDARD: Zu Beginn Ihrer ersten Spielzeit haben Sie sich einen mörderischen Stoff ausgesucht: Gerhard Fritschs Roman "Fasching". Der Kriegsheimkehrer Felix Golub wird in seiner österreichischen Heimatgemeinde von den Ewiggestrigen zu Tode gehetzt. Was macht man mit Fritschs fiebriger Prosa?

Badora: Diesen Stoff kann man nicht naturalistisch-psychologisch erzählen. Wir haben die Hauptfigur des Felix Golub aufgeteilt auf zwei Schauspieler, darunter auf einen jungen Absolventen der Berliner Ernst-Busch-Schule. Der zweite ist Puppenspieler Nikolaus Habjan, der den surrealen Teil vertritt. Wenn man halbwegs eine Chance gegenüber diesem Text hat, dann nur mit einer offenen Form. Einige Szenen sind von einer erstaunlich monströsen Theatralität. Der Autor hat unglaubliche Monologe geschrieben, Textschübe und manische Statements. Sobald man auf den Proben versucht, das "braver" zu machen, rutscht sofort alles weg. Das Normalmaß gilt hier nicht.

STANDARD: Welche Zeit räumen Sie sich ein, um Wien eine spezifische Melodie abzulauschen?

Badora: Wie Sie unserem Spielplan entnehmen können, bringen wir wienspezifische Themen bereits in der ersten Spielzeit massiv auf die Bühne. Nehmen Sie nur mal "Hakoah Wien", "Überzeugungskampf", "Homohalal", "Alte Meister", "Die Fleischhauer von Wien" und "Nachtschicht". Ob die Wienerinnen und Wiener diese nichtklassischen Stücke auch alle gleich annehmen werden, hoffen wir zwar, gehen aber nicht davon aus. Ich habe schon auf meinen ersten Pressekonferenzen um "Geduld" gebeten. Es mag hier auch andere Traditionen gegeben haben, auch solche des Schauens, der Gewohnheit, auf die Bühne zu blicken. Wir werden zum Beispiel versuchen, leichte, bewegliche Ausstattungen zu präsentieren. Auf das schwerfällig Ausformulierte wollen wir verzichten. (Ronald Pohl, 24.8.2015)