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Unterm rot schimmernden goldenen Drachen des asiatischen Schnellrestaurants wechseln Hans-Jürgen Lazar, Simon Bode, Holger Falk, Kateryna Kasper und Hedwig Fassbender bravourös die Rollen.

Foto: APA / Dietmar Stiplovsek

Bregenz – Das Musiktheaterquartett dieses Bregenzer Festspielsommers ist komplett; und es zeigt sich, wie sinnig die diesjährigen Produktionen ineinandergreifen. Der goldene Drache von Peter Eötvös, das Stück wurde 2014 in Frankfurt uraufgeführt, bildet durch die Beschwörung von China eine Klammer zu Puccinis Turandot auf der Seebühne, wählt dabei aber freilich eine völlig andere Perspektive.

Zugleich kehrt auch die Travestie wieder, die Stefan Herheim zur Leitidee seiner Inszenierung von Offenbachs Hoffmanns Erzählungen im Festspielhaus erhob. Und das Andere, Fremde, Exotische als (Neben-)Thema findet sich ebenso in Mozarts Oper Così fan tutte, die das neue Opernstudio im Vorarlberger Landestheater zeigt.

Ob das alles Absicht war, sei dahingestellt – die Gesamtdramaturgie ist jedenfalls überaus schlüssig und inspirierend, zumal sie die pure Sinnlichkeit auch mit einem Anspruch verbindet, über bloß hübsche Unterhaltung hinauszugehen.

Eötvös' Novität kann denn auch keineswegs nur als obligates zeitgenössisches Feigenblatt verstanden werden – vielmehr formuliert sie den Anspruch auf aktuelle Relevanz. Und das leider mit einer Dringlichkeit, die bei der Planung dieser Festspiele wohl kaum absehbar war. Denn das Musiktheater spielt mitnichten in China, sondern in einem "Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant irgendwo in Europa".

Migranten im Albtraumbild

Die Protagonisten sind Migranten, die in übelsten Verhältnissen dahinvegetieren. Für den Jüngsten von ihnen, ohne Geld und ohne Papiere, bedeutet ein kranker Zahn da schon das Todesurteil: Der Koch zieht ihn, der "Kleine", wie der junge Patient im Stück liebevoll heißt, verblutet.

Wie ein Albtraumbild taucht im Libretto von Roland Schimmelpfennig, es basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück des gefragten und vielgespielten deutschen Dramatikers von 2010, auch ein Flüchtlingsboot auf. Und das inmitten des grotesken, mitunter schreiend komischen Geschehens, bei dem fünf Darsteller knapp 20 Rollen übernehmen und ein Geflecht von Episoden ausbreiten, die scheinbar zusammenhangslos, aber doch miteinander verbunden sind. Etwa die Fabel von der Ameise und der Grille mit dem Schicksal eines zwangsprostituierten Mädchens – der Schwester des Jungen, die er ergebnislos sucht?

Eötvös hat dafür eine fantastische Musik geschrieben, die beim Naheliegendsten anknüpft: bei chinesischen Gongs und Pseudochinarestaurantkulinarik, bei Tierlauten und Filmmusikanleihen. Doch führt er damit ebenso in die Irre wie mit dem fröhlichen Spiel auf Töpfen und Tischen, mit dem der Abend beginnt.

Die Heiterkeit weicht auch musikalisch bald Trauer und Tragik – meisterhaft malt Eötvös diese Stimmungen. Er mischt die Farben des Ensemble Modern mit seinem Dirigenten Hartmut Keil (der auch die laufende Così fan tutte im Vorarlberger Landestheater leitet) zu schillernden Klangfeldern und schreibt dabei für die Sänger unerhört melodiös.

So darf Kateryna Kasper als "der Kleine" mit ihrem tollen, leichten Sopran eine berückende Schlusskantilene singen und Hedwig Fassbender u. a. als alte Köchin und als junge Schwangere sowohl stimmlich als auch darstellerisch virtuos zwischen den Charakteren wechseln. Gleich wie Simon Bode, Holger Falk und Hans-Jürgen Lazar, die abwechselnd Kellnerin, Gäste und Arbeitstiere in der viel zu engen Küche geben.

Diese übrigens ist ein Ort, den das Bühnenbild von Hermann Feuchter inmitten einer trostlosen Ansammlung ärmlicher Dinge ebenso skizzenhaft suggeriert wie die vielen anderen Schauplätze der Handlung.

Grauen, Groteske, Realismus

Innerhalb der Schimmelpfennig'schen Dramaturgie, die lose Handlungsfäden immer wieder zusammenführt, vieles aber auch bei Andeutungen belässt, sorgt die Inszenierung von Elisabeth Stöppler für größtmögliche Orientierung. Sie zeigt das Grauenhafte deutlich genug und schafft es dennoch, es nahtlos mit den märchenhaften Strängen zu verbinden. Natürlichkeit, Groteske und Realismus fließen in der Regie ebenso ineinander wie bei Text und Musik in dieser menschlichen Darstellung unmenschlicher Zustände. (Daniel Ender, 20.8.2015)