Natürlich braucht es eine europäische Lösung. Diese enormen Flüchtlingsbewegungen müssen gelenkt, verwaltet, versorgt und aufgeteilt werden, das sollte zentral und koordiniert auf europäischer Ebene geschehen. Es braucht eine Quotenregelung, und es braucht auch Hilfe vor Ort, also dort, wo die Flüchtlinge herkommen oder in den am stärksten betroffenen Nachbarregionen. Das alles ist unbestritten. Und dennoch passiert nichts.

Interessant ist auch ein Blick nach Deutschland, wo der Umgang mit Asylwerbern ebenfalls für heftige Debatten und Emotionen sorgt. Und vielleicht haben die deutschen Stimmen in der europäischen Debatte doch mehr Gewicht als jene, die in Wien erhoben werden. Der deutsche Entwicklungshilfeminister Gerd Müller schlägt vor, Flüchtlinge aus Syrien mit einem Milliardenhilfsprogramm in den Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes zu halten. Man müsse "den Menschen dort helfen, wohin sie in ihrer größten Not zuerst geflohen sind". Aber selbstverständlich.

Warum passiert das nicht längst? Weil die EU offenbar noch viel weniger koordiniert ist, als wir das glauben wollen. Müller sagt: "Wenn wir die Probleme nicht vor Ort lösen, kommen die Probleme zu uns." Was für eine überraschende Erkenntnis. Man wundert sich, in welcher Zeitschleife die Politik mitunter gefangen ist. Die Probleme sind längst bei uns. Und worauf wollen wir, worauf will die EU mit einem Hilfsprogramm denn noch warten? Bis Syrien tatsächlich komplett entvölkert ist?

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Sonntagabend im Sommerinterview mit dem ZDF: "Wenn wir im Normalmodus arbeiten, können die Probleme mit der wachsenden Zahl an Flüchtlingen nicht gelöst werden." Die Lage sei "extrem nicht zufriedenstellend". Das wissen wir doch längst. Warum wird denn weiterhin im "Normalmodus" gearbeitet, in aller Gelassenheit, in Berlin, in Brüssel, in Wien und anderswo?

Merkel sagt: "Das Asylthema könnte das nächste große europäische Projekt sein, wo wir zeigen, ob wir wirklich in der Lage sind, gemeinsam zu handeln." Warum zeigen das die Politiker nicht längst? Anstatt europäische Lösungen voranzutreiben, wird in den Nationalstaaten darüber diskutiert, die Grenzen wieder hochzuziehen. Da mangelt es an Leadership auf allen Ebenen, diesen Vorwurf muss sich die deutsche Kanzlerin gefallen lassen, der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Bundeskanzler Werner Faymann sowieso.

Angesichts der Nachrichten und Bilder von neuen Kämpfen in Libyen oder Syrien, von Bombeneinschlägen in Wohnhäusern und auf Märkten, von überfüllten Zügen in Mazedonien, in denen sich verzweifelte Flüchtlinge Richtung Europäischer Union und auch Richtung Österreich durchzuschlagen versuchen, braucht es Politiker, die den Eindruck vermitteln, sie hätten einen Plan und wüssten, was sie tun. Sonst bleibt den Bürgern bei diesen Bildern nur Angst und Sorge.

Dass europäische Lösungen und ein koordiniertes Vorgehen fehlen, kann und darf jedenfalls keine Ausrede dafür sein, dass man sich nicht der eigenen Herausforderung stellt. Die Flüchtlinge gehören anständig behandelt, versorgt und untergebracht, ihnen muss ein faires Asylverfahren gewährt werden. Das muss man auch von der Politik einfordern. Und den Hetzern und Hassern muss man sich entgegenstellen, jeden Tag aufs Neue. (Michael Völker, 17.8.2015)