Noch ist die Insel Tanera Mòr zu haben. Umgerechnet 2,8 Millionen Euro soll das Kleinod vor der schottischen Nordwestküste kosten. Eine Mezzie für ein über 300 Hektar großes Eiland am Rande Europas. Dazu gehören mehrere kleine Seen, ein Berg, neun Häuser, ein Café sowie ein Postamt, das eigene Briefmarken herausgibt.

"Das ist die Gelegenheit. Schottische Inseln gibt es nicht oft zu kaufen", wirbt Makler John Bound. Dennoch hat sich bisher kein einziger Interessent gefunden. Und so sind die derzeitigen Besitzer mit dem Preis schon um eine halbe Million Euro runtergegangen. Wem das immer noch zu viel ist, der kann hier auch Urlaub machen – zumindest bis zum Verkauf.

Nur das Wetter ist abwechslungsreich

Einige Besucher mieten sich zeitweilig in einem der hübschen Ferienhäuser ein, Tagesgäste sind ebenfalls willkommen. Im Sommer verkehren regelmäßig Boote zwischen dem gegenüberliegenden Dorf Achiltibuie oder Ullapool und der Insel. Viel Abwechslung gibt es nicht – vom Wetter mal abgesehen. Wer hier herkommt, sucht vor allem Ruhe und Abgeschiedenheit.

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Tanera Mòr: Wer hier herkommt, sucht Ruhe und Abgeschiedenheit.

Mit einer Küstenlänge von elf Kilometern ist Tanera Mòr die größte der weitverstreuten 23 Summer Isles, die zu den Inneren Hebriden gehören. Bis zu 119 Menschen wohnten hier Ende des 19. Jahrhunderts, sogar eine Schule gab es. "Es war ein hartes Leben", erzählt Fischer Ian MacLeod. Mit Ruderbooten fuhren die Männer hinaus auf den Atlantik, um Hering zu fangen. Viele ertranken dabei in der rauen See. Um 1930 verließen die letzten Bewohner Tanera Mòr.

Im Jahr 1996 erwarb die Familie Wilder die Insel, nachdem sie ihre große Milchfarm in Wiltshire im Südwesten Englands verkauft hatte. Rund eine Million Euro sollen sie damals bezahlt haben. Sie restaurierten die zerfallenen Häuser, pflanzten 160.000 Bäume und eröffneten eine Segelschule. Zuletzt wohnte Tochter Lizzie mit ihrem Gatten Richard und zwei Kindern ganzjährig auf der Insel.

Suche nach Vogelfreunden

Vor kurzem ist die Familie wieder aufs Festland gezogen und sucht seither einen Käufer für Tanera Mòr. "Wir warten noch auf die richtige Person. Bis dahin werden wir die Insel mit Leben erfüllen", sagt Lizzie. Besucher, um die sich ihre Mitarbeiter Tim und Holly von Mai bis Ende September kümmern, sind daher weiterhin willkommen. "Der frühe Mai ist eine schöne Zeit", erzählt Lizzie. Vor allem für Vogelfreunde. "Man kann das Gurren der Eiderenten und das Geschrei der Austernfischer hören", schwärmt sie. Auch Kajakkurse werden angeboten.

Ruhig gelegen in den Inneren Hebriden, freundliche Nachbarn: Im Vordergrund ist die schottische Insel Tanera Mòr zu sehen, die derzeit zum Verkauf steht.
Foto: Ulrich Willenberg

Rund 5.000 Touristen besuchen jedes Jahr die Insel, manche kommen mit dem eigenen Boot. "Hier ankern Yachten aus aller Welt", erzählt Fischer Ian, der auch Bootsfahrten anbietet. Es geht vorbei an Felsen, auf denen sich vollgefressene Seehunde räkeln, hin zu einer Höhle von der Größe einer Kathedrale, in der Kormorane brüten. "Heute Morgen habe ich in der Nähe einen Riesenhai gesehen", sagt er. Ein friedliches Tier, das an der Meeresoberfläche schwimmt und dabei Plankton filtert. Wenn Ian zum Fischen hinausfährt, wird sein Boot manchmal von Orkas begleitet. "Die sind schlau. Sie schnappen sich die Fische, die aus den Netzen entkommen sind", sagt er.

Auf seiner Rundfahrt durch den Archipel legt der Fischer eine Stunde auf Tanera Mòr an. Zeit genug für einen kurzen Spaziergang auf den 124 Meter hohen Berg Meall Mor, von dem weite Teile der Hebriden und die Insel Skye zu sehen sind. Danach kann man sich noch eine Tasse Tee im kleinen Café am Hafen gönnen. Hier befindet sich auch das Postamt, das eigene Briefmarken drucken lässt. "Seit 15 Jahren gibt es jährlich eine neue Serie", erzählt Inselbesitzerin Lizzie. Ein Souvenir, das bei Sammlern in aller Welt begehrt ist.

Faszination Wahlheimat

Nur wenige Minuten dauert die Überfahrt von Tanera Mòr aufs Festland zur Anlegestelle in Achiltibuie. Der bayerische Journalist Reiner Luyken lebt hier seit 35 Jahren und arbeitete anfangs als Lachsfischer. Mit seiner Kolumne "Mail aus Achiltibuie" in der Wochenzeitung Die Zeit hat er das 100-Seelen-Dorf bekanntgemacht im deutschsprachigen Raum.

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124 Meter hoch und schon ein Berg: der Meall Mor

Auch nach so langer Zeit ist er noch fasziniert von seiner Wahlheimat. "Die Gegend ist eines der letzten Naturparadiese Europas und von unbeschreiblicher Schönheit", schwärmt der mit einer schottischen Kunstlehrerin verheiratete 63-Jährige. Als Journalist berichtet er regelmäßig über kleine Ereignisse in seinem Ort, die das größere Weltgeschehen widerspiegeln. So manch ein Leser hat sich davon schon inspirieren lassen und ist in diese einsame Ecke auf der zum Geopark North West Highland gehörenden Halbinsel Coigach gereist – und hat gleich als Erstes bei Luyken daheim angeläutet.

Höhlen mit Schaf auf dem Dach

Wer bleiben will, kann sich in einem der zwei außergewöhnlichen Ferienhäuser der Luykens einmieten. Eine feine Unterkunft für Menschen, die naturnah, aber luxuriös Urlaub machen möchten. Die höhlenartigen Häuser scheinen mit der hügeligen Landschaft ringsum verwachsen zu sein und sehen ein wenig aus wie Behausungen von Trollen. Die Dächer sind mit Gras überwuchert, das auf den umliegenden Wiesen gestochen wurde. Oft turnen Luykens aufgeweckte schwarze Hebridenschafe darauf herum.

Fünf Jahre dauerte es, bis das Projekt vollendet war, der preisgekrönte Architekt hat sich von prähistorischen, turmartigen Rundbauten, den Brochs, inspirieren lassen. Die Außenwände bestehen aus groben Felsbrocken, die aus Ruinen verlassener Häuser zusammengetragen wurden. Mit Seepocken überwachsene Balken eines verfallenen Piers dienen als Türpfosten. Auf der Terrasse mit Meerblick liegt der Wirbel eines zwölf Meter langen Pottwals, der an der Küste angeschwemmt wurde.

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Ein Broch vom Meer aus gesehen

Ausgestattet sind die beiden Häuser wie die Suiten eines Luxushotels. Jedes verfügt über eine eigene Sauna und einen Kamin, an den Wänden hängen Bilder zeitgenössischer schottischer Maler. Die Unterkunft ist zumeist viele Monate im Voraus ausgebucht, auch im Herbst und Winter kommen Gäste. Für Luyken die schönste Zeit des Jahres: "Die Sonne steht niedrig über dem Horizont und taucht die Landschaft in ein ständig wechselndes Licht."

Fernseher gibt es keine, langweilig wird einem ohnehin nicht. Man hat das Gefühl, draußen zu sein, obwohl man im Wohnzimmer sitzt. Riesige Panoramafenster geben den Blick frei auf die Bucht. Vom Sofa aus sieht man hinüber nach Tanera Mòr, das abends oft im Nebel versinkt, während dahinter schneebedeckte Gipfel im Schein der untergehenden Sonne leuchten. Nur schauen oder besser gleich kaufen, hat sich da bestimmt schon jemand gefragt. (Ulrich Willenberg, Rondo, 13.8.2015)