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Medienkompetenz müsse nicht nur heißen, technische Geräte bedienen zu können. Es gehe dabei vor allem um die Fähigkeit, sich in Medien darstellen, äußern und sie kritisch reflektieren zu können.

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STANDARD: Zuletzt führten mehrfach Hasspostings zu Entlassungen. Macht das Internet hetzerischer oder nur unvorsichtig?

Swertz: Der maßgebliche Unterschied ist, dass Aussagen, die früher nur im persönlichen Gespräch artikuliert wurden, mit dem Internet öffentlich werden. Es entsteht kein neues Gedankengut, aber durch das Netz, durch das Social Web, können sich mehr Menschen am Diskurs beteiligen. Das ist grundsätzlich erfreulich. Die öffentliche Kommunikation unterliegt aber anderen Regeln als die private. Das Problem ist: Die meisten kennen sie nicht, haben keine Erfahrung damit.

STANDARD: Ist Medienkompetenz die heutige Schlüsselkompetenz?

Swertz: Medienkompetenz, verstanden als die Fähigkeit, kreativ mit Medien umzugehen, sich in Medien darstellen, äußern und sie kritisch reflektieren zu können, ja. Wenn sich nun ein Mitarbeiter mit einer Hassnachricht äußert, muss man ihn nicht sofort vor die Tür setzen. Ich würde es als Anfängerfehler betrachten und es mit Medienkompetenzvermittlung versuchen – wobei ich als Pädagoge natürlich eher zur Nachsicht neige und annehme, dass Menschen lernfähig sind.

STANDARD: Hasspostings haben also auch einen erzieherischen Effekt? Etwas wird gesagt, dann thematisiert – und im idealen Fall lernen alle daraus?

Swertz: Solange die Postings im juristisch vertretbaren Rahmen bleiben, können sie durchaus ein Anlass sein zu lernen, wie man sich öffentlich äußert, ohne dass es zu groben Problemen führt. Eine kleine gebildete Elite bekommt diese Fähigkeit schon von früh auf mit, aber die Mehrheit lernt das bisher nicht in der Familie oder von Freunden, sondern muss es sich ausdrücklich aneignen.

STANDARD: Wie können Ausbildungsstätten dabei unterstützen?

Swertz: Ein Mittel ist handlungsorientierte Medienpädagogik. Das bedeutet: Den richtigen Umgang mit Medien in der Praxis zu üben, mit Beispielen zu arbeiten, auszuprobieren. Ein reflektierter Umgang mit Medien könnte auch fächerübergreifend gelernt werden. Zum Beispiel, indem im Deutschunterricht neben der Nacherzählung auch "Facebook-Posting" unterrichtet wird. In Schulen wird meist nur die technische Fähigkeit vermittelt, mit Computern umzugehen. Hier bräuchte es mehr – auch eine Vermittlung solidarischen Denkens. Wenn ich mich mit jemandem solidarisch fühle, hetze ich nicht gegen ihn.

STANDARD: Was können Unternehmen tun? Was bringen Verbote?

Swertz: Social-Media-Verbote verlagern das Problem nur in den privaten Bereich. Und in private Äußerungen eingreifen dürfen Unternehmen sowieso nicht. Hier macht es natürlich einen Unterschied, ob ich als Privatperson oder als Mitarbeiter des Unternehmens spreche. Bei privaten Kommentaren sind die Grenzen weit. Bei der Forderung, Flüchtlinge zu verbrennen, rollen sich jedem die Fußnägel hoch, aber generell ist sie zulässig. Insofern ist die Entlassung des Porsche-Lehrlings auch ein Grenzfall. Was Unternehmen tun können, ist, sich einen Verhaltenskodex aufzuerlegen und dort bewusst Internetpostings mit einzubeziehen.

STANDARD: Postingkultur also als Unternehmenskultur?

Swertz: ... die natürlich auch durch Trainings gefördert werden kann. Aber nicht vergessen: Wir sprechen hier über private Äußerungen. Und da würde es sich lohnen, über die gesellschaftliche Kommunikationskultur, den Sprachgebrauch insgesamt nachzudenken. Das ist öffentliche Aufgabe. (Lisa Breit, 19.8.2015)