Wien – Wie nervös macht den ORF-General der Gebührenentscheid des Verwaltungsgerichtshofs? Dieses und eine Handvoll andere Probleme, Projekte und Pläne erklärt Alexander Wrabetz im STANDARD-Interview:

Keine Eile mit Gebühren

Wer allein über Web Radio hört, muss keine Gebühren zahlen, entschieden die Höchstrichter. Wrabetz wirkt gelassen: "Der Problemdruck ist in den nächsten Jahren nicht so groß." Höchstens ein paar Tausend Menschen konsumierten ORF-Radio allein über das Web.

Aber: "In zehn Jahren sollte es diese Gebührenlücke nicht mehr geben – dann könnte das schon relevantere Größenordnungen haben." In "politisch nicht aufgeheiztem" Klima stehe die Entscheidung an: Rundfunkgebühr auch für Web-Konsum oder gleich eine Abgabe für alle Haushalte.

Schon 2016 steht laut Gesetz ein Antrag auf Gebührenerhöhung an. Wie hoch die ausfallen soll, will Wrabetz "noch nicht gerechnet" haben.

Comedy und Co: Youtube-Kanäle

In der digitalen Welt hat der ORF einiges vor. Eine Arbeitsgruppe bastelt an Youtube-Kanälen des ORF, etwa für Comedy. Die Medienbehörde hat das Social-Media-Konzept des ORF darüber und mehr Aktivitäten auf Facebook gerade abgenickt. Vor allem ein "verlängertes Marketingtool" für den ORF, kein neues Geschäftsfeld, sagt er.

Fußball-App und soziale TVthek

Ein länger angekündigter ORF-Programmguide mit Empfehlungsfunktionen, auch für User, überfordert die Fernseh-IT des ORF noch. Und das Gesetz beschränkt Social-Media-Möglichkeiten des ORF für diesen Programmführer. Und er sieht heute keine Anzeichen für deren Lockerung. Als "ersten Schritt" kündigt Wrabetz nun eine "Individualisierung" der ORF-TVthek an, vor 2017.

Ab Mitte September soll die Fußball-App des ORF um Nationalteam, Bundesliga, EURO und Champions League, "Maßstäbe setzen", sagt Wrabetz.

Digitale Sniper

Wrabetz war im Frühsommer mit Medienmachern wie Niko Pelinka (Kobza Media) und Marcin Kotlowski (Wien Holding/W24) auf Kurz-Studienreise bei Google und Co im Silicon Valley.

Sein Befund über die "Herausforderer": "Da sitzen einige Tausend bis Zehntausend der intelligentesten Kids der Welt mit den größten Geldmengen und denken nach, wie sie eine Branche nach der anderen genau zwischen die Augen treffen können. Sie denken auch darüber nach, wie sie das klassische Fernsehen und Radio zwischen die Augen treffen. Sie meinen das nicht böse. Sie sind überzeugt, dass alles Bestehende verändert werden muss."

Flimmit, Klassik, das wär's

Netflix etwa habe das klassische Fernsehen bisher nicht ersetzt, auch nicht in den USA – "aber man muss es ernst nehmen." Der ORF setzt das Videoabrufportal Flimmit dagegen; bis 2016 will der ORF ein Klassik-Streamingportal starten. Hat Wrabetz mehr Streamingpläne? "Ich sehe heute keine weiteren Felder."

Video-Austausch über APA

"Sehr schwer umsetzbar" ist laut Wrabetz eine geplante Videokooperation des ORF mit Zeitungsportalen – die Wettbewerbsbehörde habe Einwände. Plan B lautet nun, "das über die APA zu organisieren. Das wird geprüft."

Schultern und Schlüsse

Die Video-Zulieferung sah Wrabetz als Beitrag des ORF zum vielbeschworenen "Schulterschluss" österreichischer Medien gegen internationale Giganten wie Google und Facebook. Seine Erfahrung, etwa bei "unsinnigen" App-Beschränkungen: "Kaum kommt man zur konkreten Medienrealität und zu einvernehmlichen Lösungen, dann finden sich plötzlich alle wieder in ihren Medien-Schrebergärten wieder, die sie ängstlich behüten."

Frühfernsehen aus Kitz

Wie für "Bewegungsspielraum" bei Apps bräuchte es für einen Regional-Fernsehkanal des ORF bräuchte es eine Gesetzesänderung, und die sieht Wrabetz derzeit nicht.

Vorerst – ab Frühjahr 2016 – kommt die Regionalität vor allem ins neue "Frühfernsehen". Von sechs bis neun Uhr meldet sich der ORF aus einer Gemeinde, in der tunlichst gerade etwas los ist – Hahnenkammrennen, Salzburger Festspiele, Narzissenfest oder Beach-Volleyball.

Zugabe: Generalswahl 2016

Tritt Wrabetz, 2016 zehn Jahre ORF-Chef, wieder an? Er wirkt so, sagt es aber nicht – nur: "Die Aufgabe und Herausforderung gehen weiter." Und eines schließt er aus: "Ganz sicher" will er nicht Bundeskanzler werden – was ja nicht alle bisherigen ORF-Generäle ausschließen.

Wrabetz "geht nicht davon aus", dass Finanzdirektor Richard Grasl 2016 gegen ihn antritt.

Ein Direktorenteam für 2016 kommentiert er nicht. Aber eine Bewerbung sollte jedenfalls die geplante neue Führungsstruktur des ORF enthalten: mit Direktoren für Information und Programm über alle Medien.

"Entbehrliche" Redakteurskritik

Die ORF-Redakteure sorgen sich um redaktionelle Vielfalt in dieser neuen Struktur. Wrabetz sagt, er überdenkt seine Organisationspläne dazu. Doch schon in jüngsten Ressortleiter-Besetzungen vermutet die Redakteursvertretung politische Geschäfte mit Blick auf die Generalswahl.

Wrabetz findet öffentliche Debatten darüber "absolut entbehrlich". Und: "Ich verstehe, dass sich immer mehr Mitarbeiter über öffentliche Abqualifizierung von Redakteuren durch den Redakteursrat beschweren."

Danke, Betriebsrat

Dem Betriebsrat ist Wrabetz "dankbar", dass der die Betriebsvereinbarung über Hearings gekündigt hat. Mit Form und Gewichtung der Hearings war Wrabetz so unglücklich wie Betriebsrat, Gleichstellungsbeauftragte und Kandidaten, sagt er.

Das hindert den ORF offenbar nicht daran, für kommende Woche zu einem Hearing über die Funktion des Chefredakteurs im Landesstudio Niederösterreich zu laden. Als Favorit gilt, wie berichtet, Vize und Bundesländerkoordinator Robert Ziegler.

Der ORF-Betriebsrat hat zudem beim Obersten Gerichtshof eine Feststellungsklage über die millionenschwere Anrechnung von Vordienstzeiten eingebracht. Er beruft sich auf eine Entscheidung des EU-Gerichtshofs. Wrabetz: "Offensichtlich war den EU-Richtern nicht bewusst, dass sie hier Unsinn rechtsprechen."

"Vorstadtweiber" und "Altes Geld"

Und wenn man Wrabetz nach einer Bilanz der ersten neun, bald zehn Jahre fragt und auch nach Entwicklungen, die er lieber ausgelassen hätte? Da kommt er auf "Mitten im Achten" – auch "eine Erfahrung" – und leitet elegant zu einem Lob der größtenteils weniger schwierigen Fiction-Produktion des ORF über. Lob für Fernsehfilm- und -serienchef Heinrich Mis, Exprogrammdirektor Wolfgang Lorenz, TV-Direktorin Kathrin Zechner und ihre Teams.

Und fürchtet sich Wrabetz schon vor Aufregung um die Schalko-Serie "Altes Geld" im Herbst, die um 20.15 oder kurz nach 21 Uhr laufen soll mit ihren durchaus gewagten Dialogen über Inzest, Sexualpraktiken, NS-Vergangenheit und Wiener Stadtpolitik? Eher nein: "Wer 'Vorstadtweiber' ausgehalten hat, wird auch 'Altes Geld' aushalten."

Nachfolgend das gesamte Interview:

Keine Eile mit Haushaltsabgabe

STANDARD: Der Verwaltungsgerichtshof hat vor wenigen Wochen entschieden: Wer ORF-Programme nur über Web empfängt, muss keine Rundfunkgebühr zahlen – weil das kein Rundfunkempfang ist. Wie schließen Sie die Lücke?

Wrabetz: Unmittelbar hat das kaum finanzielle Auswirkungen.

STANDARD: Ich höre von ein paar hundert Abmeldungen aufgrund der Entscheidung.

Wrabetz: Laut Radiotest sagen 0,6 Prozent der Bevölkerung, sie konsumieren Radio ausschließlich über Stream. Vier Prozent sagen, dass sie das regelmäßig aber nicht ausschließlich tun. Von den 0,6 Prozent hat vermutlich ein großer Teil einen Fernsehapparat – und zahlt deshalb Rundfunkgebühren. Da reden wir von einigen Tausend, die legitimerweise von sich behaupten können, sie konsumieren allein ORF-Radio und das alleine online. Und wir reden da von einer sehr überschaubaren Zahl von Abmeldungen. Ähnlich ist die Situation im Fernsehen – für das die Entscheidung in der Form ja nicht gilt.

STANDARD: Also Schwamm drüber?

Wrabetz: Das wird schon noch ein Thema in den kommenden Jahren. Durch die Entscheidung wurde eine Lücke offengelegt. In zehn Jahren sollte es diese Gebührenlücke nicht mehr geben – dann könnte das schon relevantere Größenordnungen haben. Also muss man sich dem Thema widmen: Kommt ein anderes, gerätebezogenes Modell, das diese Form des Konsums in die Gebührenpflicht einbezieht? Oder geht man geht man gleich in Richtung einer Haushaltsabgabe?

Foto: STANDARD/Newald

STANDARD: Haben Sie ein bevorzugtes Modell? Im Kanzleramt und etwa in der „Krone“ hört man „Haushaltsabgabe“ eher ungern.

Wrabetz: Der Punkt ist: Ein Drittel der Gebühren gehen schon heute an Trittbrettfahrer wie Bund und Länder. Für eine Haushaltsabgabe haben sich noch andere Medien angemeldet, sie wollen partizipieren – diverse Medienförderungen sollen nach diesem Modell aus dieser Haushaltsabgabe gespeist werden. Ich will keine Diskussion über ein System, das am Ende weniger Geld für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutet als bisher. Und zugleich wären wir, der ORF, ja wie in der Schweiz die SRG vermutlich Hauptthema der Debatte über die Haushaltsabgabe.

STANDARD: Also lieber keine Haushaltsabgabe?

Wrabetz: Der Problemdruck ist nicht so groß in den nächsten Jahren. Also kann man sich internationale Beispiele und Erfahrungen anschauen und mittelfristig entscheiden, welchen der beiden Wege man geht. Und das am besten in einer Phase politisch nicht aufgeheizter Diskussion.

STANDARD: Vor Ihrer übernächsten Bewerbung für die ORF-Generaldirektion sollte das also geregelt sein. Spätestens gleich nach einer nächsten Bewerbung und der ORF-Generalswahl 2016 müssen die Rundfunkgebühren neu berechnet werden – wie alle fünf Jahre. Wissen Sie schon, wieviel sie draufschlagen? Nach dem Verbraucherpreisindex wohl zirka acht bis zehn Prozent.

Wrabetz: Ist das eine STANDARD-Forderung - „Gebührenerhöhung jetzt!“ (lacht)?

STANDARD: Ich referiere, was das ORF-Gesetz vorschreibt. Haben Sie die nächste Gebührenerhöhung schon kalkuliert?

Wrabetz: Nein.

"Klassisches Fernsehen zwischen die Augen treffen"

STANDARD: Sie waren im Frühsommer mit Branchenkollegen wie Niko Pelinka (Kobza Media) und Marcin Kotlowski (Wien Holding/W24) für eine kurze Studienreise im Silicon Valley. Was lernt man dort für den ORF?

Wrabetz: Wir haben in drei Tagen mehr als 15 Unternehmen besucht, von Google bis zum Startup. Man spürt die ungeheure Dynamik dieser Region und ihrer Unternehmen. Man spürt diese starke Veränderung von Unternehmen und ihrer Kultur – bis hin zum Räumlichen.

STANDARD: Lerne Deine Feinde kennen?

Wrabetz: Nicht die Feinde, aber Deine Herausforderer – und wie sie ticken. Natürlich sehen Gesprächspartner dort die Sorgen und Bedenken der europäischen Medienunternehmen – und nehmen sie zunehmend ernst. Und sie beginnen, relativ intelligent damit umzugehen.

STANDARD / Newald

STANDARD: Zum Beispiel in Form von Kooperationen mit oder eher Förderungen für europäische Medienunternehmen, wie es Google tut. Für den ORF kommt diese Digital News Initiative weiter nicht infrage?

Wrabetz: Nein. Da geht es um einen verschwindend geringen Bruchteil des Marketingbudgets von Google – und wird dort wohl auch von Google verbucht. Ich bleibe bei meinem Bild von den Conquistadoren, die an die örtlichen Häuptlinge in der Neuen Welt ein paar Glasperlen verteilt haben. Da muss man nicht mitmachen.

STANDARD: Und wie wappnen Sie sich gegen die Conquistadoren aus dem Valley?

Wrabetz: Da drüben sitzen einige tausend bis zehntausend der intelligentesten „Kids“ der Welt mit den größten Geldmengen, die es gibt, und denken darüber nach, wie sie einer Branche nach der anderen genau zwischen die Augen treffen können. Bei manchen dauert das Zielen länger, bei anderen geht es dann ganz schnell. Das kann man von Uber ausgehend durchdeklinieren. Und diese Kids denken auch darüber nach, wie sie das klassische Fernsehen und Radio zwischen die Augen treffen. Sie meinen das nicht böse. Aber sie sind überzeugt, dass alles Bestehende verändert werden muss.

STANDARD: Bisher zielen sie im Fernsehen eher noch – wenn auch das klassische Pay-TV etwa in den USA schon wegen Netflix und Co immer stärker Abonnenten verliert.

Wrabetz: Netflix hat das klassische, lineare Fernsehen noch nicht ersetzt, auch nicht in den USA. Aber man muss es ernst nehmen. Das Mediennutzungsverhalten ändert sich auf Sicht völlig. Darauf muss man die richtigen Antworten finden. Noch sind es wir, die täglich 3,5 Millionen Menschen mit unseren Fernsehprogrammen erreichen und fünf Millionen im Radio. Wir brauchen uns noch keine Sorgen machen, dass uns das klassische Geschäftsmodell kurzfristig wegbricht. Aber wir brauchen Bewegungsspielraum, das Gesetz schränkt ihn derzeit ein.

Comedy und Co: Youtube-Kanäle

STANDARD: Die Medienbehörde hat gerade das ORF-Konzept für Social Media durchgewunken. Was haben Sie vor? Man hört von Youtube-Channels des ORF.

Wrabetz: Wir wollen unsere Aktivitäten auf den bestehenden Facebook-Seiten kontinuierlich weiterentwickeln. Wir haben auf all unseren Social-Media-Angeboten schon bisher eine Million User. Wir prüfen jetzt, wie wir mit Youtube umgehen. Viele unserer Inhalte sind schon jetzt, ohne unser Zutun, dort zu finden.

STANDARD / Newald

STANDARD: Und durchaus im Sinne des ORF.

Wrabetz: Zum Teil haben wir nichts dagegen und sehen das als verlängertes Marketingtool. Gegen missbräuchliche Verwendung gehen wir aber vor. Ich habe nun eine Arbeitsgruppe mit einem Konzept beauftragt, wo wir ein paar spezielle Youtube-Kanäle prüfen wollen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Wrabetz: Unsere Comedy-Angebote zum Beispiel sind schon jetzt auffindbar. Die kann man intelligent zusammenfassen und damit auch neue Programme anteasern. Das wäre eine der Möglichkeiten. Wenn es um unsere Angebote geht, und vielleicht kann man auch Zusätzliches anbieten, stärkt das die Marke ORF.

STANDARD: Kann man damit auch Geld verdienen? Wird es da Werbung geben?

Wrabetz: Im Prinzip kann man Aber das ist kein zusätzliches Geschäftsfeld. Das deckt allenfalls die Kosten – Youtube gibt nur sehr überschaubare Teile der Werbeeinnahmen weiter. Also werden wir prüfen ob und unter welchen Voraussetzungen wir hier partizipieren können.

Fußball-App und soziale TVthek

STANDARD: Mit welchen neuen, digitalen, womöglich sozialen ORF-Angeboten darf man noch rechnen?

Wrabetz: Mitte September kommt unser Fußballangebot, natürlich wie im Gesetz vorgesehen als Website und App. Die wird – im Rahmen des rechtlich Möglichen – Maßstäbe setzen. Hoffen wir, dass Rapid in der Champions League weiterkommt. Aber wir haben auch noch die Euro, die Erfolge der Nationalmannschaft, die Bundesliga, um die herum man das bauen kann. Das ist der nächste Schritt im Sinne unserer Strategie für den Second Screen.

STANDARD: Was wurde eigentlich – Stichwort Second Screen und Interaktion – aus dem Projekt Social TV – einem Programmguide des ORF etwa mit Empfehlungsfunktionen für die Zuschauer? Ich höre, die IT der ORF-Programmplanung und -abwicklung ist dafür schon etwas zu angejahrt.

Wrabetz: Der elektronische Super-Programmguide lässt sich in unseren IT-Systemen momentan nicht abbilden.

STANDARD: Dafür gibt es Ausschreibungen, oder?

Wrabetz: Da gibt es jedenfalls größeren Erneuerungsbedarf. Das ist der eine Grund, warum dieses Projekt doch länger dauert und dauern wird. Der zweite: Mit den gültigen Beschränkungen des ORF-Gesetzes ist das Vorhaben nicht voll umsetzbar. Daher wird es zunächst als ersten Schritt – noch in dieser Geschäftsführungsperiode – eine Weiterentwicklung der TVthek in Richtung Individualisierung geben.

Schulter-Schluss

STANDARD: Der ORF beklagt sich – neben anderen Wünschen an das ORF-Gesetz – regelmäßig über die Vorgabe, dass Apps eine Entsprechung im Netz brauchen. Haben Sie Anzeichen, dass sich da etwas bewegen könnte?

Wrabetz: Damit rechne ich nicht. Wir haben gerade bei der jüngsten Änderung gesehen, dass selbst kleine Novellen eine lange Vorlaufzeit haben. Uns ist nicht gelungen, …

STANDARD: … größere ORF-Wünsche durchzusetzen.

Wrabetz: Vertreter aller großen Mediengattungen im Land haben oft und laut den nationalen Schulterschluss gegen die Googles dieser Welt ausgerufen. Aber kaum kommt man zur konkreten Medienrealität und zu einvernehmlichen Lösungen, dann finden sich plötzlich alle wieder in ihren Medien-Schrebergärten wieder, die sie ängstlich behüten. Dann achten die Zeitungen und die Privatsender peinlich genau auf die Umzäunung des ORF, statt sich um ihre eigenen Gärten zu kümmern. Zum Beispiel, wenn man auf die unsinnigen Beschränkung für ORF-Apps kommt, , die das Leben und Gestalten mühsam macht.

STANDARD: Medienminister Josef Ostermayer hat im Juni nach den Schulterschluss-Mantren von Zeitungen, Privatsendern und ORF eine Arbeitsgruppe einberufen, die Medienthemen gemeinsam klären soll.

Wrabetz: Meine Erfahrung ist: Wenn es konkret wird, bleibt vom Schulterschluss oft nichts übrig. Aber natürlich gibt es ein paar gemeinsame Themen wie Urheberrecht. Daher ist es immer gescheiter, man spricht miteinander. Dann findet man vielleicht bei der nächsten Novelle auch ein Nadelöhr, wo man durchkommt.

STANDARD / Newald

STANDARD: Wie weit ist denn der recht konkret ausgearbeitete Schulterschluss des ORF mit den Zeitungen über die Zulieferung von Videoinhalten für Websites?

Wrabetz: Die wird sehr schwer umsetzbar sein – wenn überhaupt. Es gab mehrere Gespräche mit der Bundeswettbewerbsbehörde. Sie deuten darauf hin, dass die Behörde uns da so viele Probleme bereitet, dass die ursprünglich geplante Form nicht umsetzbar sein wird.

STANDARD: Ist das ganze Projekt damit gestorben?

Wrabetz: Wir müssen einen anderen Weg suchen, wie wir das eigentlich Geplante umsetzen. Es war ja unser Beitrag zum Schulterschluss, dass wir unsere Bewegtbildinhalte verstärkt anderen österreichischen Anbietern zur Verfügung stellen wollen. Wenn es nicht mit einem eigenen Vehikel geht, könnten wir versuchen, das über die APA zu organisieren. Das wird jetzt geprüft.

STANDARD: Schauen Sie da womöglich ein bisschen neidisch auf die Schweiz, wo gerade das Pendant zum ORF, das Pendant zur Telekom Austria und der zweitgrößte Verlag mit der größten Kaufzeitung ihre Werbe-Vermarktung zusammenlegen wollen – auch dort vorbehaltlich der Genehmigung durch Wettbewerbsbehörden?

Wrabetz: Nicht neidisch, aber ich bin gespannt, wie die Zusammenarbeit konstruiert wird, damit sie dem Schweizer Wettbewerbsrecht entspricht. Grundsätzlich zeigt sich aber, etwa auch in Österreich, dass nationales Wettbewerbsrecht die Zusammenarbeit gegen globale Riesen wie Google oder Facebook schwieriger macht.

STANDARD: Die Schweizer erklären ihren Zusammenschluss als Gegengewicht zu Google und Co. Die österreichische Wettbewerbsbehörde ließ sich von dieser Sicht offenbar nicht überzeugen.

Wrabetz: Die Frage hier lautet, und deshalb bin ich gespannt auf die Schweizer Regelung: Müssen sich immer alle Player an einer solchen Plattform beteiligen können? In der Schweiz ist das offenbar nicht geplant. Für andere Player als Kunden müssen sie natürlich potenziell offen sein. Das wäre auch bei unserer Videokooperation der Fall gewesen. Ich will aber in diesem Fall gar nicht über die österreichische Wettbewerbsbehörde schimpfen.

STANDARD: Stichwort Schulterschluss ORF und Zeitungen: Sie und Ihr Finanzdirektor Richard Grasl flogen im Frühjahr eigens zur jährlichen Klausur des Zeitungsverbandes nach Rom. Seither blüht in ihrem Haus die Fantasie, was Sie mit den Verlegern nicht alles ausgemacht hätten, damit die Zeitungen zum Beispiel bei einer nächsten Novelle Verständnis für mehr digitale Entwicklungsmöglichkeiten des ORF zeigen, vielleicht auch für eine ORF-Haushaltsabgabe.

Wrabetz: Und zwar?

STANDARD: Der Deal, so wird in Ihrem Haus spekuliert, würde zum Beispiel umfassen: ein Radio- oder gar ein Fernsehkanal, zum Beispiel ORF 1, würden verkauft – oder zumindest werbefrei.

Wrabetz: Echt? Ich war ja dabei, und kann authentisch berichten: Nein, nichts davon, all das war gar kein Thema. Das Treffen hat zwar eine angenehme Atmosphäre gebracht, war aber für unsere Interessen ein Schuss in den Ofen. Wir haben versucht, noch vor der ORF-Novelle deutlich zu machen: Ein größerer Bewegungsspielraum in Richtung Apps ist notwendig, aber wir wollen keineswegs die inhaltlichen Grenzen des ORF-Gesetzes aushebeln – also natürlich zum Beispiel keine Dating-Apps etc. Die Verleger haben uns in Rom zwar grundsätzlich Verständnis signalisiert. Aber im Ergebnis ist daraus nichts geworden.

Früh in Kitz

STANDARD: Aus Rom noch einmal kurz über das Silicon Valley in die Bundesländer: Marcin Kotlowski, Ihr Studienmitreisender nach Kalifornien, plant nach dem Regionalsender-Kanal R9 auch eine digitale Plattform für regionale Bewegtbildinhalte. Macht er da womöglich dem ORF Konkurrenz, der ja traditionell stark auf Landesstudios und Länder baut?

Wrabetz: Die in R9 zusammengeschlossenen, vor allem lokalen Sender, wollen auf einer gemeinsamen digitalen Plattform präsent sein. Das ist nichts, was unsere Aktivitäten tangiert.

STANDARD: Was wurde eigentlich aus Ihren Überlegungen für einen eigenen Fernsehkanal für regionale Inhalte vor allem der Landesstudios?

Wrabetz: Dafür bräuchten wir ja auch eine Gesetzesänderung. Das ist sicher kurzfristig nicht realisierbar. Die Idee mündet vorerst in unser Projekt Frühfernsehen …

STANDARD: Warum eigentlich die neue ORF-Sprachregelung Frühfernsehen statt Frühstücksfernsehen?

Wrabetz: Weil es das Richtigere ist. Die Leute frühstücken ja nicht drei Stunden. Das soll auch kein klassisches Frühstücksfernsehen sein, mit Kaffeehäferln im Studio. Unser Modell ist neu – der ORF geht permanent zu den Bürgern des Landes.

STANDARD: Bleibt es bei der ersten Pilotsendung zum Nationalfeiertag, Start dann nächstes Jahr?

Wrabetz: Nein, ich bereite jetzt den Antrag auf Schemaänderung für den ORF-Stiftungsrat im September vor. Wir haben jetzt auch Angebote für die Logistik des mobile Studios, die unserer Kalkulation entsprechen. Also ist das Projekt im Rahmen der Kosten umsetzbar. Starten soll es im Frühjahr 2016.

STANDARD / Newald

STANDARD: Was sehe ich dann in den drei Stunden? Ein Truck fährt in die Gemeinde – und sendet drei Stunden was?

Wrabetz: Es ist ein mobiles Studio, wie auch immer es transportiert wird: Der ORF ist in Österreich unterwegs, da draußen, wo Österreich ist – und nicht immer nur auf dem Küniglberg. Die in dieses Frühfernsehen eingebetteten Früh-„ZiBs“ kommen natürlich von hier und sind ein wichtiges, strukturierendes Element.

STANDARD: Und drumherum?

Wrabetz: Wir rücken Österreich und die jeweiligen Gegenden ins Bild. Nicht, wie man uns schon wieder nachgesagt hat, den Bürgermeister und den Landeshauptmann. Sondern die Stadt, die Gemeinde, die Bevölkerung. Ich bin tief überzeugt, dass man in der Früh eine – der Morgenstimmung entsprechende – schöne Gegend oder Besonderheiten des Landes oder des Ortes sehen will – und nicht drei Stunden lang Mord, Krieg und Terror. Die müssen natürlich in den eingebetteten Nachrichten vorkommen.

STANDARD: Schöne Gegend wird drei Stunden eher nicht füllen.

Wrabetz: Natürlich richten wir uns logistisch möglichst nach Ereignissen: Um das Hahnenkammrennen senden wir zum Beispiel aus Kitzbühel, Beach Volleyball wird uns nach Klagenfurt führen, es gibt die Salzburger Festspiele, das Narzissenfest im Ausseerland… Und zu überregionalen Themen, die aktuell zu besprechen sind, müssen ja nicht immer nur Wiener Experten zu Wort kommen.

STANDARD: Gemeinden, Länder, vielleicht auch Tourismusverbände und Eventveranstalter sollen einen Beitrag leisten – zum Beispiel in Form von Produktionskostenzuschüssen?

Wrabetz: Von den Gemeinden gibt es grundsätzlich positive Signale, das zu unterstützen, weniger mit Geld als mit Logistik. Eine Gemeinde wird vielleicht eine Location und vielleicht auch einen Stromanschluss zur Verfügung stellen. Und weil das eine unterhaltende Sendung und kein klassisches Informationsprogramm wird, ist Unterstützung rechtlich möglich. Das bedeutet aber nicht: Wir kommen nur in einen Ort, wenn wir Geld bekommen.

Projekte, Projekte: Von Ö3X bis Klassikportal

STANDARD: Ein ausständiges Projekt unter vielen des ORF ist ein zweiter Radiosender von Ö3 für eine jüngere Zielgruppe, Arbeitstitel Ö3X. Ist der Kanal beerdigt – mit der etwas beleidigt klingenden Absage an den Digitalradio-Pilotversuch in Wien?

Wrabetz: Nicht beleidigt, nur konsequent. Fast alle Teilnehmer an dem Pilotversuch sind auf DAB+ mit anderen Programmen vertreten als auf UKW – Arabella zum Beispiel mit einem Rocksender. Das Wesen von DAB+ ist ja nicht, dass man einen neuen Abspielweg für das gleiche Programm hat. Man hat auch vor dem Testbetrieb gewusst, dass DAB+ technisch funktioniert und dass die ORS das zusammenbringt. Es geht um die inhaltliche Weiterentwicklung des Radios. Und wenn der Gesetzgeber – oder auch der Wettbewerb – uns sagt: Ihr dürft euch aber nicht entwickeln, dann macht es für uns wenig Sinn.

STANDARD / Newald

STANDARD: Der ORF hätte Ö3X laut Gesetz immerhin sechs Monate ausprobieren dürfen.

Wrabetz: Aber dann wieder zusperren, ist auch blöd. Auch von diesem Projekt weiß ich schon vorher, dass Georg Spatt und Albert Malli von Ö3 daraus etwas Spannendes machen können. Das brauche ich nicht ein paar Monate probieren. Da ist die Frage: Kann ich das längerfristig testen, und zwar bis ein paar hundert solcher Empfangsgeräte auch wirklich in Betrieb sind? Wenn die ersten ihr DAB-Radio aufgedreht haben, muss ich schon wieder abdrehen.

STANDARD: Weiß die ORF-Marktforschung vielleicht schon, wie DAB+ genutzt wird?

Wrabetz: Ich fürchte, das ist für die Marktforschung noch nicht messbar.

STANDARD: Dafür kommt nun das – voriges Jahr im STANDARD-Interview angekündigte – Klassikportal, eine Art Netflix für Opern und Konzerte. Gibt es weitere Themenfelder für solche Portale des ORF?

Wrabetz: Nein. Wir sind gut aufgestellt mit Flimmit für den fiktionalen und Doku-Content und andererseits mit dem Klassikthema, wo wir die Chance haben, etwas wirklich Überregionales mit der Unitel auf die Beine zu stellen. Klassik aus Österreich ist ein plausibles Angebot; ein Bereich, in dem wir ohnehin ständig neu produzieren; und ein Bereich, für den wir mit ORF 3 und Ö1 perfekte Partner in Fernsehen und Radio haben. Klassik liegt strategisch nahe. Jetzt müssen wir erst einmal das starten und entwickeln. Ich sehe heute keine weiteren Felder.

STANDARD: Warum präsentiert denn ein Klassikportal nicht der heimliche Operndirektor Alexander Wrabetz, sondern sein kaufmännischer Direktor?

Wrabetz: Für mein Kulturimage brauche ich wenig tun, das ist bekannt. Aber da es ein kommerzielles Projekt ist, fällt es in den Bereich des kaufmännischen Direktors. Da kann man ruhig arbeitsteilig vorgehen.

"Ganz sicher nicht" Bundeskanzler werden

STANDARD: Bevor wir zur Arbeitsteilung mit Richard Grasl kommen, vielleicht eine grundsätzliche Frage nach Ihrer Arbeit: Haben Sie eigentlich noch Spaß am Job? Sie wirken durchaus so.

Wrabetz: Ja, wobei: Hauptaufgabe meines Jobs ist ja nicht, Spaß zu haben oder zu machen.

STANDARD: Wenn man knapp ein Jahr vor der Entscheidung steht, ob man sich für weitere fünf Jahre im selben Job bewirbt, sollte man sich vielleicht fragen, ob man den Job noch mag.

Wrabetz: Ja, ich habe Freude daran, auch weil uns etwas gelungen ist: Wir haben die größte Wirtschaftskrise und eine komplette Marktöffnung gemeistert und sind weiterhin stabiler Marktführer. Damit haben wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich abgesichert…

STANDARD: Also könnten Sie sich eine neue Herausforderung suchen.

Wrabetz: … die Aufgabe und Herausforderung geht aber weiter: Wir stehen vor der Herausforderung, den ORF am Standort Küniglberg neu aufzustellen; zugleich die Herausforderungen aus der digitalen Welt zu bewältigen – und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Das wird noch eine gewisse Arbeit erfordern.

STANDARD: Das heißt: Sie würden gerne weitermachen und werden sich 2016 als ORF-General für die nächsten fünf Jahre bewerben?

Wrabetz: Ich werde das jetzt nicht ankündigen.

STANDARD: Weil Sie eigentlich Bundeskanzler werden wollen?

Wrabetz: Das will ich ganz sicher nicht.

STANDARD / Newald

STANDARD: Was ist eigentlich der strategische Gedanke, eine Bewerbung für den ORF-General möglichst spät kundzutun? Wird man damit formal zum Angriffsziel für Mitbewerber?

Wrabetz: Die Geschäftsführung ist noch für fast eineinhalb Jahre bestellt. Es spricht ja für die Bedeutung des ORF, dass der Entscheidung über eine Vertragsverlängerung eines Geschäftsführers soviel Aufmerksamkeit zukommt. Aber unter diesen Bedingungen ist es vor allem für das Unternehmen besser, diese Phase möglichst kurz zu halten, in der das Thema öffentlich durchdekliniert wird.

STANDARD: Rechnen Sie mit einem Gegenkandidaten Richard Grasl, der offenbar Rückenwind spürt durch eine neuerdings knappe Mehrheit ÖVP-naher Stiftungsräte? Nach unseren Informationen soll er Ihnen versichert haben, dass er nicht gegen Sie antritt.

Wrabetz: Was wir unter vier Augen besprechen, kommentiere ich nicht öffentlich. Ich gehe nicht davon aus.

STANDARD: ORF-Generaldirektorin Monika Lindner ist auch nicht davon ausgegangen, dass ihr Finanzdirektor Alexander Wrabetz gegen sie antritt – und schon gar nicht, dass er das Match um die ORF-Führung gegen die Kandidatin der Kanzlerpartei gewinnt.

Wrabetz: Wovon ich ausgehe, muss ja auch nicht der Realität entsprechen. Aber ich würde sagen, ich habe einen sehr ausgeprägten Realitätssinn.

STANDARD: Aber wenn Sie General bleiben wollen und Richard Grasl ein ORF-politisch erstarkter Finanzdirektor bleibt, dann könnte das Kompetenzen, Personalbesetzungen und dergleichen kosten. Haben Sie schon einen Überblick über den einschlägigen Aufwand für eine allfällige Wiederwahl unter diesen Bedingungen?

Wrabetz: Es gehen doch alle davon aus, dass der Stiftungsrat ein entpolitisiertes Gremium ist.

STANDARD: Nicht alle.

Wrabetz: Mein Ziel sind breite, sachorientierte Mehrheiten im Stiftungsrat über alle Grenzen hinweg. Das ist mir die letzten Jahre mit allen Abstimmungen im Stiftungsrat gelungen. Das möchte ich so auch beibehalten. Ich habe bei vielen Stiftungsräten das Gefühl, dass die Sachorientierung im Mittelpunkt steht. Und ich habe bis jetzt keine Forderungen gehört, die sich aus irgendwelchen Arithmetiken ableiten.

STANDARD: Hat sich das Geschäftsführungsteam eigentlich bewährt, mit dem sie 2011 angetreten sind – also Finanzdirektor Grasl, Fernsehdirektorin Kathrin Zechner, Radiodirektor Karl Amon, Technikdirektor Michael Götzhaber?

Wrabetz: Ich glaube, wir sind eines der besten Teams in der ORF-Geschichte. Die machen alle einen hervorragenden Job in ihren Bereichen.

STANDARD: Das heißt, Sie würden gern weiter mit diesem Team arbeiten – wenn Sie antreten?

Wrabetz: Karl Amon wird in Pension gehen…

STANDARD: Abgesehen von Altersfragen.

Wrabetz: Wenn ich jetzt schon über mein Antreten nichts sage, sage ich schon gar nichts zum Team. Die machen einen sehr guten Job.

STANDARD: Was wurde eigentlich aus der neuen ORF-Struktur mit einem Infodirektor und einem Head of Creative über alle ORF-Medien?

Wrabetz: Die kommt erst in der nächsten Geschäftsführungsperiode.

STANDARD: Warum?

Wrabetz: Weil sich herausgestellt hat…

STANDARD: … dass das bei der Generalsbestellung ein paar Stimmen im Stiftungsrat kosten könnte, etwa von Betriebsräten?

Wrabetz: Nein. Weil sich herausgestellt hat, dass es ein paar Fragen gibt, die strukturell geklärt gehören. Zum Beispiel die Auswirkung auf Betriebsratskörperschaften. Aber da geht es vor allem auch um die Frage: Wie organisiert man den Übergang, wenn Radio, Fernsehen, Online erst in fünf, sechs Jahren physisch zusammengeführt werden? Die Sorge etwa des Radiobetriebsrats lautet: Wer kümmert sich um die Radios in ihrer Gesamtheit, wenn sie im Funkhaus arbeiten, aber keinen Fachdirektor haben. Kurzum: Es ist gut, das gleichzeitig mit einer neuen Geschäftsführungsperiode anzugehen.

STANDARD: Das heißt: Wenn Sie sich bewerben, dann mit neuer Struktur mit Head of Information und Head of Creative, aber ohne Radiodirektor.

Wrabetz: Da bewegen wir uns jetzt in vielen Wenn-Ebenen. Mit einer Wahl ist auch ein Beschluss über eine Geschäftsverteilung verbunden.

STANDARD: Man könnte auch mit einer alten Geschäftsverteilung antreten.

Wrabetz: Das könnte man natürlich auch. Aber wer immer sich bewirbt, sollte damit schon die Weichen stellen – sonst ist das Thema wieder fünf Jahre schwierig.

STANDARD: Aber Sie bleiben bei Ihrem Modell mit Head of Information und Head of Creative und Channel Managern für jeden ORF-Kanal…

Wrabetz: Ja, aber es muss auch klar sein, wer für die Radioflotte die Verantwortung hat und in der Übergangsphase bis zum integrierten Standort kompetenter Ansprechpartner und Vertreter der Radiointeressen im Gesamtunternehmen ist.

STANDARD: Und auch beim Plan, dass die Chefredakteure der einzelnen Kanäle dem Info-Direktor hierarchisch unterstellt sind und nicht den Channel-Managern?

Wrabetz: Das ist noch einer der offenen Punkte.

STANDARD: Weil sie inzwischen unsicher sind, ob Sie das im Stiftungsrat durchbekommen?

Wrabetz: Die Frage ist, und darauf haben auch die Redakteure hingewiesen: Wie stellt man in einem integriert arbeitenden Newsroom Vielfalt noch besser sicher? In dem Newsroom muss es Koordination geben – sonst macht er wenig Sinn. Andererseits soll es starke Produktverantwortliche geben. Dafür brauchen wir das beste Organisationsmodell.

STANDARD: Das Leben in der Matrix.

Wrabetz: Aber mit möglichst einfacher Zusammenarbeit in der alltäglichen Realität.

STANDARD: Wann darf man mit dem Spatenstich für das neue Newscenter auf dem Küniglberg rechnen?

Wrabetz: Das wird erst nach der Wahl sein.

"Entbehrliches" Misstrauensvotum

STANDARD: A propos Redakteure und Generalswahl: Der Vorsitzende des Redakteursrats hat Ihnen im Zusammenhang mit einer Ressortleiter-Bestellung gerade das Misstrauen ausgesprochen, ein Schiedsverfahren zu der Bestellung eingeleitet – und hinter den Vorgängen politische Geschäfte mit Blick auf die Generalswahl vermutet.

Wrabetz: Ich finde es absolut entbehrlich eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Vorsitzenden des Redakteursrats und mir aufgeregt öffentlich auszutragen. Und ich verstehe, dass sich immer mehr Mitarbeiter über die öffentliche Abqualifizierung von Redakteuren durch den Redakteursrat beschweren. In den letzten vier Jahren gab es 130 Personalbestellungen für leitende Funktionen. Bei zwei oder dreien gab es Dissens mit den Redakteuren.

STANDARD: … oder den zuständigen Direktoren. Und womöglich mehr als zwei oder drei.

Wrabetz: Sollen es fünf Fälle gewesen sein, eine Handvoll, in denen es Dissens mit den Redakteuren gab. Ich habe mir die Bestellungen gerade noch einmal durchgesehen: Fast alle sind heute unbestritten in ihrem Job. Ich habe eine ziemlich hohe positive Trefferquote in der Qualität der Leute und wie sie sich dann entwickelt haben. 40 Prozent davon waren Frauen. Das kann sich durchaus sehen lassen.

STANDARD: Wie geht es in der aktuellen Causa weiter? Der Redakteursrat sagt: Sie haben das nötige Prozedere nicht eingehalten, die Gegenargumente der Redakteure nicht wie vorgesehen angehört, der Fachdirektor habe keinen Kandidaten vorgeschlagen.

Wrabetz: Ich gehe davon aus, dass es keine Grundsatzfrage ist, wenn man in einer Abstimmung nicht einer Meinung mit den Redakteuren ist. Materiell hat es die Gespräche mit den Redakteuren gegeben, und ich kannte ihre Bedenken. Ob das auch formal korrekt abgelaufen ist, wird jetzt ein Schiedsgericht klären.

STANDARD: Haben sie schon einen Vertreter entsandt?

Wrabetz: Nein. Aber das werde ich.

Wenn EU-Richter "Unsinn rechtsprechen"

STANDARD: Der Betriebsrat hat nach den letzten Hearings, auch über diesen Job, die Betriebsvereinbarung über solche Auswahlverfahren gekündigt.

Wrabetz: Die Hearings haben sich nicht gut entwickelt. Darüber waren alle einig: Betriebsrat, Gleichstellungsbeauftragte, Betroffene und ich. Man kann Hearings als ein Element der Entscheidungsfindung definieren, das Kandidaten und insbesondere auch Frauen die Möglichkeit geben soll, das Management auf sich aufmerksam zu machen, das schließlich über den jeweiligen Job entscheidet. So waren sie gedacht. Wenn man aber Hearings als entscheidendes Instrument definiert …

STANDARD: Das hat vor allem der Radiodirektor so definiert.

Wrabetz: Es hat sich so entwickelt, und einige haben das auch gesagt. Das hat den Hearings eine übergroße Bedeutung verliehen. Dafür waren sie nicht ausgerichtet. Da sollen – durchwegs respektable – Führungskräfte in einer Viertelstunde Kandidaten beurteilen, und das besser, als ihre womöglich langjährigen Vorgesetzten. Das muss man neu aufsetzen. Insofern bin ich ganz froh, dass der Betriebsrat diese Betriebsvereinbarung aufgekündigt hat. Jetzt muss man schauen, wie man das neu aufsetzt.

STANDARD: Haben Sie Ihre Vorstellungen dem Betriebsrat inzwischen mitgeteilt?

Wrabetz: Wir werden nach dem Sommer Gespräche darüber beginnen.

STANDARD: Der Betriebsrat hat auch den Obersten Gerichtshof gegen den ORF eingeschaltet – im Streit über die millionenschwere Anrechnung von Vordienstzeiten.

Wrabetz: Die ganze Geschichte basiert auf einem problematischen EU-Urteil. Offensichtlich war den EU-Richtern nicht bewusst, dass sie hier Unsinn rechtsprechen. Und noch weniger waren ihnen die ökonomischen Auswirkungen auf viele Unternehmen bewusst. Sie haben genau das Gegenteil von Gerechtigkeit produziert, aus einem formalistisch angewandten Gleichbehandlungsgrundsatz.

STANDARD: Was ist falsch daran?

Wrabetz: Das ist einer jener Fälle, wo man an europäischen Institutionen ein bisschen verzweifeln kann – die ganz formalistisch und nicht materiell den Gleichheitsgedanken anwenden. Das versuchen wir jetzt inhaltlich vor dem Obersten Gerichtshof, und ich denke, wir haben sehr gute Argumente vorgebracht wieso der EUGH-Spruch im ORF-Fall nicht anzuwenden ist Die Entscheidung betrifft ältere Dienstnehmer in lange geschützten Bereichen, die ohnehin besser geschützt sind und mehr verdienen als jüngere Mitarbeiter. Außerdem geht es um Bildungszeiten, die sehr lange zurück liegen. Da fragt man sich, ob die Inhalte von damals in der heutigen Zeit nicht längst überholt sind, auch durch während der Dienstzeit erworbenes zeitgemäßes Fachwissen. Kein ORF-Mitarbeiter wäre ohne das missverständliche EUGH-Urteil auf die Idee gekommen hier etwas zu fordern. Aber ich respektiere den Betriebsrat, der gerichtlich klären will ob das EUGH-Urteil anwendbar ist.

Foto: STANDARD/Newald

STANDARD: Die Geschäftsführung antwortete auf die Feststellungsklage mit einem Sparpaket für Rückstellungen – wissen Sie schon, wo Sie kürzen?

Wrabetz: Es sind aber ein paar schmerzliche Millionen, die wir gerne sinnvoller einsetzen würden, zum Beispiel im Programm. Das sind keine dramatischen Einschnitte. Aber dass es so bei der nächsten Lohnrunde nicht einfacher wird, ist auch klar.

STANDARD: Täuscht der Eindruck: Die Streitigkeiten mit dem Betriebsrat über die einige Millionen schwere Anrechnung von Vordienstzeiten und über Hearings überlassen Sie lieber Finanzdirektor Grasl?

Wrabetz: Der Kaufmännische Direktor hat mich während meines Urlaubs vertreten. Aber selbstverständlich führe ich ansonsten auch die unangenehmen Diskussionen und Verhandlungen natürlich in Beratung mit dem Kaufmännischen Direktor und dem Personalchef. Und letztlich haben wir im ORF mit diesen Verhandlungen in guter Sozialpartnerschaft große Fragen wie die vergangenen Sparpakete oder den neuen Kollektivvertrag gelöst.

STANDARD: Sie haben die interne Revision des ORF ausgelagert – an die Wirtschaftsprüfungskanzlei von Karl-Heinz Moser, der bei der Hypo Alpe Adria und auch im Untersuchungsausschuss dazu eine nicht unwesentliche Rolle spielte – als Wirtschaftsprüfer der Hypo und direkt danach als Aufsichtsratspräsident der Bank in den 2000er Jahren.

Wrabetz: Die Auslagerung der Revision hat sich bewährt. Der zuständige Mann in der Kanzlei macht mit dem Team einen sehr guten Job. Die Beauftragung läuft noch eine Zeit, und ich sehe keinen Grund, daran etwas zu ändern. Dann muss die Aufgabe neu ausgeschrieben werden.

"Wer 'Vorstadtweiber' ausgehalten hat, wird auch 'Altes Geld' aushalten"

STANDARD: Wenn Sie schon vorerst nicht sagen wollen, ob Sie bei der Generalswahl 2016 antreten – für die Bilanz könnten Sie ja schon einmal brainstormen? Bestimmt eine Erfolgsbilanz.

Wrabetz: Wenn Sie's sagen… (schmunzelt) aber an sich stimmt's. Wir haben eine komplette Marktöffnung in Fernsehen und Radio hinter uns gebracht, und liegen dennoch – von Jänner bis Juli 2015 – bei 35 Prozent Marktanteil. Ja, das ist naturgemäß weniger als vor zehn Jahren – aber auch im internationalen Vergleich sehr gut. Wir sind Marktführer im Fernsehen, und vor allem in der Information überlegener Marktführer – in der Fernsehinformation entfallen weit über 90 Prozent der gesehenen Minuten auf unsere Programme. Im Radio haben wir zwischen 73 und 74 Prozent Marktanteil. Und online sind wir im klassischen Web unter den österreichischen Angeboten mit weitem Abstand die Nummer eins. Bei den App-Angeboten sind wir nicht so stark, wie wir sein sollten – das aber auch wegen gewisser Beschränkungen. Wir sind in den schwarzen Zahlen, haben die Zukunftsfelder gut besetzt – und haben fast alles gewonnen, was man gewinnen kann – von Oscar über Emmy bis zum Song Contest. Laut einer aktuellen Umfrage bewerten 65 Prozent der Österreicher die Arbeit des ORF mit sehr gut oder gut und nur 4 Prozent mit schlecht.

STANDARD: Worauf sind Sie denn in den bald zehn Jahren Alexander Wrabetz als General besonders stolz?

Wrabetz: ORF 3 ist sicher eine bleibende Neuerung, der Sender hat sich im Bewusstsein der Österreicher gut verankert und entwickelt sich sehr gut. Das ist eine schöne Ergänzung der Flotte. Und der Song Contest 2015 war sicher ein Markstein, den haben wir exemplarisch gut für Österreich umgesetzt.

STANDARD: Wird eigentlich einer der Väter des organisatorischen Erfolgs, Pius Strobl, im ORF angestellt bleiben – vorerst ist sein Dienstvertrag ja bis Ende September befristet?

Wrabetz: Wir bleiben jedenfalls in Verbindung. Ich möchte, dass er das Plattform-Management, HD-Einführung jedenfalls weiter macht, die er vor dem Song Contest für uns über seine Agentur gemacht hat, und weitere Themen.

STANDARD: Wie „Mutter Erde“?

Wrabetz: Welche Themen, möchte ich hier nicht festlegen. Und die Form überlegen wir noch. Ob nun mit einem Beratungsvertrag oder anders, werden wir sehen.

STANDARD: Nach dem Besten der bald zehn Jahre Wrabetz muss ich Sie auch nach dem Schlechtesten fragen – oder anders: Was hätten Sie gern ausgelassen?

Wrabetz: Ach, ich weiß nicht. Letzlich war auch „Mitten im Achten“ rückblickend eine wertvolle Erfahrung. Aber natürlich kann man auf sowas verzichten. Man hat damals nicht geschafft, dem Format die hysterisierte Bedeutung zu nehmen. Seither haben wir alleine in den letzten vier Jahren 400 Fernsehproduktionen und Coproduktionen beauftragt – der allergrößte Teil hat funktioniert, und nur wenige lagen fundamental daneben. In Summe ist auch die Bilanz im Fiktionalen sehr gut.

STANDARD: Der ORF-General ist ja letztlich für alles verantwortlich, aber: War das ein Kompliment an Ihre Fernsehdirektoren?

Wrabetz: Natürlich. Ich habe sie ja ausgewählt und ermögliche das außerordentlich kreative, manchmal auch riskante Projekte gemeinsam mit der Filmwirtschaft umgesetzt werden. Was Wolfgang Lorenz und Heinrich Mis und Team und in den letzten Jahren Kathrin Zechner und Heinrich Mis und Team geschaffen haben, das kann sich wirklich sehen lassen.

STANDARD: Fürchten Sie sich eigentlich schon vor der Aufregung über David Schalkos "Altes Geld“ im Free TV mit ein paar recht explizit besprochenen Reizthemen von Inzest über Sexualpraktiken und Nazivergangenheit bis Wiener Landespolitik? Läuft das im Hauptabend um 20.15 Uhr?

Wrabetz: Im ersten oder zweiten Hauptabend. Wer "Vorstadtweiber" ausgehalten hat, wird auch "Altes Geld" aushalten.
(Harald Fidler, 22.8.2015)