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Am sogenannten Nato-Stacheldraht haben sich bereits Menschen verletzt.

Foto: AP / Bela Szandelszky

Noch überqueren die Flüchtlinge in Scharen die grüne Grenze zwischen Ungarn und Serbien. 1.000 bis 1.800 sind es laut Polizeistatistik am Tag, 1.783 waren es – so die letzte Zahl – am Dienstag. Sie kommen in größeren und kleineren Gruppen, junge Männer aus Afghanistan, Familien mit kleinen Kindern aus Syrien. Die Sommerhitze, die jetzt bereits am frühen Morgen einsetzt, macht ihnen schwer zu schaffen. Sie sind erschöpft, abgekämpft, durstig. Wasserspenden nehmen sie dankbar entgegen.

Haben die Flüchtlinge Ungarn erreicht, lassen sich die meisten von ihnen am Straßenrand nieder, um sich von der Polizei einsammeln zu lassen. Sie stellen den Asylantrag, reisen dann aber weiter in den wohlhabenderen Teil Europas, nach Österreich, Deutschland oder in andere Länder im Westen und Norden.

"Wir wollen bei uns kein Multikulti"

Noch führt die sogenannte Balkanroute für diese Menschen über die 175 Kilometer lange Grenze zwischen Ungarn und Serbien. Doch seit zwei Wochen baut die Armee, verstärkt durch arbeitsverpflichtete Sozialhilfeempfänger und Sträflinge, mit Volldampf einen Zaun, der Migranten den Zugang verwehren soll.

Es ist eine Anordnung des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Seit Jahresbeginn fährt er eine umfangreiche Hasskampagne gegen Migranten – mit Großplakaten und einer mehr als tendenziösen "Volksbefragung". Der Zaun soll die Fremden und "Terroristen" aus Ungarn raushalten. "Wir wollen bei uns kein Multikulti", gab der Regierungschef als Parole aus.

Sogenannter Nato-Stacheldraht

Inzwischen sperrt ein bis eineinhalb Meter hoher Stacheldraht Teile der Grenze ab. "Die Migranten kommen noch durch die Lücken", sagt ein Bereitschaftspolizist an der Baustelle bei Mórahalom. Möglicherweise werden später Schlepper oder Flüchtlinge den Zaun mit Drahtscheren durchtrennen. Der sogenannte Nato-Stacheldraht hat allerdings messerscharfe Klingen. Fasst man ihn mit bloßen Händen an, reißt er tiefe Wunden ins Fleisch. "Gestern gab es fünf Verletzte", erzählt der Polizist, "vier Migranten und ein Journalist, der das mal 'ausprobieren' wollte."

Nach Orbáns Plänen soll der Draht bis Ende August die ganze Grenze zu Serbien absperren. Dazu soll bis November noch ein vier Meter hoher Maschendraht entstehen. Oberstleutnant Ferenc Bátor ist für die Bauarbeiten am frequentiertesten Abschnitt, den 70 Kilometern zwischen Szeged und Ásotthalom, verantwortlich. "In meinem Einsatzgebiet ist der Stacheldraht bis zum Wochenende fertig", erklärt er dem STANDARD. Ob es nicht unmenschlich sei, die Flüchtlinge mit dem für den Infanteriekrieg entwickelten Nato-Stacheldraht der Verletzungsgefahr auszusetzen? "Das ist eine Staatsgrenze. Man sollte sie respektieren, dann verletzt man sich auch nicht", antwortet Bátor.

Ungarn auf beiden Seiten

Der geplante Zaun wirft aber auch heikle asylrechtliche Fragen auf. Die Anlage befindet sich zehn bis 20 Meter innerhalb des ungarischen Territoriums. Stehen die Flüchtlinge vor dem Zaun, dann sind sie bereits in Ungarn. "Sie müssen wie bisher Zugang zum Asylverfahren haben", fordert Márta Pardavi vom ungarischen Helsinki-Komitee. Die Polizei könne sie nicht einfach vor dem Zaun sitzen lassen. Tatsächlich sind in der Anlage in regelmäßigen Abständen Türen vorgesehen.

Enden tut Orbáns neueste Maßnahme gegen Flüchtlinge – im Nichts. Genauer: in der Puszta nahe der Gemeinde Kübekháza, wo ein weißer Grenzstein das Dreiländereck Ungarn-Serbien-Rumänien markiert. Zum EU-Nachbarn Rumänien will der ungarische Premier keine Grenzsperre errichten – vorerst. Róbert Molnár ist der einzige Bürgermeister der südostungarischen Grenzregion, der den Zaun offen kritisiert. "Haben wir nicht vor einem Vierteljahrhundert den Eisernen Vorhang abgebaut? Und jetzt diese Schande", hadert er. "Orbán führt das Land in ein geistiges Ghetto, in die Isolierung." (Gregor Mayer aus Mórahalom und Kübekháza, 13.8.2015)