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Dieser Stressball kam bei der US-amerikanischen Herstellerfirma von Flibanserin, Sprout Pharmaceuticals, zum Einsatz.

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Alexandra Kautzky-Willer ist seit 2010 Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien.

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STANDARD: Das Mittel Flibanserin zur Libidosteigerung für Frauen wurde letzte Woche für die USA zugelassen. Wie schätzen Sie die Chancen für eine Einführung in Europa ein?

Kautzky-Willer: Die European Medicines Agency, das europäische Äquivalent zur amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, ist eine Spur vorsichtiger. Oft werden Medikamente etwas zeitverzögert nach einer Zulassung durch die FDA auch in Europa zugelassen. Doch in letzter Zeit hat es öfter unterschiedliche Entscheidungen von FDA und EMA gegeben und ich könnte mir vorstellen, dass das auch bei Flibanserin der Fall sein wird.

So sind etwa bei Abnehmpillen in den USA einige Präparate zugelassen, die zentral wirken und aufgrund der Risiko-Nutzen-Abschätzung von der EMA bisher nicht zugelassen wurden, zumal in der Vergangenheit zentral wirksame Abnehmpillen aufgrund von Depressionen, Herzklappenfehlern oder Hypertension wieder vom Markt genommen werden mussten. Es wurden aber auch vonseiten der FDA weitere Sicherheitsstudien zu Flibanserin gefordert.

STANDARD: Es war bereits der dritte Anlauf für die Zulassung. Warum ist es jetzt gelungen?

Kautzky-Willer: Es waren auch nicht alle dafür, ein Drittel hat gegen die Zulassung gestimmt. Meines Erachtens hat auch ein genderspezifischer Aspekt eine wichtige Rolle gespielt: Es gab einen gewissen Druck von Teilen der Frauenrechtsbewegung. Es gebe so viele zugelassene Medikamente für Männer, die deren Sexualleben verbessern – und für Frauen nichts. Die Frauen dürften hier nicht benachteiligt werden. Das ist schon richtig, die WHO hat ein gesundes Sexualleben auch als integrativen Bestandteil der gesamten Gesundheit anerkannt.

STANDARD: Es gibt aber auch die konträre Position von feministischer Seite: dass der weibliche Körper mit Diagnosen und Medikamenten strenger kontrolliert wird.

Kautzky-Willer: Ja, der erwähnte Druck von Feministinnen, für die Sexualität der Frauen etwas zu tun, wurde von der Pharmaindustrie auch instrumentalisiert. Die eine Seite ist, dass Bedarf da ist und es keine Medikamente für Frauen gibt. Die andere Seite ist, dass dieser Gleichberechtigungsgedanke für einen Markt instrumentalisiert wird und die Gefahr besteht, dass ein enormer Druck ausgeübt wird – gesellschaftlich und medial. Denn was ist eine gesunde Sexualität überhaupt? Was für jemanden befriedigend ist, ist völlig unterschiedlich und kann im Laufe des Lebens auch sehr variieren.

Ich sehe die Gefahr, dass sich die Auffassung verbreitet, sexuelle Gesundheit bei Frauen bedeute, dass sie immer Lust haben. Wichtig ist, dass Frauen, auch was die Sexualität betrifft, selbstbewusst und selbstbestimmt handeln.

STANDARD: Sind die Erwartungen und Annahmen in Bezug auf Sexualität noch sehr geschlechterspezifisch?

Kautzky-Willer: Es gibt ja tatsächlich Unterschiede in der Sexualität von Männern und Frauen gibt. Die Präparate, die für Männer zugelassen sind, wirken auch ganz anders. Es kommt bei den meisten Präparaten, so wie etwa bei Viagra, zu einer vermehrten Stickstoffmonoxid-Freisetzung im Genitalbereich, es wird also einfach Blut hineingepumpt, und es kommt beim Mann in der Folge zu einem mechanistischen Ablauf, der Erektion.

Wenn Frauen Viagra nehmen, kommt es auch zu einer stärkeren Genitaldurchblutung, aber das reicht nicht aus. Bei Frauen ist es zentral, dass erstmal die Libido da ist. Das Gehirn spielt eine zentralere Rolle, wenngleich auch bei Männer Viagra nicht wirken wird, wenn sie überhaupt keine Lust haben.

STANDARD: Wie wirkt Flibanserin genau?

Kautzky-Willer: Das Mittel war ursprünglich für Depressionen in Entwicklung, wogegen es aber nicht effektiv war. Befragungen der Probandinnen zeigten aber, dass sie mehr Lust auf Sex hatten. Dann wurde einfach von einem Antidepressivum auf die Hyperaktive Sexualtriebsstörung bei der Frau geswitcht. Diese Störung ist im Katalog der psychiatrischen Erkrankungen relativ neu. Die Diagnose setzt voraus, dass die Lustlosigkeit andauernd ist, es dürfen auch keine anderen Ursachen vorliegen, und vor allem muss es einen Leidensdruck geben, dass die fehlende Libido wirklich mit einer Verschlechterung der Lebensqualität verbunden ist.

Das Medikament setzt bei den Synapsen im Gehirn an und sorgt dort dafür, dass mehr Dopamin und Norepinephrin freigesetzt wird und dass das Serotonin gesenkt wird, das steigert den Sexualtrieb. Vom Präfrontalen Kortex gehen Verbindungen zum limbischen System, dem Belohnungssystem, das bei befriedigendem Sex aktiviert wird. Man nimmt an, dass es bei Frauen mit dieser Sexualstörung ein Informationsverarbeitungsproblem in diesem Bereich gibt. Die Veränderung der Botenstoffe soll die Erregung steigern und gegen die Lustlosigkeit helfen.

STANDARD: An dem Präparat werden ein mangelnder Effekt und die vielen Nebenwirkungen kritisiert. Wie schätze Sie das Risiko-Nutzen-Verhältnis ein?

Kautzky-Willer: Die Vorkehrungen wegen der Nebenwirkungen sind enorm, und diese sind tatsächlich beachtlich: Blutdruckabfall, Ohnmacht, Schläfrigkeit, Schwindel, aber auch Übelkeit und Depressionen sind beschrieben; im Tierversuch kam es bei Mäusen bei längerer Anwendung auch zu einem höheren Brustkrebsrisiko, was bei Frauen aber bisher nicht gesehen wurde.

Das Mittel darf nur in bestimmten Apotheken ausgegeben werden, nur von speziell geschulten Ärzten und Ärztinnen verschrieben werden. Die Frauen, die das Mittel nehmen, dürfen keinen Alkohol zu sich nehmen, weil dieser die Nebenwirkungen verstärkt. Es muss aufgrund der Schwindelgefahr oder möglichen Blutdruckabfalls abends und außerdem täglich eingenommen werden. Auch gibt es viele Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, etwa mit oralen Kontrazeptiva für die hormonelle Empfängnisverhütung, die aber genau die gleiche Zielgruppe wie Flibanserin haben – also etwa 20- bis 40-Jährige.

Jene, die gegen eine Freigabe stimmten, hatte Bedenken, ob diese Vorsichtsmaßnahmen nicht ausreichend berücksichtigt werden, vor allem wenn ein Hype mehr verspricht, als das Mittel halten kann.

STANDARD: Der Nutzen ist zu gering?

Kautzky-Willer: Im Placebo-Versuch kam es durchschnittlich einmal mehr im Monat zu befriedigendem Sex, und mit Medikament war es 0,5-mal mehr als mit einem Placebo. Das zeigt auch, wie wichtig die Psyche ist und schlicht die Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Gruppe der Responder betrifft auch nur die Hälfte, es hat ja nicht bei allen gewirkt. Es haben insgesamt nur etwa zehn Prozent von substanziell mehr befriedigendem Sex im Vergleich zur Placebo-Einnahme berichtet.

STANDARD: Warum war die Aufregung dann so groß? Ein kanadischer Pharmakonzern bot kurz nach Bekanntgabe eine Milliarde Dollar für die Herstellerfirma.

Kautzky-Willer: Die Aufregung verstehe ich schon, denn die Sexualität von Frauen ist noch immer ein Tabu. Es gibt kaum Forschung dazu und auch bisher keine Medikamente – obwohl sexuelle Störungen nun als Erkrankung gelten. Es ist ein tatsächlich vernachlässigter Bereich, weil die Sexualität der Frau bisher nicht entsprechend ernst genommen wurde und auch der Bedarf und der Markt nicht erkannt wurden. Es ist aber ein sehr vielschichtiges, komplexes Thema, in das auch verschiedenste chronische Krankheiten, Ängste, Konflikte hineinspielen. Das alles bei einer sexuellen Störung auszuschließen und zu sagen, das sind jetzt nur die Botenstoffe, ist nur die Biologie im Gehirn – das ist sehr problematisch.

Es ist also einerseits zentral, dass mehr für die Sexualität von Frauen gemacht wird. Die Kehrseite ist aber, dass Druck auf Frauen ausgeübt wird und die Gefahr besteht, dass diese vorschnell pathologisiert werden. (Beate Hausbichler, 24.8.2015)