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Privat gespendete Zelte und Obdachlose: Alltag in Traiskirchen, nach wie vor.

foto: ap/zak

Der Bericht von Amnesty über das Flüchtlingslager Traiskirchen dokumentiert Zustände, die für einen entwickelten und wohlhabenden Staat wie Österreich eine Schande sind.

Da wird zum Beispiel beschrieben, wie Menschen obdachlos durch das Lagerareal irren und dabei ihre wenigen Habseligkeiten sowie die als "Bettersatz" zur Verfügung gestellte Decke herumtragen müssen. Werde die Decke etwa durch Regen nass, würden sie keine neue erhalten. Nach wie vor sind in Traiskirchen 1.500 Flüchtlinge ohne Unterkunft.

Selbstverletzung eines Burschen

Und da wird von einem 14-jährigen Burschen aus Afghanistan erzählt, der den Aushang mit seinem Verlegungstermin in ein anderes Quartier übersehen hat. Darüber verzweifelt, habe er sich selbst den Arm aufgeschnitten: ein dem überlasteten, bürokratischen Unterbringungssystem ausgelieferter Minderjähriger, der sich selbst verletzt.

Auch wenn das bloß zwei Details aus dem umfassenden Amnesty-Bericht sind. Sie stehen für den Charakter des Problems. Es sind Schilderungen menschlicher Entwürdigung: Wie Schutzsuchenden, die mehrheitlich keine sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge sind, sondern Kriegen entkommen mussten, im Lager Traiskirchen körperlich und psychisch Schaden zugefügt wird.

Quotenstreit, so wie immer

Nun dauern diese Zustände leider auch weiter an. Auf die Veröffentlichung des Amnesty-Berichts reagierte das Innenministerium mit einer Schuldzuweisung an die Länder, wie man sie seit Jahren vernimmt. Dem folgte die Gegenwehr aus Oberösterreich, von Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP).

Und was geschah bisher in der Sache? Wenig, um die Lage im Lager zu verbessern: Ärzte ohne Grenzen etwa darf jetzt zwar hinein, aber nur in beratender Funktion. Rasche Maßnahmen jedoch, um die Obdachlosigkeit zu beenden, sind bisher ausgeblieben.

Wieder keine raschen Maßnahmen

Dabei wäre das durchaus möglich – und es wäre auch schon bisher möglich gewesen. Warum etwa beschließen Kanzler und Vizekanzler nicht, auf Arealen des Bundes wie etwa auf Kasernengrund in großem Stil Nothallen zu errichten oder Container aufzustellen? Weshalb konzentriert sich die Regierung allein auf den Beschluss einer (sicher sinnvollen) Verfassungsregelung, die dem Bund mehr Quartier-Beschaffungskompetenzen in den Ländern verspricht?

Sollte der Grund in befürchteten Widmungsrechtsstreitigkeiten mit Ortskaisern liegen: Der Respekt grundlegender Bedürfnisse Schutzsuchender, also von deren Menschenrechten, müsste es Wert sein. Ist es aber nicht.

Versagen "von oben"

Insofern setzt sich das politische Versagen fort: Das Scheitern eines Flüchtlings-Unterbringungssystems angesichts einer Situation, für die es eigentlich eingeführt worden war: die Ankunft von Schutzsuchenden in Österreich.

Doch von einer unproduktiven Länderquotendiskussion abgesehen schrie unter den Verantwortlichen niemand "Feuer!", als sich in den vergangenen Jahren deutlich herauskristallisierte, dass die Regeln völlig ungeeignet sind.

Der österreichische Skandal

Das genau macht den besonderen österreichischen Skandal aus. Auch andere europäische Staaten ringen derzeit mit der Bewältigung der gestiegenen Asylwerberzahlen. Doch nirgendwo anders ging man in vergleichbarem Ausmaß mit offenen Augen ins Verderben – und unternimmt jetzt so wenig Zielführendes, um diesem wieder zu entkommen.

All dies wirft die Frage auf, was das für die solidarische Öffentlichkeit bedeutet: für jene Menschen, die den Flüchtlingen helfen wollen. Die das vielfach bereits tun, etwa indem sie Zelte und anderes zum Lager bringen.

Engagement "von unten"

Werden sie das Versagen der Politik politisch hinnehmen? Durchaus möglich, wenn man sich die Stimmung der Zeit vergegenwärtigt, die in den meisten europäischen Staaten stark rechtslastig ist. Diesem Sog ist nur schwer etwas entgegenzusetzen.

Andererseits: Wenn es in Österreich seit Jahrzehnten je eine Situation gab, in der Engagement "von unten" einem Versagen "von oben" gegenüberstand – so ist das jetzt. Auch haben "die da oben" ganz offensichtlich keinen Plan, um die Probleme zu lösen – während es in der Zivilgesellschaft mit den Asyl-NGOs durchaus rasch umsetzbare Konzepte gibt.

Zusammengefasst: Politisch betrachtet ist die blamable Flüchtlingsquartierkrise vielleicht für politische Überraschungen gut. (Irene Brickner, 16.8.2015)