Ein Forschungsergebnis sorgte kürzlich für Aufsehen: Mehr als zwei Drittel der erwachsenen US-Amerikaner sind übergewichtig oder fettleibig. Aber nicht nur die USA haben mit gewichtigen Problemen zu kämpfen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Europäische Region in Kopenhagen warnte vor einer europäischen "Übergewichts-Krise enormer Ausmaße". Besonders dramatisch werde diese Irland treffen: Laut Prognosen könnten dort bis 2030 fast alle Erwachsenen übergewichtig sein.

Doch welchen Einfluss hat die genetische Ausstattung bei der Entwicklung von Übergewicht und Adipositas? Ein Forscherteam der Technischen Universität München (TUM), des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Harvard Medical School in Boston erforschte zur Klärung dieser Frage die genetischen Ursachen von Übergewicht.

Bereits im Jahr 2007 wurde ein Bereich innerhalb eines Gens, des so genannten FTO-Gens, als wichtigster genetischer Kandidat für Übergewicht entdeckt. Bisher konnte aber nicht geklärt werden, über welchen Mechanismus diese Genregion beim Menschen Übergewicht verursacht.

FTO wirkt auf Vorläuferstufen von Fettzellen

Mit der bioinformatischen Methode untersuchten die Wissenschafter, in welchen Gewebetypen die FTO-Region am stärksten angeschaltet oder auch epigenetisch verändert war – ein Zeichen für besondere genetische Aktivität. Das Ergebnis war überraschend: "Viele Studien haben versucht die FTO-Region mit Gehirnbereichen in Verbindung zu bringen, die den Appetit oder die Neigung zu körperlicher Aktivität kontrollieren", erklärt Melina Claussnitzer, Hauptautorin der Studie.

"Wir konnten jetzt zeigen, dass die regulatorische Region innerhalb von FTO am stärksten in Vorläuferstufen von Fettzellen wirkt – unabhängig von Schaltkreisen im Gehirn", ergänzt die Expertin. Die Wissenschaftler vermuteten deshalb, dass fehlgeschaltete Prozesse in den Vorläuferzellen für die Entstehung von Übergewicht verantwortlich sein könnten. Sie untersuchten Proben aus Fettgewebe von Menschen, die entweder die normale oder die Risikoregion des FTO-Gens trugen. Das Ergebnis: Nur in der Risiko-Gruppe waren zwei bestimmte Gene – IRX3 und IRX5 – angeschaltet.

Fettspeicherung statt Fettverbrennung

"Weitere Experimente zeigten, dass IRX3 und IRX5 einen Prozess aktivieren, der die Vorläuferzellen dazu bringt, sich in Fettspeicherzellen zu entwickeln und die Fähigkeit zur Fettverbrennung zu verlieren", sagt Ernährungsmediziner Hans Hauner an der TUM. "Dieser Effekt verändert offenkundig das Energiegleichgewicht und kann zu Übergewicht beitragen."

Den Forschern gelang es auch diesen Prozess gezielt zu beeinflussen: Schalteten sie IRX3 oder IRX5 in Kulturen mit menschlichen Fettgewebs-Vorläuferzellen an, aktivierten sie das Fettspeicherprogramm. Waren die beiden Gene dagegen nicht aktiv, verbrannten die Zellen Fett und erzeugten Hitze. Anschließend konnten sie die Ergebnisse auch in Tierexperimenten bestätigen: Mäuse, bei denen IRX3 in Fettzellen ausgeschaltet wurde, hatten einen erhöhten Stoffwechsel und nahmen unter einer Hochfett-Diät nicht zu.

Doch nicht nur den Mechanismus, sondern auch die exakte genetische Ursache konnten die Forscher in ihrer Studie entschlüsseln. Sie fanden eine einzige Position innerhalb der Region des FTO-Gens, die bei der Risiko-Variante verändert war. Reparierten die Wissenschaftler in menschlichen Fettzellen diesen Defekt mit gentechnischen Methoden, funktionierten sie wieder normal und steigerten die Fettverbrennung und Wärmebildung, statt Fett zu speichern. (red, 20.8.2015)