Der Lichtsmog Hurghadas ist nur mehr ein blasses Schimmern am Nachthimmel, als der Jeep von der Straße abbiegt. Am Ende der Piste die Lichter eines Gebäudes – vielleicht eine Beduinen-Farm. Vielleicht die Farm von Sheikh Salama, die wir seit zwei Stunden suchen. Vor uns versperrt eine Schranke die Straße, ein beleuchteter Checkpoint, eine Mauer, ein Wachturm. "Scheiße, Militär!" Ein Flutlicht geht an, Soldaten lösen sich aus dem Schatten, gebrüllte Kommandos auf Arabisch. Der Fahrer stoppt das Auto, 15 Meter vor dem Checkpoint. Er steigt aus. "Nicht aussteigen!"

Ein junger Soldat an der Schranke; seine Worte überschlagen sich, als er die Waffe hochreißt und uns auf Arabisch anbrüllt. Die Französin schreit durch die Fahrertür, wir hätten uns nur im Weg geirrt. Schreit auf Arabisch gegen das Gewehr an, das auf uns gerichtet ist. Und ich starre auf das MG, dieses mattschwarze Ding in den Händen des jungen Mannes, der Angst hat, panische Angst, dass der Jeep voll Sprengstoff sein könnte, der uns und ihn und den gesamten Checkpoint in die Luft jagt. "Wir haben uns im Weg geirrt, wir werden jetzt zurückfahren", sagt die Französin. Dann hat es der Soldat anscheinend verstanden. Er senkt die Waffe. Der Fahrer schlägt die Tür zu und legt den Rückwärtsgang ein.

Sheikh Salama

Am nächsten Tag finden wir Sheikh Salamas Farm, abseits der Straße einige Kilometer von der Militärbasis entfernt. Ein Haus aus Ziegeln und Brettern, grünes Buschwerk und Bäume um eine Wasserstelle, zwei kläffende Hunde und ein paar Kamele. Wir sitzen auf einem Teppich, sein ältester Sohn bringt Tee. Wir, das sind Jan, Dozent an der Uni Laibach, Matjaz, Fotograf und Fahrer, und Sarah, eine tunesischstämmige Französin.

Jan breitet eine Karte des Wüstengebietes aus, wir besprechen die Route. Jan hat eine Mission: die Suche nach Spuren christlicher Eremiten, die ab dem dritten Jahrhundert die Wüsten bevölkerten. Er kartografiert die Ruinen ihrer Behausungen, um das Leben und Wirken der Wüstenväter besser zu verstehen und um auf diese wichtigen archäologischen Zeugnisse aufmerksam zu machen.

Sheikh Salama und Jan bei der Besprechung der Route.
Foto: Markus Schauta

Die Zeit drängt. Es ist bereits Mittag und wir wollen noch heute in das Gebirge hinter Hurghada. Da Sheikh Salama das große Fastenbrechen mit seiner Familie verbringen will, hat er einen anderen Beduinen benachrichtigt, der uns führen wird: Salim. Ein ruhiger Mann, der weit älter wirkt als 45, gekleidet in Galabiyya und Kufiya – das Kopftuch der Araber. Salim fährt einen Toyota-Pick-up, am Beifahrersitz sein zehnjähriger Sohn. Die beiden Autos sind mit Lebensmitteln und Wasser beladen, die Tanks sind voll. Es geht los. Vor uns der Pick-up in einer Staubwolke. Am Ende der Ebene blau-schwarz die gezackten Silhouetten der Berge – dort wollen wir hin.

Skorpione und Spinnen

Hinter der Ebene öffnet sich ein Wadi. Neben der Piste die Reste eines römischen Forts: Deir al-Badia. Früher machten hier die Karawanen Halt auf ihrem Weg vom Roten Meer ins Niltal. Füllten die Wasservorräte auf, tränkten die Tiere und rasteten im Schatten, bis sie nachts weiterzogen.

Deir al-Badia – die Ruinen eines römischen Forts.
Foto: Markus Schauta

Wir fahren weiter über die felsige Ebene. Abends schlagen wir das Lager auf einem Felsplateau im Wadi Nagat auf 800 Metern Höhe auf. Die Autos haben wir zurückgelassen, eine Piste gibt's hier nicht. Wir sammeln Holz fürs Feuer. Salim kocht Tee und erzählt von den Tieren der Wüste: "Die Schlange", sagt er, "verjagt sie mit einem Stock." Der Skorpion könne mit einem Stein erledigt werden. "Die Kamelspinne – sehr schnell, sehr gefährlich." Er zeigt, dass sie etwa so groß wie seine Handfläche werden kann. "Nehmt Sand, um sie besser zu treffen."

Später kochen wir Makkaroni mit Thunfisch. Und als ich auf meinem Schlafsack unter dem stillen Sternenhimmel liege, frage ich mich, ob diese Spinnen auch nachtaktiv sind. Dann setzt das Schnarchen von Matjaz ein und die Frage beschäftigt mich noch einen guten Teil der Nacht.

Wadi Qatar

Mit Sonnenaufgang wache ich auf. Den Vormittag verbringen wir damit, nach den Steinhäuschen der Eremiten zu suchen. Es gibt einige in dem Wadi, auch die Reste einer Kirche. Als wir gegen Mittag zu den Autos absteigen, nimmt die Hitze zu. Später lagern wir im breiten Schatten einer Tamariske. Einige grüne Dornbüsche wachsen außerhalb des Schattens, einige sind vertrocknet. Von denen bricht Salim Holz für das Feuer.

Wir stellen Wasser für Tee und Kaffee auf. Der Wind kühlt die schweißnasse Haut. Der Beduine gibt Mehl, Salz und Wasser auf ein Teller und bereitet daraus einen Teig. Den legt er in die glühenden Kohlen. Später klopf er die Asche mit einem Stock und seiner Kufiya ab – Beduinenbrot.

Dämonen

Nach Wadi Qatar ändert sich die Landschaft. Das Grün verschwindet, schwarz-graue Schutthalden am Rande des Wadi. Die Hitze liegt bleiern über der Ebene. Der Toyota vor uns verschwindet in einer Staubwolke. Am Horizont eine Bergkette, grau und rundlich, wie Elefantenrücken. Wir halten bei einer römischen Festung, Wegstation an der alten Karawanenroute.

Die Mauern sind eingestürzt, der Brunnen versandet, der Boden bedeckt von einem Meer aus Tonscherben. Ich streife über das Ruinenfeld, hebe Scherben auf und werfe sie wieder weg. Heißer Wind wie aus einem Föhn bläst mir ins Gesicht. Und dann die Bilder im Kopf: vom Längsee früh am Morgen, wenn das Wasser klar ist. Und du springst hinein – und alles ist nass und eiskalt. Aber es gibt keine Abkühlung, nur elende Hitze, Steine und Staub und das Wasser in deiner Trinkflasche: heiß wie Suppe.

Als die Sonne hinter den Bergen im Westen versinkt, erreichen wir ein weiteres Ruinenfeld; seit Jahrhunderten verlassen, leblos. Dämmerung liegt über dem Wadi. In der Ferne sehe ich die Silhouette Salims, der sich zum Abendgebet hingekniet hat. Wir berechnen den Wasservorrat: Zu viert haben wir etwa 30 Liter in zwei Tagen verbraucht, 40 Liter bleiben uns für die kommenden zwei Tage.

"Afreet?", fragt Salims Sohn später, als das Feuer bereits heruntergebrannt ist. "Nein, da ist nichts", und Salim schaut hinaus zu den alten Mauern im Mondlicht: "Allahu akbar, Allahu akbar."

Mons Claudianus

Wir stehen um fünf Uhr morgens auf, so bleiben uns noch zwei Stunden, bis die Hitze kommt und das Wasser in den Flaschen warm wird. Im Jeep folgen wir dem Pick-up nach Westen. Abseits der Piste liegt ein behauener Granitbrocken in der Ebene. Verlassen, seit irgendwann vor mehr als tausend Jahren eine Radachse brach und der mehrere Tonnen schwere Stein zurückgelassen werden musste.

Beim nächsten Halt frage ich Salim nach dem Afreet: Einmal, so erzählt der Beduine, als er alleine bei den Ruinen übernachtete, hörte er fremde Stimmen. Danach war er einen Monat lang krank. Er ging zu einem Sheikh, der ihm den Koran auf den Kopf legte und laut daraus vorlas. Salim wurde wieder gesund, bekam aber den Rat vom Sheikh, bei Orten wie diesen den Namen Gottes zu sprechen, bevor er schläft – das vertreibe den Afreet. Später kommen wir in ein breites Wadi mit grünen Büschen. Hier wurde Salim geboren, erzählt er uns.

Mons Claudianus erreichen wir gegen Mittag. Ein antiker Steinbruch, der das römische Reich mit Granit versorgte. Hitze brütet über den verfallenen Mauern, den ausgetrockneten Wasserbecken, den Säulenstümpfen des Serapis-Tempels. Die Steine in der Sonne sind zu heiß, um sich draufzusetzen. Vom ersten bis ins dritte Jahrhundert haben Arbeiter hier Granit gebrochen und zu Säulen geformt. Auf Ochsenkarren wurden die tonnenschweren Steine über 150 Kilometer ins Niltal transportiert, mit Booten den Nil hinunter bis Alexandria und von dort übers Meer nach Rom. Kein Windzug rührt sich, die Hitze liegt wie ein Tuch über dem Ort. Wir verkriechen uns in die schmalen Schatten der Mauern. Warten, bis sie länger werden.

Mons Claudianus – ein antiker Steinbruch.
Foto: Markus Schauta
Die östliche Wüste zwischen dem Niltal und dem Roten Meer.
Foto: Markus Schauta

Salim und sein Sohn verlassen uns am späten Nachmittag. Sie fahren durch die Wüste zurück, wir werden am nächsten Tag die Straße über Safaga nach Hurghada nehmen. Unser Nachtlager schlagen wir etwas abseits der Ruinen auf. In der Nacht ist es kalt, sodass ich zum ersten Mal im Schlafsack schlafe.

Hinter der Wüste

Die Wüste im Rücken, vor uns das Meer, blau und türkisfarben. 260 Kilometer nördlich von Hurghada trennen sich unsere Wege. Jan und Matjaz besuchen noch das Antonius-Kloster, Sarah und ich fahren zurück nach Kairo. Der Fahrer eines Hotels nimmt uns in seinem Minibus mit. Er holt neue Gäste vom Flughafen ab.

"Woher kommt ihr?" – "Aus der Wüste." – "Was? Wüste?" – "Aus der Wüste", ich deute auf die Berge im Westen. Er schüttelt ungläubig den Kopf: "Habt ihr euch verirrt?" – "Nein." – "Aber warum wart ihr in der Wüste, wenn es hier überall All-inclusive-Hotels gibt?" – "Es war ein Ausflug. Die Wüste kann sehr schön sein." – "Mashi", sagt er schließlich. – "Okay, ich muss es nicht verstehen." Dann steigt er aufs Gas. Kairo wartet. (Markus Schauta, 12.8.2015)