Wie unter einem Vergrößerungsglas zeigen die politischen Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Flüchtlinge fast täglich auf, wie wenig Lösungskompetenz die österreichische Bundesregierung derzeit hat. Die Koalitionspartner können nicht miteinander, sie können auch nicht ohne einander – und das lässt sie in Momenten, wo sie handeln müssen, in etwas verfallen, das die Zoologie als Angststarre von Beutetieren kennt: sich nicht bewegen und hoffen, die Gefahrenquelle möge vorbeiziehen.

Anders ist es etwa nicht zu erklären, warum erst der Bundespräsident auf die Idee kommen muss, Kanzler und Vizekanzler einzuladen, ihn nach Traiskirchen zu begleiten, damit diese die rund 30 Minuten Fahrtzeit von der Wiener Innenstadt nach Niederösterreich auf sich nehmen. Was hat sie bisher davon abgehalten? Der Sommer war europaweit von diesem Thema geprägt. Und es hätte jedenfalls nicht geschadet, sich gleich vor Ort ein persönliches Bild von der verzweifelten Situation der nach Österreich geflüchteten Menschen zu machen. Vor Wochen schon. Vielleicht hätte das den Elan bei der Suche nach einer Lösung der Problematik in Traiskirchen auch befördert.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hätte Hilfe von der Regierungsspitze wahrlich gut gebrauchen können. Das Ressort, das sie führt, ist seit Jahrzehnten für das Thema Asyl und Flüchtlinge zuständig – dort müsste, zumindest auf Beamtenebene, ein Pool an inhaltlicher Kompetenz versammelt sein. Auf diesen kann Mikl-Leitner kaum zugegriffen haben, als sie vor den Landtagswahlen im Burgenland und in der Steiermark politische Spiele zu spielen begann. Just in der heißesten Wahlkampfphase Zelte aufstellen zu lassen, das sollte wohl die Landeshauptleute unter Druck setzen. Stattdessen zeigte sich: Die Innenministerin hat die Situation nicht im Griff. Bis heute: Einerseits die Bevölkerung aufzurufen, bei der Quartiersuche behilflich zu sein, andererseits aber immer wieder Angebote abzulehnen und Privatpersonen, die Spenden bringen, den Zugang zum Lager schwerzumachen (siehe auch Kopf) – das geht nicht zusammen und zeugt von politischer Überforderung.

Dazu kommt kleinliches Hickhack im politischen Tagesgeschäft: etwa mit der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die erst in Traiskirchen vorgelassen wurde, nachdem sie sich öffentlich darüber beklagt hatte, dass sie von den Behörden behindert werde.

Andererseits innerhalb der Koalition: Dass der Vorstoß der (schwarzen) Minister für Inneres und Justiz, die EU zu verklagen, nicht mit der roten Regierungshälfte abgesprochen war, konnte jedermann an der Reaktion des Bundeskanzlers erkennen.

Dazu passt die jüngste Beschwerde des Traiskirchner Bürgermeisters Andreas Babler, vom Innenministerium nicht informiert und ausreichend unterstützt zu werden. Eigentlich dürfte in der derzeitigen Situation kein Blatt Papier zwischen Mikl-Leitner und Babler passen. Engste Abstimmung, jede mögliche Hilfe für eine Kommune, die eine große Belastung zu schultern hat, wäre logisch. Auch wenn man Babler einen gewissen Zug zum Populismus nicht absprechen kann: Diese Gemeinde und ihr Bürgermeister leisten Enormes.

Dass man stattdessen lieber innerkoalitionäre Animositäten auslebt, kann man wiederum zoologisch deuten: als reflexartige Angstbeißerei aus eigener Schwäche.(Petra Stuiber, 22.8.2015)