Die europäischen Staaten werden den Flüchtlingsstrom aus dem Süden nicht stoppen, weder mit Soldaten, Zäunen oder neuen Grenzkontrollen innerhalb der EU. Wenn Mazedonien die Grenze nach Griechenland sperrt, werden die Hürden einfach überrannt. Wenn Ungarn hohe Mauern an der Grenze zu Serbien errichtet, werden sich die Flüchtlinge neue Wege bahnen, möglicherweise über Kroatien. Schlepper werden von strengen Strafandrohungen nicht abgeschreckt; die meisten von ihnen sind keine Verbrecherbanden, sondern bieten eine Dienstleistung, die bitter benötigt wird.

Bayerische Zöllner werden jene Syrer, die es bis nach Österreich geschafft haben, nicht vom gelobten Ziel Deutschland fernhalten. Auch die Bilder von rechtsextremen Ausschreitungen gegen Asylwerber in Sachsen tun das nicht. Und politisch arbeiten alle EU-Staaten ohnehin gegeneinander, weil alle nur hoffen, dass die Flüchtlinge rasch weiterziehen.

Aber es gäbe sehr wohl Möglichkeiten, den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Niemand macht sich leichtfertig auf die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer oder kämpft sich über die Balkanroute nach Norden. Anders als oft behauptet kommen Syrer und Iraker nicht nach Europa, weil sie um ihr Leben fürchten. Denn aus dem Kriegsgebiet gelangen sie zuerst in die Nachbarländer Jordanien, Libanon und Türkei. Dort sind sie nicht mehr vom Tod bedroht, aber mit furchtbaren Lebensbedingungen konfrontiert.

Diese Länder haben bei der Flüchtlingshilfe Großes geleistet, wurden aber – so wie die internationalen Organisationen – von Europa im Stich gelassen. Dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR fehlt beinahe die Hälfte der Mittel, die es für eine Mindestversorgung benötigt, die Welternährungsorganisation FAO musste ihre Essensgutscheine drastisch kürzen, weil ihr das Geld ausging.

Das ist nicht nur schäbig, sondern auch kurzsichtig. Die ersten Jahre harrten viele Syrien-Flüchtlinge in der Nachbarschaft aus, in der Hoffnung auf eine Friedenslösung. Der jetzige Strom nach Norden ist ein Zeichen der wachsenden Verzweiflung. Bei so schlechten Aussichten nimmt man die Schreckensreise nach Europa in Kauf.

Viele Chancen wurden bereits versäumt, die Situation der Flüchtlinge in der Region zu verbessern. Aber auch jetzt noch wäre es etwa möglich, ein Abkommen mit der Türkei zu schließen, bei der die EU-Staaten mehrere Milliarden im Jahr zur Verfügung stellen, damit aus Lagern Ortschaften entstehen, in denen ein menschenwürdiges Leben nahe der alten Heimat möglich ist. Im Gegenzug könnte Ankara die eigene Seegrenze besser absichern und den Flüchtlingen eine legale Beschäftigung erlauben.

Auch Optionen für eine legale Einwanderung könnten den illegalen Flüchtlingsstrom in die EU dämpfen. Man muss nicht Millionen aufnehmen, aber gezielte Arbeitsvisa für syrische Ärzte und Ingenieure und die Vergabe zehntausender Studentenvisa würden bereits helfen. Einer Familie, die einen Sohn oder Tochter an einer europäischen Uni weiß, fällt es leichter, noch etwas länger im türkischen Lager auszuharren.

Auch dann würden noch Tausende die Fahrt nach Norden wagen, und jedes Land wäre weiterhin verpflichtet, die Ankommenden menschenwürdig zu behandeln. Aber bei großzügigerer Hilfe könnte man mit mehr Berechtigung an die Fluchtwilligen appellieren, dort noch zu bleiben, wo sie sind. (Eric Frey, 23.8.2015)