Ekkehard Kubasta begann erst als Student mit dem Wasserspringen. Der Sport fasziniert ihn bis heute.

Foto: Any Urban

Irmtraud Bohn, Ekkehard Kubasta und Grete Kugler (von links) sind zusammen 210 Jahre alt und haben dutzende Medaillen gewonnen.

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Wien – Autsch. Der ging daneben. Mehr waagrecht als senkrecht taucht Ekkehard Kubasta ins Wasser ein. Die Zuschauer sorgen sich ein bisschen. Ein Beinahe-Bauchfleck kann wehtun. Kubasta steigt scheinbar unbeeindruckt aus dem Wasser. "War das ein Nuller?", fragt er. Grete Kugler schüttelt den Kopf. Die Hände waren noch vor den Beinen im Wasser. Ein paar Pünktchen wären es gewesen.

Zweieinhalb Salti vorwärts aus drei Metern Höhe – kein einfacher Sprung. Es ist der einzige Sprung, der Kubasta in dieser Trainingseinheit im Wiener Stadthallenbad gründlich misslingt. Die Form scheint zu passen. Ab Mittwoch springt er bei der Weltmeisterschaft in Kasan. Er zählt zu den Favoriten.

"Im Prinzip geht es um den freien Fall" – das Training im Stadthallenbad.
derstandard.at/von usslar

Ekkehard Kubasta ist 74 Jahre alt. Es ist die Masters-WM. Mindestalter 25. Kubasta springt gegen rund fünf andere 70- bis 74-Jährige. Vom Einmeterbrett, vom Dreimeterbrett, vom 7,5-Meter-Turm. In der gleichen Altersklasse würde Irmtraud Bohn antreten. Sie lässt es diesmal sein. Die 74-Jährige wäre die einzige Springerin in dieser Kategorie. Konkurrenzlos die Goldene abholen will sie nicht.

Beleidigte Schulter

Die Trainingseinheit im Stadthallenbad macht sie trotzdem mit. "Die Irmi kann immer springen", sagt Grete Kugler (62), die an diesem Tag die Betreuerin gibt. Sie selbst muss passen. Die Schulter ist beleidigt. Überbelastung. Bei der WM springt sie wie Kubasta in drei Disziplinen. "In dem Alter möchte ich auch noch so fit sein wie die beiden", sagt Kugler.

Wasserspringen ist auch für über 60-Jährige nicht die gängigste Sportart. Kugler und Bohn springen schon seit früher Jugend. Kubasta begann als 18-Jähriger. "Es hat mir Spaß gemacht, deshalb wollte ich es weitermachen." Bohn war seine erste Lehrerin.

"Der Flug und der freie Fall sind das Faszinierendste am Wasserspringen", sagt Kubasta. Den Körper zu beherrschen und zu steuern – das taugt Bohn an der Sportart. Sie würde gern öfter springen, manchmal ist sie monatelang enthaltsam. "Aber ich kenne meine körperlichen Grenzen." In Biedermannsdorf leitet sie eine Seniorensportgruppe – Qi Gong, Aerobic, Kräftigung, Dehnung. Sport betreibt Bohn täglich. "Das hält jung."

Irmtraud Bohn würde gern öfter Wasserspringen. Aber sie kennt ihre Grenzen.
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Im Bad stoßen die drei Springer durchwegs auf positive Reaktionen. Bohn: "Wenn die Leute unser Alter hören, sind sie total begeistert. Außerdem", sagt sie, "haben wir eine große Vorbildwirkung. Man sieht, was man in dem Alter leisten kann." Aber das Alter hat auch seine Tücken. Was im Vorjahr noch ging, geht heuer vielleicht nicht mehr. "Man merkt, dass man abbaut", sagt Bohn. Kugler: "Eine schwere Erkenntnis."

Der Ehrgeiz birgt auch Gefahren. Die Grenze zum Übermut ist schmal. Kubasta: "Der Geist ist eh willig, aber der Körper spielt oft nicht mehr mit." Das Springen sei auch eine geistige Herausforderung, sagt er. Nur manchmal spielt ihm der Kopf einen Streich. "Es ist schon vorgekommen, dass ich weggesprungen bin und vergessen habe, welchen Sprung ich machen wollte."

Schraubenkünstler

Kubasta hat eine Spezialität. Kugler: "Der Ekkehard ist unser Schraubenkünstler." Sein Kopfsprung vorwärts mit ganzer Schraube sorge für Furore. "Den springt heute niemand mehr." Bohn verschafft sich durch höhere Schwierigkeitsgrade einen Bonus. "Ich bin nicht so elegant, habe keine Ballettbeinchen." Bei der 16. einschlägigen WM in Kasan dürfen Kugler und Kubasta springen, was ihnen gefällt. In ihren Altersklassen gibt es keine Pflichtvorgaben.

Im Vorjahr holte das Trio in Montreal in neun Bewerben achtmal Gold und einmal Silber. Bohn sprang bisher bei 13 Masters-Weltmeisterschaften, holte 28 Titel. Kugler und Kubasta sind seit 2005 regelmäßig dabei, die Anzahl ihrer Medaillen haben sie nicht im Kopf. Es waren nicht wenige. Aber ums Gewinnen geht es ihnen nicht primär. Ihre Leistungen abrufen wollen sie freilich schon. Kugler hebt das gemeinschaftliche Erlebnis hervor: "Es ist schön, wenn man alle trifft."

Verpasste Olympische Spiele

In jungen Jahren war Kugler (damals Peschek) EM-17., ihr bestes Ergebnis. Bei Staatsmeisterschaften sprang sie noch als über 50-Jährige aufs Stockerl. Fast hätte sie es zu den Olympischen Spielen 1984 (Los Angeles) geschafft. Das Limit knackte sie einmal – zweimal wäre nötig gewesen. Bohn verpasste die Spiele 1960 in Rom nur, weil der Sprungwart vergaß, sie zu nominieren. Ob sie deswegen so lange weitergesprungen sei? "Vielleicht. Das hat schon sehr an mir genagt."

Allen dreien macht das Springen nach wie vor große Freude. "Ich bin mit meinem Mann und mit dem Wasserspringen verheiratet", sagt Kugler, die wie Bohn pensionierte Lehrerin ist. Kubasta, fünffacher Großvater und früher technischer Physiker, sagt: "Wasserspringen ist für mich eine sehr schöne Sportart." Auch, wenn sie nicht immer ganz schmerzfrei ist. "Wenn man einen Bauchfleck macht, tut’s halt ein bissl weh. Aber es vergeht wieder." Und außerdem: "Im Bett habe ich mehr Schmerzen als beim Springen." Wie lange er noch weitermachen will? "So lange es geht."

Auch den Handstandsprung traut sich Kubasta noch zu.
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Nach 45 Minuten beendet Irmtraud Bohn ihre Trainingseinheit. Kubasta legt noch was drauf. Die Anwesenheit des STANDARD motiviert ihn. Sogar den Handstandsprung packt er aus. Tadellos. Und die eineinhalb Salti vom Dreier klappen fast perfekt. Weit weg vom Nuller. "Mach diesen Sprung bei der WM", sagt Kugler, "der ist so schön." Kubasta ist nicht sicher. Noch will er die Zweieinhalb nicht aufgeben. Vielleicht mit 75. (Birgit Riezinger, Video: Maria von Usslar, 11.8.2015)