Frankreichs Präsident François Hollande möchte die französische Verfassung ändern, um im Einklang mit Prinzipien der EU die kulturelle Vielfalt im Lande und im Besonderen den Schutz der Minderheitensprachen zu stärken. Derzeit heißt es in der Verfassung: Die Sprache der Republik ist französisch. Korsen, Basken und Bretonen sind damit nicht einverstanden und kämpfen schon seit langem für mehr Anerkennung für ihre Regionalsprachen. Andere sind vehement dagegen.

Frankreich ist nicht das einzige Land in Europa, in dem es Minderheiten mit eigenen Sprachen gibt. Die Katalanen, die für ihre Provinz die Unabhängigkeit von Spanien anstreben, haben schon lange erreicht, dass Katalanisch als offizielle Landessprache anerkannt ist. Das Gleiche gilt für Südtirol, das zu Italien gehört, wo aber Deutsch gesprochen wird. Und als Minderheitensprache in der Minderheit gibt es noch Ladinisch, die Sprache der Grödner. In der Schweiz gelten Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch als Landessprachen.

Nicht alle Volksgruppen, nicht nur in Frankreich, haben für ihre Sprachen diesen Status erreicht. Die Ungarn in der Slowakei und die Slowenen in Österreich wünschen sich mehr Anerkennung. Und Romanes, die uralte, nur durch mündliche Überlieferung erhaltene Sprache der Roma und Sinti, hat überhaupt keinen Status. Aber braucht man diese sogenannten "kleinen Sprachen" eigentlich? Wen kratzt es, wenn sie mit der Zeit verschwinden, wie es im Laufe der Jahrhunderte schon mit vielen Sprachen geschehen ist?

Als Lingua franca gilt in Europa ohnehin schon längst das Englische. Wissenschaftliche Arbeiten werden in vielen Disziplinen nur noch auf Englisch geschrieben. Das Sprachengewirr in Europa erscheint vielen als überflüssiger Luxus, der die Verständigung erschwert und beispielsweise bei den europäischen Institutionen ein kostspieliges Heer von Dolmetschern und Übersetzern nötig macht. Dies, obwohl ohnehin alle Beteiligten Englisch können.

Aber dieses pure Nützlichkeitsdenken widerspricht dem Geist Europas. Man wolle ein Europa aufbauen, das auf dem Prinzip der Demokratie und der kulturellen Vielfalt innerhalb der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität beruht, heißt es in der Präambel der europäischen Charta über die regionalen und Minderheitensprachen von 1992. Das ist ein Kompromiss zwischen denen, die Vielsprachigkeit als Störfaktor für den nationalen Zusammenhalt in einem Staatsgebilde empfinden, und denen, die darin eine Bereicherung sehen.

Die Kompromissformel klingt kompliziert, ist aber einfach. Die Minderheitensprachen sind die bunten Tupfer auf der Sprachenlandkarte. Sie sind kostbar und schützenswert, auch wenn sie nur von ein paar Tausend Leuten gesprochen werden. Wenn es eines Tages niemanden mehr gäbe, der Bretonisch oder Ladinisch spricht, wäre Europa ärmer. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 19.8.2015)