Der Historiker Stefan Karner erklärt seinen Ansatz für ein Haus der Geschichte, das 2017 in St. Pölten eröffnet werden soll.

Foto: Rita Newman

STANDARD: Sie konzipieren in St. Pölten ein Haus der Geschichte. In Wien wird diskutiert, ob es dort noch eines geben soll und wie es heißen soll: Haus der Republik, wie sich die SPÖ das wünscht, Haus der Zukunft, wie die ÖVP das vorschlägt, oder Haus der Kulturen, wie es den Grünen vorschwebt. Bleiben Sie in Niederösterreich bei einem Haus der Geschichte?

Karner: Ja. Ich bin vor einem Jahr von der niederösterreichischen Landesregierung zum Vorsitzenden eines internationalen wissenschaftlichen Beirats bestellt worden, Stellvertreter ist Wolfgang Maderthaner, der Generaldirektor des Staatsarchivs. Der Beirat hat 84 Mitglieder, vor allem Historiker und Museumsfachleute, auch aus den Nachbarländern. Thema, Zeit und Ort sind bei uns klar. Die Organisation steht.

STANDARD: Der Schwerpunkt wird also in Niederösterreich liegen?

Karner: Wir sehen Niederösterreich als Kernland Österreichs und Österreich selbst als Teil eines mitteleuropäischen oder zentraleuropäischen Raums. Die Geschichte Österreichs, seiner Menschen, ist ohne die jahrhundertealten Wechselbeziehungen im Raum, vor allem zwischen Dresden, Prag, Krakau, Bratislava, Laibach und Triest, gar nicht verständlich.

STANDARD: Ihr Anspruch ist es, die Geschichte Österreichs seit den Anfängen und nicht erst seit 1918 darzustellen?

Karner: Wir beginnen mit der Besiedelung des Raums und gehen bis heute. Die Zusammenhänge sind nur begreifbar, wenn wir die Vorgeschichte kennen.

STANDARD: Das ist ein anderer Zugang als jener, den die SPÖ mit dem Haus der Republik anpeilt.

Karner: Wir gehen hier in St. Pölten unseren eigenen Weg.

STANDARD: Welche Rolle werden denn der Austrofaschismus und der Nationalsozialismus spielen?

Karner: Es ist selbstverständlich, dass alle politischen Bewegungen auf dem neuesten Forschungsstand dargestellt werden. Dass die NS-Zeit und das ständestaatliche System in Österreich und deren Folgen dabei eine besondere Bedeutung haben werden, brauche ich nicht näher zu betonen. Ähnliches gilt für die KP-Regime bei den Nachbarn und ihre Implikationen auf Österreich.

STANDARD: Sie werden der ÖVP zugerechnet, es hat Sie der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll gefragt, ob Sie dieses Projekt übernehmen. Was sind die unterschiedlichen Zugänge, die sich bei der Gestaltung einer solchen Ausstellung aus Sicht der SPÖ und der ÖVP ergeben könnten?

Karner: Ich glaube, dass es da in der wissenschaftlichen Herangehensweise überhaupt keine Unterschiede mehr gibt. Da wird nichts geradegebügelt. Wir machen eine wissenschaftlich fundierte Ausstellung.

STANDARD: Über Engelbert Dollfuß gibt es in SPÖ und ÖVP nach wie vor unterschiedliche Sichtweisen.

Karner: Dollfuß, ein Niederösterreicher, wird im Haus der Geschichte Niederösterreich in seiner Widersprüchlichkeit dargestellt werden, was auch dem aktuellen wissenschaftlichen Diskurs entspricht. Er war der einzige von den Nazis umgebrachte aktive Regierungschef. Er hat sich mit völlig untauglichen Mitteln gegen die Nazis gestellt – "Die Nazis überhitlern!". Andererseits hat er ein System aufgezogen, das wir in keiner Weise gutheißen können.

STANDARD: In Wien wird seit Jahrzehnten über ein Haus der Geschichte diskutiert. Derzeit torpediert gerade die ÖVP das SPÖ-Konzept. Warum tut sich denn die Politik so schwer damit?

Karner: Das ist eine lange Geschichte. Bis zum Jahr 2008 habe ich in verschiedenen Zusammensetzungen selbst ein Haus der Geschichte für die Republik mit konzipiert. Danach hatte der Bund das Projekt nicht mehr im Visier. Da sprang Anfang 2014 Erwin Pröll in die Bresche. Ich habe gern zugesagt und mit mir viele an der Sache Interessierte.

STANDARD: Der Erste, der auf Sie zugekommen ist, war aber der damalige Kanzler Wolfgang Schüssel.

Karner: Die Idee ist an sich 70 Jahre alt. Konkret wurde sie für mich 1997 als Empfehlung der überparteilichen Denkwerkstatt "Österreich zukunftsreich". Das hat Schüssel dann 1998 aufgegriffen.

STANDARD: Wie weit soll der Rückblick reichen, wo hört man denn auf?

Karner: Unser Auftrag ist: bis heute. Und wir müssen bedenken, dass viele der Menschen, die in zehn Jahren in dieses Haus der Geschichte gehen, den Eisernen Vorhang gar nicht mehr erlebt haben und sich an den Kalten Krieg nicht mehr erinnern.

STANDARD: Verzeihen Sie die polemische Frage: Aber wenn das Haus der Geschichte bis heute reicht, wird Erwin Pröll als Landeshauptmann auch darin vorkommen?

Karner: Wir haben, was Österreich betrifft, natürlich auch einen starken regionalen Ansatz. Die österreichischen Länder sind ein konstitutives Element, zumal in der Geschichte. Eine Personality-Show machen wir nicht. Das wird sicher keine Pröll-Ausstellung werden.

STANDARD: In Wien wird diskutiert, ob es für ein Museum einen Neubau braucht oder ob man auf bestehende Gebäude zugreifen soll. Was ist denn Ihre Meinung?

Karner: Ich habe mich bis 2008 für einen Neubau ausgesprochen. Zwei Varianten hatten wir im Auge: einen Neubau im Bereich des Heeresgeschichtlichen Museums oder einen auf der sogenannten "Platte" im 22. Bezirk.

STANDARD: Wann wird in St. Pölten aufgesperrt?

Karner: Eröffnet wird 2017.

STANDARD: Da ist dann vielleicht ein Bundespräsident Pröll bei der Eröffnung dabei.

Karner: Das weiß ich nicht. Wir planen unabhängig von Wahlen, haben aber historische Daten im Kopf: Wir eröffnen im Jahr vor der Hundertjahrfeier der Republik.

STANDARD: Damit sind Sie ein Jahr vor dem Haus der Geschichte in Wien dran, wenn das denn so kommt.

Karner: Einen Terminwettbewerb sehe ich nicht. (Michael Völker, 24.8.2015)