Unzählige Erdbeben konnten den Felsen unweit der San-Andreas-Verwerfung offenbar nichts anhaben. Dass sie nach mindestens 10.000 Jahren immer noch ungerührt aufeinander stehen, könnte mit der Beziehung zwischen zwei nahe beieinander liegenden geologischen Verwerfungen zusammen hängen.

Foto: Nick Hinze / Nevada Bureau of Mines & Geology

Irvine/Wien – Es scheint fast, als würden sich diese Steine nicht das Geringste um die Gesetze der Schwerkraft scheren: In den San Bernardino Mountains im Süden Kaliforniens stehen seit Jahrtausenden einige tonnenschwere Granitfelsen in einer Weise aufeinander, dass man meinen könnte, ein kleiner Stupser würde sie schon zu Fall bringen.

Balancierende Brocken wie diese sind überall auf der Welt zu finden und entstehen meist durch spezielle Erosionsprozesse. Was die Felsen in der Gegend um den Silverwood Lake und das Grass Valley aber zu einem rätselhaften Phänomen macht, ist die Tatsache, dass nur wenige Kilometer entfernt zwei signifikante tektonische Linien verlaufen: die San-Andreas-Verwerfung und der San-Jacinto-Bruch.

Wie ist es also möglich, dass die wackelig aufeinandergetürmten Steine mitten im aktivsten Erdbebengebiet der USA immer noch stehen? Die Geologin Lisa Grant Ludwig und ihr Team von der University of California in Irvine haben nun versucht, dem Mysterium auf die Spur zu kommen.

Die Wissenschafter nahmen dafür 36 der sogenannten prekär balancierenden Felsen unter die Lupe. Neben einer genauen Vermessung der einzelnen Steine bestimmten die Forscher die Kraft, die notwendig ist, die Felsen kippen zu lassen. Diese Werte setzten Grant Ludwig und ihre Kollegen in Beziehung zur erwartbaren Beschleunigung des Bodens bei mittleren und schweren Erdbeben. Davon müsste es in den vergangenen 10.000 Jahren geschätzte 50 bis 100 gegeben haben.

Keiner dürfte mehr stehen

Das im Fachjournal "Seismological Research Letters" veröffentlichte Ergebnis: Kein einziger der untersuchten Felsen dürfte heute noch stehen. "Was da herauskam, war wirklich ein wissenschaftliches Rätsel", meint Grant Ludwig.

Ein genauer Blick auf die seismischen Gegebenheiten der Region lieferte den Forschern schließlich eine mögliche Erklärung: Gerade der geringe Abstand zwischen den beiden nahen Verwerfungen könnte zu einem sogenannten Stepover-Effekt führen, bei dem Spannungen von einer Verwerfung auf die benachbarte überspringen. Bebenmodelle ergaben, dass in einem solchen Fall Schattenzonen entstehen, in denen Bodenbewegungen abgeschwächt werden. Die Geologen vermuten, dass die Gegend um die kippgefährdeten Felsen in einem solchen Erdbebenschatten liegt.

Die Erklärung hätte allerdings eine bedrohliche Konsequenz: Eine enge Verknüpfung der seismisch sehr aktiven San-Jacinto-Verwerfung mit der San-Andreas-Verwerfung im Süden könnte womöglich in Zukunft zu verheerenden Doppelbeben führen. (tberg, 5.8.2015)