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Ein Minister mit Machtanspruch: Josef Ostermayer (SPÖ), hier bei einer versöhnlichen Begrüßungsgeste mit einem Vertreter der neuseeländischen Maori anlässlich einer Restitution im Weltmuseum.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Am 22. Mai 2015 konnte man im Séparée des Wiener Café Landtmann einer kulturpolitischen Premiere beiwohnen. Grüne, Neos und Freiheitliche setzten sich gemeinsam an einen Tisch, um vor Journalisten einhellig eine Gesetzesnovelle des Kulturministers zu zerpflücken. Ein "Worst-Case-Szenario" sei die Änderung jenes Gesetzes, das den finanziell angeschlagenen Bundestheaterkonzern organisieren soll. Der Minister hatte sich mit dem Gesetzesentwurf zwei Tage zuvor die volle Entscheidungsbefugnis bei den Theatern gesichert – lächelnd und voller Zuversicht.

Josef Ostermayer (SPÖ) weiß, dass sein Politikstil durchaus ankommt. Den Hang zum Machtwort zeigte der Kulturminister schon bei seinem Amtsantritt, als er die Causa Burgtheater mit der Entlassung von Direktor Matthias Hartmann kurzerhand zur Chefsache erklärte. Die Opposition wittert seither Verschleierung, der Koalitionspartner schweigt, und die Republik bleibt im 70. Jahr ihres Bestehens in gewohnten kulturpolitischen Bahnen. Doch was charakterisiert diese Republik überhaupt kulturpolitisch?

Theatralischer Neubeginn

"Das Wesentlichste war und ist, dass Österreich eine kulturelle Infrastruktur erhalten muss, die ursprünglich für eine mitteleuropäische Großmacht und nicht für einen Kleinstaat hergestellt wurde", so Politologe Michael Wimmer, einer der renommiertesten Experten auf dem Gebiet.

Der Jurist Heimo Konrad hat Parteiprogramme aus 70 Jahren auf ihren kulturpolitischen Inhalt untersucht. Die ÖVP versuchte demnach, das Feld von Anfang an zur Errichtung einer neuen österreichischen Identität zu nutzen. In ihrem Programm von 1945 verknüpfte die Partei Kulturpolitik auch mit der Forderung nach Schutz für die Kirche als "vornehmliche Kulturträgerin". Die SPÖ zog 1947 nach und bekannte sich zur "Förderung der Sport-, Bildungs- und Kulturorganisationen als Ausgleich gegen die schädliche Wirkung der Arbeitsmechanisierung". Als die Budgetmittel 1952 knapp wurden, fokussierte die ÖVP auf Wissenschaftsförderung, die SPÖ forderte "Luxussteuern". Positionen, die man ähnlich auch heute findet.

Der erste kulturpolitische Konflikt wurde rund um die Wiedereröffnung des im Krieg zerstörten Burgtheaters ausgetragen. Sowohl architektonisch als auch inhaltlich entschied man konservativ: Das moderne Siegerprojekt des Architekturwettbewerbs stellte man zugunsten eines historisierenden Wiederaufbaus zurück. Und beim Eröffnungsstück fiel die Wahl auf Grillparzers König Ottokars Glück und Ende anstelle von Goethes Egmont: traditionelle Österreich-Verklärung statt unbequemer Befreiungsthematik.

Kulturpolitisch avantgardistisch handelte hingegen der Grazer Künstler Leo Scheu. Das von ihm 1952 erbaute Grazer Künstlerhaus blieb 50 Jahre lang der einzige Neubau für bildende Kunst nach 1945. Regionale Initiativen dieser Art gab es ansonsten kaum. "Ab den Siebzigerjahren meldete dann aber die SPÖ, zumindest formal, die Anwaltschaft für die Gegenwartskunst an", so Wimmer. Die SPÖ sei unter Kreisky der Meinung gewesen, Kulturpolitik müsse "durchaus radikal" sein.

Längstamtierend im Kulturministerium – das bis zur Ära Ostermayer ans Bildungsministerium gekoppelt blieb – war Fred Sinowatz, der 1983 Kreisky als glückloser Kanzler nachfolgte. In den zwölf Jahren seiner Amtszeit wurden Berichtswesen und Beiräte eingeführt, die Bundestheater erstmals in einem Verband zusammengeführt. In den 1980er-Jahren ging man sukzessive dazu über, Kulturförderung auch gesetzlich zu regeln. Parallel zur gesamtpolitischen Situation hielt ab den Achtzigern eine verstärkte Marktorientierung Einzug. Daneben war es auch die Zeit großer kultureller Empörungen. Während die Aktionisten der 1960er- und 1970er-Jahre noch als freie Radikale störten, kam es in den 1980ern zu ersten "subventionierten" Skandalen: Gipfel der Erregung blieb die Heldenplatz-Aufführung (1988) im Burgtheater. Die SPÖ, so Wimmer, verspielte in dieser Zeit jedoch auch Kredit bei den Künstlern wegen ihrer Haltung bei der Hainburger-Au-Besetzung. Das wiederum stärkte die Grünen, die sich als Partei selbst als "kultureller Widerstand auf allen gesellschaftlichen Ebenen" verstanden.

Die FPÖ, die sich in ihrem liberalen Programm von 1985 auch für die Förderung des "experimentelle Kulturschaffens" einsetzte, sagte unter Jörg Haider linken Künstlern den Kampf an. Marion Knapp kam jedoch in einer Arbeit zu dem Ergebnis, dass die schwarz-blaue "Wende" kulturpolitisch nicht stattgefunden hat. Das Förderwesen sei in Form von Stipendien und Preisen sogar noch ausgebaut worden. Mit dem Einbringen des Ausländer-Diskurses hätte die FPÖ eigentlich erreicht, dass Kulturpolitik – etwa in Wien – auch erstmals als Integrationspolitik gesehen wird, meint Wimmer.

Ein heißer Herbst

Bei den Parteien ortet er einen starken Trend zur Personalisierung. Das sei insbesondere an Ostermayer zu bemerken. Auf den selbstbewussten Minister wartet indes ein heißer Herbst. Denn bei seinen umstrittenen Plänen für ein Haus der Geschichte mischte sich nach langem Schweigen nun wieder der Koalitionspartner ein.

Einer Umfrage zufolge begrüßen 58 Prozent der Bevölkerung die Schaffung eines Hauses der Geschichte. Ostermayer baut auf diesen Rückenwind. Zu denken gibt aber vielleicht ein Zitat des Philosophen Leibniz, der selbst eine Art früher Kulturpolitiker war: "Wer Wahrheit sucht, der darf nicht die Stimmen zählen." (Stefan Weiss, 21.8.2015)