Zwei unbenannte Glet scher auf dem kirgisischen Territorium des Tian Shan. Vielsagend: Nördlich ausgerichtete Hänge sind vergletschert, südliche vollkommen eisfrei.

Foto: Daniel Farinotti

Für die Anrainerstaaten ist das Schmelzwasser der Gletscher von großer Bedeutung.

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Forscher prognostizieren einen dramatischen Eisverlust in den kommenden Jahrzehnten.

Foto: Daniel Farinotti

Bern/Astana/Bischkek – Die Gletscher in Zentralasien verlieren laut einer neuen Studie in erheblichem Ausmaß an Masse und Fläche. Entlang des Tian Shans, Zentralasiens größtem Gebirge, habe sich das Volumen der Eismassen in den letzten 50 Jahren um rund 27 Prozent verringert, die vom Eis bedeckte Fläche sei um 18 Prozent geschrumpft.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Deutschen GeoForschungszentrums GFZ ermittelte einen Verlust von Gletscherflächen um fast 3.000 Quadratkilometer, was mit einem mittleren Eisverlust von 5,4 Gigatonnen pro Jahr einhergeht. Wie die Wissenschafter in "Nature Geoscience" berichten, könnte bis 2050 die Hälfte der Gletscher im Tian Shan verschwunden sein – und der Region damit erheblicher Wassermangel drohen.

Enorme Abhängigkeit

Schmelzwasser aus dem Tian Shan versorgt Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Teile Chinas mit Wasser. Weil dort je nach Saison mitunter gar keine Niederschläge fallen, ist die Abhängigkeit enorm. "Trotz dieser Wichtigkeit war bisher nur wenig über die Entwicklung der Gletscher in Zentralasien während des letzten halben Jahrhunderts bekannt", so Daniel Farinotti vom GFZ, Hauptautor der Studie.

Die Forscher um Farinotti haben nun erstmals die Gletscherentwicklung im Tian Shan umfassend rekonstruiert. "Dazu kombinierten wir satellitengestützte Messungen mit glaziologischer Modellierung", so der Wissenschafter. "Wir konnten die Entwicklung jedes einzelnen Gletschers im Tian Shan nachvollziehen."

Die Gletscher verlieren demnach jährlich etwa fünf Gigatonnen Eis, eine Wassermenge, die ungefähr dem doppelten Jahreswasserverbrauch Deutschlands entspreche. Das Volumen der Eismassen habe sich in den vergangenen 50 Jahren um über ein Viertel verringert, die Fläche der Gletscher um fast 3.000 Quadratkilometer.

Problematischer Temperaturanstieg

Der Gletscherschwund habe sich zwischen den 1970er- und den 1980er-Jahren um das Dreifache beschleunigt. "Die längerfristige Einwirkung kann klar dem generellen Temperaturanstieg zugeschrieben werden", sagte Farinotti. Dies gelte insbesondere für die Sommertemperaturen. "Für Zentralasien ist diese Aussage weniger trivial als sie zunächst erscheinen mag: Da die Wintermonate sehr trocken und die Berge sehr hoch sind, erhalten die Gletscher den meisten Schneefall während des Sommers".

Ein Anstieg der Sommertemperaturen würde sowohl zu einer verstärkten Schmelze als auch zu einer verminderten "Gletschernährung" führen– und damit den Gletscherschwund doppelt vorantreiben. Ein Ausblick in die Zukunft fällt düster aus: Aktuelle Klimaszenarien würden für die Sommermonate der Periode 2021-2050 einen zusätzlichen Temperaturanstieg von etwa zwei Grad Celsius prognostizieren. Dadurch könnte rund die Hälfte des gesamten heutigen Eisvolumens der Tian Shan-Gletscher bis in die 2050er Jahre abgeschmolzen sein. (red, 17.8.2015)