Maria Wirth, "Ein Fenster zur Welt. Das Europäische Forum Alpbach 1945- 2015". € 34,90 / 256 Seiten. Studien- Verlag, Innsbruck, 2015

Cover: StudienVerlag

Es gehört längst zu den etablierten Ritualen des Landes: Wenige Wochen, bevor in den Bergen der Almabtrieb stattfindet, kommt es Ende August im kleinen Tiroler Bergdorf Alpbach zum Auftrieb von mehr oder weniger internationaler Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Öffentliche Relevanz erhält das Europäische Forum Alpbach nicht zuletzt dadurch, dass zahlreiche Medienvertreter auch aufgrund von Kooperationen über die Ereignisse im malerischen Dorf auf fast 1000 Metern Seehöhe berichten.

Das hat seit mittlerweile sieben Jahrzehnten Tradition und wuchs sich unter der Präsidentschaft des Ex-ÖVP-Politikers Erhard Busek, der das Europäische Forum Alpbach von 2000 bis 2012 leitete, zu einer veritablen Großveranstaltung aus: Lag die Anzahl der Teilnehmer vor der Jahrtausendwende lange weit unter 1000, so nahmen im Vorjahr nicht weniger 4551 Personen aus 67 Staaten daran teil.

Rechtzeitig zum 70. Geburtstag des Europäischen Forums Alpbach hat die Zeithistorikerin Maria Wirth (Uni Wien, demnächst Uni Linz) eine umfassende Geschichte von Österreichs renommiertestem und traditionsreichstem Dialogforum vorgelegt. Unter dem gut gewählten Titel Ein Fenster zur Welt zeichnet die Autorin auf mehr als 200 Seiten nach, wie "Alpbach" zu dem wurde, was es heute ist, wer seine Protagonisten waren – und was die Zukunft bringen könnte.

Am Beginn des Buchs, das als Auftragswerk erschienen ist, stehen die beiden legendären Gründerväter Otto Molden und Simon Moser. Und schon hier zeigt sich, dass Wirth unangenehme Fakten dennoch nicht ausspart – wie etwa die Tatsache, dass Philosphiedozent Moser stark in das Dollfuß-Schuschnigg-Regime verstrickt war und sogar der NSDAP beitrat.

Alpbach als die Ausnahme

Im Vergleich zum zutiefst reaktionären und provinziellen Geist, der nach 1945 sowohl an den österreichischen Unis als auch im Unterrichtsministerium herrschte, waren die von dem Widerstandskämpfer Molden und dem geläuterten Moser organisierten "Internationalen Hochschulwochen des Österreichischen Colleges" – so die damalige Bezeichnung – in den ersten beiden Jahrzehnten tatsächlich ein Fenster zur Welt. Kehrten damals nur die wenigsten der vor und nach dem "Anschluss" emigrierten Wissenschafter an die Unis zurück, so waren viele von ihnen in den 1950er-Jahren in Alpbach zu Gast, das damals sein goldenes Jahrzehnt erlebte.

Die erste Krise kam dann bereits Ende der 1960er-Jahre mit Otto Moldens verstärktem politischem Engagement, aber auch mit etwas veralteten Idealvorstellungen von umfassend gebildeten Intellektuellen. Alpbach-Skeptiker – ja, auch solche soll es geben – werden jedenfalls schmunzeln, dass bereits damals "intellektuelle Stagnation" beklagt und die Sinnfrage gestellt wurde.

Es gehört jedoch zum Wesen des Europäischen Forums Alpbach, dass es sich immer wieder neu erfand: durch Kunstevents ebenso wie durch neue Programmschienen, berühmte Vortragende und nicht zuletzt durch die spezielle Alpbach-Atmosphäre, die meist auch für Kritik offen war.

Um die Zukunft Alpbachs muss man sich dank des 2012 gewählten Präsidenten Franz Fischler jedenfalls keine Sorgen machen. Und mit Maria Wirths Studie ist nun auch die Vergangenheit quellenreich gesichert. (Klaus Taschwer, 19.8.2015)