Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Graffito unter einer Brücke in Beirut, Ende Juli. "Bevor ich sterbe, will ich, dass der Libanon ..." ist eine Kunstaktion, die die Menschen auf der Straße, besonders Jugendliche, zum Engagement bewegen soll.

Foto: AP Photo/Hassan Ammar

Bild nicht mehr verfügbar.

Eine Unterstützerin Michel Aouns, des Chefs der Freien Patriotischen Bewegung, mit einem Plakat von ihm bei einer Demonstration in Beirut Anfang Juli.

Foto: AP Photo/Bilal Hussein

Beirut/Wien – Beim 27. Mal ist es nur mehr eine kurze Mediennotiz: Am Mittwoch ist der Anlauf – es war weniger als ein Versuch -, im Parlament in Beirut einen libanesischen Präsidenten zu wählen, erneut gescheitert. Die libanesische Geschichte ist voll von Episoden "präsidentiellen Vakuums": Auch Michel Suleiman, der das Amt am 25. Mai 2014 verwaist zurückließ, war der Kompromisskandidat nach einem halbjährigen Patt. Die Präsidentschaftskrise 1988/1989 war – kurz vor dem formellen Bürgerkriegsende – zwar noch dramatischer, aber die damaligen 409 Tage ohne Präsident hat der Libanon heute mit fast vierzig Tagen mehr überschritten.

Am 23. April 2014, also bereits vor Ablauf des Mandats Suleimans, fand der erste Wahlgang statt, keiner der Kandidaten erreichte die notwendige Zweidrittel-Mehrheit. Da bei den nächsten Wahlversuchen eine einfache Mehrheit genügen würde, boykottieren die Abgeordneten der "Allianz des 8. März" rund um die Hisbollah die Wahlsitzungen. Es gibt kein Quorum, und die Wahl kann nicht stattfinden. So wird zwar nicht der vom "8. März" aufgestellte Michel Aoun, Chef der Freien Patriotischen Bewegung, gewählt – aber auch kein anderer.

Konkordanzsystem

Aoun spielte schon 1988 eine Rolle – als ein entgegen dem libanesischen Nationalpakt eingesetzter Ministerpräsident (das Konkordanzsystem sieht vor, dass ein maronitischer Christ das Präsidentenamt innehat, Premier ist ein Sunnit, Parlamentspräsident ein Schiit). Der 80-Jährige, im Bürgerkrieg Chef einer mächtigen Miliz, musste 1990 fliehen und kehrte erst 2005 zurück.

Der Präsidentenkrise liegt die durch den Krieg in Syrien, in dem die libanesischen Parteien und Gruppen auf unterschiedlichen Seiten stehen, verstärkte Gespaltenheit der libanesischen Politik zugrunde. Zwar haben sich die libanesischen Parteien in der Baabda-Erklärung von 2012 verpflichtet, den Konflikt nicht in den Libanon zu tragen, sie bleiben aber hoffnungslos entlang der Linie pro oder kontra Assad gespalten.

Teheran und Riad

Die iranisch-gesponserte Hisbollah, die in Syrien auf der Seite des Assad-Regimes militärisch engagiert ist, will deshalb keinen von der anderen Seite vorgeschlagenen Präsidenten, der ihr Druck machen könnte. Trotz wiederholter Anläufe, einen Kompromiss zu finden, ist das auch nach mehr als eineinviertel Jahren nicht gelungen. Da der Syrien-Konflikt nicht nur ein Bürgerkrieg mit Overspill, sondern auch ein Stellvertreterkrieg im großen iranisch-saudischen Kalten Krieg geworden ist, muss sich wohl auch auf der Metaebene, zwischen den Sponsoren der Gruppen in Syrien und im Libanon, Teheran und Riad, etwas bewegen.

Die wichtigste Partei in der mit dem "8. März" konkurrierenden "Allianz des 14. März" ist die sunnitische "Zukunftsbewegung" von Saad Hariri, Sohn des 2005 ermordeten Expremiers Rafiq Hariri, die Saudi-Arabien nahe steht. Auch im Libanon sind die sunnitischen Ränder für den Extremismus anfällig.

Manche scherzen, dass man sieht, dass der Libanon gar keinen Präsidenten braucht: Wenn es keinen gibt, dann übernimmt das Kabinett dessen Aufgaben – was aber heißt, dass die Konsensfindung in der Regierung, in der alle großen Parteien sitzen, extrem schwer wird. Das Parlament funktioniert während eines präsidentiellen Vakuums überhaupt vorwiegend als Wahlkörper, nicht als legislatives Organ: Nichts geht weiter.

Aouns will seinen Schwiegersohn als Armeechef

Aoun rief am Mittwoch, einen Tag vor einer Kabinettssitzung, seine Anhängerschaft zu Protesten auf die Straße. Allerdings geht es da schon wieder um eine Weiterdrehung des Pokers: Vergangene Woche verlängerte Verteidigungsminister Samir Moqbel angesichts der angespannten Sicherheitslage und des politischen Stillstands das Mandat der Spitzen der Armee, vor allem von Armeechef Jean Kahwaji. Da Aoun diesen Posten für seinen Schwiegersohn, Shamel Roukoz, wollte, ist er empört – und ein möglicher Kompromiss vom Tisch, denn der Armeechefposten würde Roukoz für später für das Staatspräsidentenamt in Stellung bringen. Nun versucht Aoun zu erzwingen, dass die im Oktober fällige Pensionierung von Roukoz als Kommandant der Spezialtruppe der libanesischen Armee aufgeschoben wird, damit er im Spiel bleibt.

Der "14. März" – inklusive seiner christlichen Parteien – lehnt das aber ab. Aoun spielt als Teil des "8. März" nicht nur im großen libanesischen Politpoker, sondern auch im kleinen, maronitischen. Es geht um die Zukunft seiner Partei, und er bestellt sein Haus: mangels Söhnen für die Schwiegersöhne, von denen ein anderer der Außenminister Gebran Bassel ist. (Gudrun Harrer, 12.8.2015)