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Unterstützung für Antonio Cheramy (Verité) in Port-au-Prince

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Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Haitis interessiert sich für Politik, die im Ruf steht, korrupt zu sein.

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Haitis Staatspräsident Michel Martelly sorgte in der Schlussphase des Wahlkampfs mit sexistischen Aussagen für einen Eklat.

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Port-au-Prince – Schon vor über vier Jahren hätten im Karibikstaat Haiti Parlamentswahlen stattfinden sollen. Doch das Land hatte damals mit den Folgen eines verheerenden Erdbebens zu kämpfen. Später wurden mehrere Termine aufgrund politischer Streitigkeiten verschoben – zuletzt im Oktober vergangenen Jahres. Doch an diesem Sonntag soll tatsächlich eine neue Volksvertretung gewählt werden.

Im zuletzt sehr lebhaft geführten Wahlkampf sorgte Staatspräsident Michel Martelly für einen Eklat: Einer Frau, die ihn bei einer Veranstaltung offen kritisiert hatte, empfahl er, sich doch lieber "einen Mann zu suchen und mit diesem in die Büsche zu gehen". Aufgebracht kündigten drei Mitglieder der Regierung an, als Protest gegen Martellys sexistische Entgleisung aus dem Kabinett auszutreten.

Politikverdrossenheit wegen Korruption

Zur Wahl stehen am Sonntag – sofern der Urnengang tatsächlich stattfindet – alle Abgeordneten des Unterhauses sowie 20 der 30 Senatoren des Oberhauses. Da die Politik des Landes als ineffizient gilt, haben viele Wähler angekündigt, der Wahl fernzubleiben. Demoskopen rechnen daher auch nur mit einer mageren Wahlbeteiligung von 15 Prozent. Schon in vergangenen Jahren hatte sich nur eine kleine Minderheit der Wahlberechtigten an den Urnengängen beteiligt. Die große Mehrheit der verarmten Bürger des Landes glaubt nicht daran, dass ihre Stimme etwas bewirken könne. Es würden seit Jahrzehnten bloß Diktatur, Vetternwirtschaft und Korruption regieren, bekommt man oft zu hören.

Wegen der verschobenen Parlamentswahlen sind mittlerweile etwa 90 Prozent der Abgeordneten- und Senatorenmandate abgelaufen. Damit hat Haiti kein funktionsfähiges Parlament mehr. Seit Anfang 2015 kann die Regierung des Präsidenten Michel Martelly nur mehr per Dekret agieren.

120 Parteien und ein Glatzkopf

Mehr als 120 Parteien stellen sich der Wahl, allerdings dürfte etwa die Hälfte der 99 Plätze im Abgeordnetenhaus an die zehn einflussreichsten Gruppen des Landes gehen. Gute Chancen dürfte die neue, rechte Partei von Staatspräsident Michel Martelly haben, dessen Partei sich in Anspielung an ihren Vorsitzenden ironisch Parti Haïtien Tèt Kale (PHTK) – "haitianische Glatzkopfpartei" – nennt.

Der frühere Sänger war bei der Präsidentenwahl 2011 eigentlich für die Mitte-rechts-Partei Repons Peyizans ("Antwort der Bauern") zum Staatschef gewählt worden. Auch die Partei des umstrittenen Ex-Staatschefs Jean-Bertrand Aristide, Fanmi Lavalas ("Lawine"), ist im Rennen. Die linksgerichtete Partei darf zum ersten Mal seit der Entmachtung Aristides 2004 wieder auf den Stimmzetteln stehen. Ex-Staatschef René Préval will mit seiner neuen Partei Vérité ("Wahrheit") in das Abgeordnetenhaus einziehen.

Finanzierung bis zuletzt unklar

Auch dieses Mal kann bis zuletzt nicht mit Sicherheit bestätigt werden, ob die Wahl tatsächlich stattfinden wird. Der letzte Termin im Oktober 2014 war erst am Morgen der geplanten Abstimmung wegen eines nicht zustande gekommenen Wahlgesetzes abgesagt worden.

Auch sprach der amtierende Übergangspremier Evans Paul erst vor ein paar Wochen von gravierenden finanziellen Schwierigkeiten: Mitte Juli fehlten der Regierung rund 31 Millionen US-Dollar (28 Millionen Euro) für die Organisation der 74 Millionen US-Dollar teuren Wahl. Die US-Regierung sagte Zuschüsse zu, auch andere Uno-Mitglieder sollten der Demokratie in dem desolaten Staat finanziell unter die Arme greifen.

Unruhen befürchtet

Ein Beamter des US-Außenministeriums äußerte sich laut Nachrichtenagentur Reuters zwar optimistisch, dass die Wahlen wie geplant an diesem Wochenende stattfinden werden; doch müsse man stets mit politischen Unruhen und Gewaltausbrüchen rechnen.

Derartige Bedenken hätten laut Reuters nach dem 1. Juli zugenommen, nachdem das Kontingent der Uno-Friedenstruppe auf Haiti – das aufgrund des verheerenden Erdbebens 2010 auf zirka 13.000 aufgestockt wurde – um zirka zwei Drittel auf 2.370 Soldaten und 2.600 Polizisten reduziert wurde.

Zu wenig Polizisten für das Land

Tom Adams, Haiti-Spezialkoordinator des US-Außenministeriums, hatte kürzlich im US-Senat gewarnt, dass die haitianische Nationalpolizei nicht genügend Polizisten habe, um im gesamten Land für Sicherheit sorgen zu können. Haiti benötige 30.000 Polizisten, habe aber nur 12.000 zur Verfügung. Trotzdem seien die Wahlen nach wie vor durchführbar und dringend nötig, um Reformen zu beschleunigen und das Land für ausländische Investitionen zu öffnen, so Adams zum Unterausschuss.

Inzwischen hat – wie befürchtet – die Gewalt mit politischem Hintergrund zugenommen, wie der haitianische Sender Metropole vor zwei Wochen berichtete: In Petit-Goâve südlich der Hauptstadt Port-au-Prince hätten sich Anhänger zweier Kandidaten Straßenschlachten geliefert. Mindestens drei Menschen seien durch Steinwürfe verletzt worden. Einem anderen Bericht zufolge waren tags zuvor drei Leichen auf offener Straße in Port-au-Prince gefunden worden. Die offenbar Ermordeten sollen zuvor Wahlplakate geklebt haben.

Wahlmarathon bis in den Herbst

Der Urnengang am Sonntag markiert den Beginn eines anvisierten Wahlmarathons in Haiti. Am 25. Oktober soll auch der Präsident in zwei Durchgängen neu gewählt werden. Das Mandat des seit 2011 amtierenden Michel Martelly läuft im Mai 2016 ab. Ebenso sollen das restliche Drittel der Senatoren sowie ein Großteil der Kommunalpolitiker gewählt werden. Insgesamt sind etwa 6.000 politische Stellen bei den heurigen Wahlen neu zu besetzen. (red, 8.8.2015)