Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP), Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) am Mittwoch in Traiskirchen.

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Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Heinz Fischer.

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Die polizeiliche Sicherheitsakademie (SIAK), auf deren Gelände eine Zeltstadt für Asylwerber eingerichtet wurde.

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Während die Staatsspitzen das Erstaufnahmezentrum besuchten, reinigten Asylwerber gemeinsam mit Mitarbeitern der Stadtgemeinde (Mitte) öffentliche Straßen, Plätze und die Schwechat-Au.

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Nach wie vor müssen Asylwerber in Traiskirchen in Zelten oder im Freien auf dem Boden schlafen. Laut orf.at hat vergangene Woche eine Frau sogar auf einer Wiese entbunden.

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Wien/Traiskirchen – Die überfüllte Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen, der Amnesty International jüngst Menschenrechtsverletzungen attestierte, hat am Mittwoch Besuch hochrangiger Politiker bekommen. Bundespräsident Heinz Fischer besuchte am Vormittag das Lager, ebenso Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (beide ÖVP).

Die Besichtigung der Erstaufnahmestelle fand – abgesehen von einem Kamerateam des ORF – unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im Anschluss sagte Fischer zum STANDARD, der Besuch gehe auf seine Initiative zurück. Er sei froh darüber, dass es "mühelos" gelungen sei, dass die anderen Politiker mitkommen. Sein Eindruck von Traiskirchen: Das Lager sei stark überfüllt, "die Menschen, die hier sind, haben es nicht leicht".

Lob für Verfassungsgesetz

Fischer appellierte an alle, künftig besser zusammenzuarbeiten. Er begrüßt das geplante Verfassungsgesetz zum Durchgriffsrecht, das sei "vernünftig, notwendig und unverzichtbar". Es bringe Entlastung und Gerechtigkeit. Fischer betonte jedoch, dass er es begrüßen würde, wenn das Gesetz "zwei, drei Wochen" früher als geplant – Anfang Oktober – in Kraft träte.

Auf die Frage, ob NGOs die Betreuung der Flüchtlinge in Traiskirchen übernehmen sollten oder der Auftrag beim Privatunternehmen ORS bleiben sollte, gab der Bundespräsident keine direkte Antwort. Wichtig sei es, dass die Betreuung optimal und human erfolge.

Appell an Länder und Gemeinden

Faymann wies nach der Besichtigung darauf hin, dass weitere Plätze geschaffen werden müssten, da die derzeitige Lage "humanitär nicht tragbar" sei. "Wenn die Länder die Quote bald erfüllen, reicht das nicht aus." Jeder Tag früher sei besser, denn jeden Tag würden hunderte neue Flüchtlinge in Österreich ankommen. Außerdem betonte er, dass das Verfassungsgesetz nichts helfen werde, wenn nicht alle enger zusammenarbeiten. Jede Gemeinde sei gefordert, Lösungen anzubieten. Die Lage sei "angespannt" – wenn alle zusammenarbeiten, sei die Flüchtlingssituation aber bewältigbar.

Mitterlehner zeigte sich beeindruckt von den Menschen in Traiskirchen – sowohl die Flüchtlinge als auch die Mitarbeiter gingen gut mit der Situation um. Das Durchgriffsrecht sei ein "wichtiger Schritt". Auch der Vizekanzler forderte mehr Solidarität aller Beteiligten. Er halte es für besonders wichtig, "dass alle Beteiligten zusammenhalten und nicht gegeneinander arbeiten", meinte Mitterlehner in einer schriftlichen Stellungnahme. "Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen werden wir nichts erreichen." Ihm sei es darum gegangen, "mir persönlich ein Bild zu verschaffen nach den vielen Berichten, die ich intern und extern bekommen habe", erklärte der Vizekanzler.

Druck auf EU wird erhöht

Innen- und Justizministerium wollen indes den Druck auf die EU erhöhen, Asylsuchende besser auf die Staaten zu verteilen. Österreich droht demnach der EU-Kommission mit einer Klage gegen die Dublin-III-Asylverordnung. Die Regierung hält das im Lissabon-Vertrag festgelegte Prinzip der fairen Lastenverteilung angesichts steigender Flüchtlingszahlen nicht mehr für gegeben und will der Kommission eine zweimonatige Frist zur Anpassung der Verordnung geben. Andernfalls folge eine Untätigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof.

Den Schritt kündigten Innenministerin Mikl-Leitner und Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) in einem Hintergrundgespräch am Dienstagabend an. "Wir haben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte", sagte Mikl-Leitner.

Die Regierung will in einem gemeinsamen Beschluss der EU-Kommission eine zweimonatige Frist zum Handeln setzen. Der Ministerrat werde sich vielleicht schon nächste oder übernächste Woche damit befassen, sagte der Sprecher von Mikl-Leitner, Hermann Muhr. Die zweimonatige Frist beginnt mit Übermittlung des Regierungsbeschlusses.

Überproportionale Belastung

Legt die Kommission binnen dieser zwei Monate keinen Vorschlag zur Anpassung der Dublin-Regeln vor, möchte Österreich mit der Untätigkeitsklage den EuGH dazu bringen, die Dublin-III-Verordnung auf Vereinbarkeit mit dem Artikel 80 des Lissabon-Vertrags zu prüfen. Dieser schreibt den "Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeit unter den Mitgliedsstaaten" vor.

Anlass für den Schritt ist die zunehmende Überforderung von Staaten an der EU-Außengrenze mit der Aufnahme neuer Flüchtlinge. Die Dublin-Regeln verpflichten an sich die Ersteinreiseländer dazu, Schutzbedürftigen Asyl zu gewähren.

Allerdings macht es die schlechte humanitäre Lage für Flüchtlinge etwa in Griechenland derzeit für reiche EU-Länder wie Österreich und Deutschland unmöglich, Asylwerber dorthin zurückzuschicken. Auch die Lage von Flüchtlingen im Nachbarland Ungarn gilt zunehmend als schwierig. In einem Rechtsgutachten des Innsbrucker Juristen Walter Obwexer im Auftrag des Innenministeriums heißt es, dass "insbesondere die Ausnahmefälle systemischer Mängel zu einer überproportionalen Belastung mancher Staaten Nord- und Westeuropas, darunter auch Österreich", führten.

Welche Änderung der Dublin-Verordnung Österreich sich wünscht, lässt das Gutachten offen. Es gibt demnach mehrere Möglichkeiten, etwa mehr Geld für überproportional belastete Staaten, eine Umverteilung bereits anerkannter Flüchtlinge oder eine Totalreform des Dublin-Systems. Damit könne etwa eine EU-weite Quotenregelung eingeführt werden, schreibt Obwexer. Mikl-Leitner und Brandstetter ließen auf Anfrage offen, welche Änderungen am Dublin-System sie sich vorstellen.

Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes räumt der angedrohten Klage allerdings wenig Chancen ein. Die Hausjuristen von Bundeskanzler Faymann zweifeln am Rechtsgutachten, dass von Mikl-Leitner in Auftrag gegeben wurde. Das geht aus einer Stellungnahme des Verfassungsdienstes vom Mittwoch hervor, die der APA vorliegt.

Verschärfung des Schlepperparagrafen

Brandstetter kündigte währenddessen eine Verschärfung des Schlepperparagrafen im Strafrecht an. Geltende Rechtslage ist, dass Schlepper nicht in Untersuchungshaft kommen, wenn sie maximal zehn Personen mitgeführt haben. Diese Grenze will Brandstetter aufheben – denn in letzter Zeit hätten sich Fälle mit weniger als elf Geschleppten gehäuft. "Österreich soll ein schlechter Zielort für Schlepper sein", begründete der Minister sein Anliegen. Am Mittwoch veröffentlichten Zahlen des Bundeskriminalamts zufolge wurden im ersten Halbjahr 2015 mehr als 450 Personen wegen des Verdachts der Schlepperei festgenommen.

Häupl: Innenministerin überfordert

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) hält Mikl-Leitner wiederum für überfordert mit der Asylpolitik. Das sagte er im Ö1-"Morgenjournal"-Interview am Mittwoch. Mikl-Leitner habe die Lage derzeit nicht im Griff, so Häupl. In Wien "gibt es kein Asylchaos", in seiner Stadt schlafe niemand in Zelten. Auch die Auslagerung der Asylwerberbetreuung an private Unternehmen, im Fall Traiskirchen an die Betreuungsfirma ORS, hält Häupl für keine gute Lösung.

Angesichts der Situation in Traiskirchen biete er der Innenministerin an, sie teilweise zu entlasten: Er sei "sofort bereit", die Bundesunterkunft für Asylsuchende in Wien-Erdberg in Landesbetreuung zu übernehmen. Sollte die Einrichtung in die Wiener Zuständigkeit wechseln, würden bei ORS möglicherweise Kapazitäten frei werden, die dann in Traiskirchen eingesetzt werden könnten, legte die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) dem Ministerium die Annahme des Vorschlags nahe. Ein entsprechendes Schreiben an den Bund sei bereits ergangen.

Das Innenministerium ist laut eigener Aussage grundsätzlich gesprächsbereit, was eine mögliche Übernahme der Verwaltung des Asyl-Bundesquartiers in Erdberg durch die Stadt Wien betrifft. Allerdings dürfe dadurch die derzeitige "Puffer-Funktion", welche die Einrichtung für das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen erfülle, nicht verloren gehen, sagte ein Sprecher des Ressorts am Mittwoch.

Handlungsbedarf sei vor allem gegeben, weil es sich um Jugendliche handle, die ohne ihre Eltern unterwegs sind und Schutz suchen – "und diese Menschen gehören betreut, nicht bewacht", so Häupl. Ein Essen und ein "Dach über dem Kopf" seien für die Minderjährigen Selbstverständlichkeiten, das Gleiche sollte aber auch für therapeutische Interventionen für die Traumatisierten gelten, schrieb die Fachgesellschaft der Kinder- und Jugendpsychiater (ÖGKJP) in einem offenen Brief. (APA, red, cmi, 19.8.2015)