STANDARD: Wie sehen Sie die Einigung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern?

Fratzscher: Ich halte das Abkommen für einen ersten Erfolg und im Gegensatz zu Vereinbarungen aus der Vergangenheit für realistischer. Beide Seiten sind von der Wirklichkeit eingeholt worden. Die bisherigen Zielvorgaben für die Regierung in Athen, die noch vor ein, zwei Monaten angepeilt wurden, waren nicht erreichbar. Da wurden extrem hohe Primärüberschüsse erwartet, für heuer etwa ein Prozent. Um die Vorgaben für das kommende Jahr zu erreichen, muss Griechenland zwar weiterhin sparen. Aber die Vorgaben sind weniger ambitioniert als in den ersten zwei Hilfsprogrammen. Das sollte den Griechen insgesamt dabei helfen, ihre Wirtschaft zu stabilisieren.

STANDARD: Sehen Sie irgendeine Strategie dafür, wie Griechenland wieder wachsen kann? Mit weiteren Kürzungen und Lohnzurückhaltung wird das nicht klappen.

Fratzscher: Notwendig ist, dass die griechischen Bürger und Unternehmen wieder Vertrauen in die Zukunft ihres Landes fassen. Damit das geschieht, muss das Bankensystem rekapitalisiert und umstrukturiert werden. Die nun vereinbarten Reformen sollten zügig umgesetzt werden. Etwas geschehen muss schließlich auch hinsichtlich der Überschuldung des griechischen Staates. Der Internationale Währungsfonds besteht darauf, dass es eine deutliche Schuldenerleichterung gibt, und in der Tat wäre dies wichtig, damit jeder Zweifel an einem Verbleib des Landes im Euro zerstreut wird.

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Einsparungen allein werden Griechenland nicht helfen, die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Foto: REUTERS/Alkis Konstantinidis

STANDARD: Plädieren Sie für einen richtigen Schuldenschnitt?

Fratzscher: Nein. Ich wäre für eine Umwandlung der griechischen Schulden in wachstumsgebundene Kredite: Das heißt, sowohl die Rückzahlungen dieser Darlehen als auch die Zinshöhe sollte an das Wirtschaftswachstum in Griechenland gekoppelt werden. Darüber hinaus wird es wichtig sein, sich zu überlegen, wie man einen Impuls geben kann, um Griechenland auf die Beine zu helfen. Dafür wäre die Einrichtung einer Art Sonderwirtschaftszone in einer der Regionen Griechenlands sinnvoll, in der Unternehmen ohne die langwierige Bürokratie investieren können. Ohne irgendeinen Wachstumsimpuls wird es Jahre dauern, bis die extrem hohe Arbeitslosigkeit in Griechenland wieder sinkt. Notwendig ist also eine Art positiver Schockimpuls. Eine Sonderwirtschaftszone ließe sich recht schnell einrichten. Man kann nicht nur weitermachen wie bisher, sondern muss auch weit darüber hinausdenken.

STANDARD: Gibt es ein Vorbild für eine solche Freihandelszone in Europa, und wer soll da investieren?

Fratzscher: Nicht in Europa, aber viele Schwellenländer, etwa China, waren mit dem Modell erfolgreich. Die Vorteile liegen auf der Hand: In den speziellen Regionen werden die Hürden für Investitionen sehr viel niedriger als im übrigen Land, und Unternehmer erhalten finanzielle Anreize. In Griechenland sind die Entscheidungswege in der Verwaltung oft sehr lang, das System ist von Korruption betroffen, die Vorteile liegen auf der Hand. Im Gegenzug müssten die Investoren dazu verpflichtet werden, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Zu der Frage nach den Geldgebern: Neben ausländischen Investoren wäre das Modell auch für griechische Unternehmer interessant, die ihr Geld aus dem Ausland zurückholen können, nun, da wieder etwas mehr Klarheit über die Zukunft herrscht. Auch Gelder aus dem europäischen Haushalt sollten genutzt werden.

Marcel Fratzscher: Eine Sonderwirtschaftszone für Griechenland muss her.
Foto: imago/Metodi Popow

STANDARD: Die griechische Regierung muss eine lange Liste an Reformforderungen erfüllen. Dazu gehört etwa die Liberalisierung des Apothekermarktes. Auch Berufsgruppen wie Ingenieure und Notare sollen leichter zugänglich werden. Sind das nicht rein ideologische Forderungen nach dem Motto: Liberalisierung ist gut.

Fratzscher: Es gibt sehr detaillierte Vorgaben. Letztlich geht es bei diesen Maßnahmen darum, einen fairen Wettbewerb zu schaffen. Das halte ich schon für extrem wichtig in einer Volkswirtschaft. Unternehmen werden nichts investieren, keine Jobs schaffen, wenn sie nicht sicher sind, dass es fairen Wettbewerb gibt und sie erfolgreich sein können. Von Griechenland werden offensichtlich 35 Reformen in einem ersten Schritt verlangt. Für sich allein leisten diese Maßnahmen nur einen kleinen Beitrag. Aber wenn man alles addiert, dann können diese Maßnahmen das Potenzialwachstum Griechenlands, also die Fähigkeit des Landes, Wachstum selbst zu generieren, deutlich erhöhen.

STANDARD: Aber hier werden Dinge verlangt, die oft selbst in Österreich, Deutschland nicht Realität sind.

Fratzscher: Das ist richtig. Gerade in Deutschland herrscht oft eine gewisse Überheblichkeit vor, wonach wir keinerlei Strukturreformen machen müssen. Auch Deutschland würde von einem besseren Wettbewerb in einigen Dienstleistungssektoren profitieren, zum Beispiel im Bereich der freien Berufe, der Rechtsanwälte. (András Szigetvari, 11.8.2015)