Strandaufnahme vor dem Meer von Beidaihe. Mao Tsetung (historisches Foto) kam 1954 zum ersten von elf Aufenthalten nach Beidaihe und schwamm dort im Meer.

Foto: Erling

Friedliche Koexistenz. Der öffentliche Massenstrand von Beidaihe im Vordergrund, hinten der leere Strand der Parteibonzen.

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Pekings Ritual ist jedes Jahr gleich. Immer wenn sich Chinas höchste Führung zum Badeurlaub und zur geheimen Sommerklausur in dem am Gelben Meer liegenden Prominentenbadeort Beidahe versammelt, erfährt die Nation davon nur nebenbei. Auch am Mittwoch war es wieder so. Der Propagandaverantwortliche Liu Yunshan, zugleich Mitglied des Ständigen Politbüroausschusses, und Zhao Leji, der höchste Organisationschef der Partei, trafen sich mit 54 ausgewählten Wisssenschaftern aus dem ganzen Land.

Auf Einladung der Partei dürfen sie im 250 Kilometer von Peking entfernten Strandort ihre Ferien verbringen. Seit 1954 diente er allen Führern Chinas, von Mao Tsetung angefangen, als Sommerfrische. Sie erholen sich aber nicht nur mit ihren Familien in den luxuriösen Villen vor dem mit Pinien und Zedern bepflanzten Lotosberg "Lianfengshan" oder beim Baden an dem abgesperrten Weststrand von Beidaihe. Sie nutzen die informelle Atmosphäre, um sich untereinander abzusprechen.

Der Name Beidaihe ist in China legendär. Beim Gemauschel am Strand fielen immer wieder dramatische Vorentscheidungen für Chinas Entwicklung. Mao entwickelte hier seine Politik der kommunistischen Volkskommunen und des Großen Sprung nach vorn. Deng Xiaoping dachte über den Eintritt Chinas in die Marktwirtschaft nach.

Ankunft und Abfahrt der Führer Chinas wurden immer streng geheimgehalten. Doch seit 2001 lud die Parteispitze jedes Jahr eine Gruppe ausgewählter Arbeiterhelden oder Wissenschafter nach Beidaihe ein. Dort wurden sie von zwei engen Gefolgsleuten des Parteichefs, die immer um ihn herum sind, öffentlich empfangen. Die Nation wusste dann, dass die höchste Parteispitze für knapp zehn Tage auf Urlaub ist.

Nächster Fünfjahresplan

Auch dieses Jahr ist es nicht anders. Beidaihe bietet der Inneren Führung den idealen Ort, um in informeller Weise den Herbstparteitag des Zentralkomitees im Oktober vorzubereiten. Parteichef Xi Jinping hat Anfang Juli auf einer Politbürositzung die Tagesordnung beschließen lassen. Peking will im Oktober den nächsten Fünfjahresplan 2016 bis 2020 verabschieden.

In Beidaihe wird der Entwurf nun feingeschliffen. Für Xi ist es der erste Fünfjahresplan seit seiner Amtsübernahme und die Blaupause, um seinen politischen Traum vom Aufstieg Chinas zur neuen Weltmacht zu verwirklichen. Bis 2021 will er im ersten Schritt aus der Volksrepublik eine weltweit mitbestimmende, militärisch starke Regionalmacht mit durchschnittlich mittlerem Wohlstand machen.

Es ist auch der erste Plan, in dem China seine Seidenstraßen-Offensive und Wirtschaftskorridore darlegt, mit denen es sich offensiv wirtschaftlich und geostrategisch Eurasien erschließen will. Zugleich verordnet Xi seinem Land einen extrem ehrgeizigen Umbau nach innen, von der Verdichtung zu regionalen Großräumen über neue Städtecluster bis zur beschleunigten Urbanisierung. In Phase zwei bis 2049 soll China zur hochindustrialisierten Globalmacht in allen Bereichen aufsteigen.

Wirtschaftliches Wachstum

Die "Volkszeitung" nannte am Mittwoch für das Wirtschaftswachstum bis 2020 vier Optionen: Peking könnte weiterhin sein sich derzeit auf sieben Prozent abschwächendes Wirtschaftswachstum auf 6,5 Prozent und bis 2020 auf sechs Prozent fallen lassen, ohne ein Limit zu setzen und einzugreifen. Es könnte zweitens alles dafür tun, dass China an seinem Zielwert von jährlich sieben Prozent festhält. Drittens könnte es versuchen, noch mehr zu tun, um wieder auf zehn Prozent und höheres Wachstum zu kommen. Dazu müsste es aber riesige Investitionsprogramme auflegen.

Die genannten drei Varianten seien jedoch unrealistisch. Auf die Vierte komme es an. Dazu müsste Peking die reale Lage des sich zur nachhaltigen Binnenwirtschaft umwandelnden Landes verstehen und sie marktwirtschaftlich, aber kontrolliert steuern. Diese Variante sei als Ziel der 13. Fünfjahresplans am schwierigsten zu bewerkstelligen, schrieb die "Volkszeitung" vor dem Hintergrund des jüngsten Börsenchaos im Land.

Neues Personal

Als weiterer Knackpunkt sollen auf der Tagesordnung von Beidaihe neue Personalentscheidungen stehen, mit denen Parteichef Xi seine künftige Nachrückergruppe in die Innere Führung zum 19. Parteitag 2017 festlegen wolle, schrieben Hongkonger Medien. Xi habe mit seiner Antikorruptionskampagne unter seinen innerparteilichen Gegnern radikal aufgeräumt und verfüge über absolute Macht. Am 3. September krönt er sie auch militärisch sichtbar durch die Abnahme einer gigantischen Militärparade vor dem Pekinger Tiananmen-Platz zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans.

Xi wolle in Beidaihe auch neue Beschlüsse zur Fortsetzung seiner Antikorruptionskampagne für den Parteitag durchsetzen. Eine Woche vor seinem Urlaubsantritt gaben die Parteibehörden die Namen weiterer von dem Parteichef "zur Strecke gebrachter Tiger" bekannt. Sie werden nun den Gerichten zur Aburteilung überlassen. Darunter befinden sich der ehemalige Vizearmeechef und General Guo Boxiong, der Ex-Politbüro-Funktionär Ling Jihua, der einst politischer Sekretär des früheren Parteichef Hu Jintao war, und der Parteichef der Peking umgebenden Provinz Hebei, Zhou Benshun. Fast 100 solcher Tiger, wie die Riege einst allmächtiger Funktionäre genannt wird, hat Xi seit seinem Amtsantritt unter dem Vorwurf der Korruption und des Amtsmissbrauchs stürzen und mit ihnen abrechnen lassen. (6.8.2015)