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Die EU-Kommission reagierte auf die Klagsdrohung aus Österreich gelassen, Verfassungsjuristen räumen ihr kaum Chancen ein.

Foto: dapd/Winfried Rothermel

Wien – Die Ankündigung klingt entschlossen: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Justizminister Wolfgang Brandstetter (beide ÖVP) drohen der EU-Kommission mit einer Klage gegen die Dublin-Asylverordnung. Die schwarzen Ressortchefs halten das im Lissabon-Vertrag verankerte Prinzip der fairen Lastenverteilung und der gegenseitigen Solidarität angesichts steigender Flüchtlingszahlen für nicht mehr eingehalten. Der Kommission wollen sie nun eine zweimonatige Frist zur Anpassung der Verordnung geben. Andernfalls folge eine Untätigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Man beruft sich dabei auf ein Rechtsgutachten des Innsbrucker Juristen Walter Obwexer im Auftrag des Innenministeriums (siehe Wissen unten).

Eine Fristsetzung per Ministerratsbeschluss, wie sich die ÖVP das vorstellt, könnte aber eine leere Drohung bleiben. Aus dem Bundeskanzleramt, mit dem der Vorstoß nicht abgesprochen war, kommen deutlich ablehnende Signale. Es sei wichtig, dass alles unternommen wird, damit es zu einer fairen Aufteilung von Flüchtlingen in Europa kommt. "Die Durchsetzung einer EU-Quote auf rein rechtlicher Ebene scheint aber nicht möglich zu sein, deshalb muss eine Durchsetzung weiterhin mit aller Kraft auf politischer Ebene erfolgen", so eine Sprecherin.

Schlechte Chancen

Grund für die Abwehrhaltung: Der angedrohten Klage werden sowohl vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts als auch von Rechtsexperten wenig Chancen auf Erfolg eingeräumt. Der Wortlaut der Bestimmung im Lissabon-Vertrag enthalte keine Determinanten, in welche Richtung der Begriff "Solidarität" zu verstehen ist, so die Verfassungsjuristen im Kanzleramt. Die Bestimmung sei "extrem unbestimmt und deutungsoffen". Eine Rechtspflicht für die EU-Kommission zur Anpassung der Verordnung könne daraus nicht eindeutig abgeleitet werden. Es sei deshalb fraglich, ob Österreich überhaupt eine Untätigkeitsklage einbringen könnte, falls die Kommission nach zwei Monaten keinen Änderungsvorschlag unterbreitet hat.

Europarechtler Günter Herzig von der Uni Salzburg teilt die Einschätzung, wonach der Solidaritätsgrundsatz nur schwer einklagbar ist. Für die EU-Kommission bestehe keine Rechtspflicht, einen Vorschlag für eine Änderung der Verordnung vorzulegen.

Politisches Signal

Für den Verfassungsexperten Heinz Mayer ist die Ankündigung zumindest ein Signal in die richtige Richtung. Während das EU-Recht eine gerechte Lastenteilung vorschreibe, mache es momentan den Anschein, dass nur ein kleiner Teil der Staaten seiner Verantwortung nachkommt. Selbst wenn die Regierung im Falle einer Klage vor dem EuGH Recht bekäme, würde eine Entscheidung aber wohl erst in zwei Jahren vorliegen – zu spät für die akuten Probleme.

Kühl reagierte auch die EU-Kommission auf die Klagsdrohung. "Jetzt ist definitiv nicht die Zeit, um gegeneinender vor Gericht zu ziehen", sagte eine Sprecherin in Brüssel. Die EU-Kommission werde 2016 eine Evaluierung des Dublin-Systems vornehmen. Gegen Jahresende werde sie außerdem einen Vorschlag für die permanente Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU machen. (Simon Moser, 19.8.2015)