Obwohl vergangene Woche Tausende in Sarajevo dagegen auf die Straße gingen und die Gewerkschaften mobilmachten, hat das Parlament des Landesteils der Föderation in Bosnien-Herzegowina ein neues Arbeitsgesetz beschlossen. Dieses Gesetz ist die Voraussetzung dafür, dass der arme Balkanstaat einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) bekommen kann. Und ohne diesen Kredit wären beide Landesteile, die Föderation und die Republika Srpska (RS), bereits ab Herbst nicht mehr in der Lage, die Pensionen und öffentlichen Gehälter auszuzahlen. Der Druck ist also groß.
Die EU-Kommission ist zufrieden, dass das Gesetz nun wenigstens in der Föderation beschlossen wurde. Sprecher Andy McGuffie betonte im Gespräche mit dem STANDARD aber: "Uns geht es nur um die generellen Prinzipien der Reformagenda, aber wir diktieren natürlich nicht genau, was in dem Gesetz stehen soll." Im Allgemeinen ginge es darum, den Raum für die Privatwirtschaft zu vergrößern und die Bürokratie zu verringern. McGuffie ist zuversichtlich, dass auch die RS im September das Arbeitsgesetz durch das Parlament in Banja Luka bringt. "Sonst gibt es ja den Kredit vom IWF nicht", so McGuffie.
Neues Druckmittel der EU
Die EU wendet gemeinsam mit den Internationalen Geldgebern erstmals eine neue Strategie an, die Reformagenda – genannt Wachstumspakt – an Kredite zu koppeln. Alle anderen Reformbemühungen der EU (etwa die Verfassungsänderung) waren in den vergangenen Jahren in Bosnien-Herzegowina mit seinem hoch komplexen System gescheitert. Die Reformagenda, die von der EU aufgrund einer Initiative von Deutschland und Großbritannien vergangenen Herbst entworfen worden war, wurde von allen drei Ebenen der bosnischen Regierung unterschrieben. Sie soll auch zu einer Annäherung des strukturschwachen Staates an die EU führen und war Voraussetzung für die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) mit Brüssel.
Der Sondergesandte der EU in Bosnien-Herzegowina, Lars-Gunnar Wigemark, sprach angesichts des neuen Arbeitsgesetzes von einem "großen Schritt" vorwärts. Allerdings sei dieses nur ein Teil der Reformagenda. In einem Artikel, der in bosnischen Medien veröffentlicht wurde, erinnerte er daran, dass Bosnien-Herzegowina das geringste Bruttoinlandsprodukt im Vergleich mit den regionalen Nachbarn habe. Gleichzeitig sei die Jugendarbeitslosigkeit mit über 60 Prozent in Bosnien-Herzegowina am höchsten. "Die Tage des Privilegiensystems, in dem es im Gegenzug zu politischen Gefälligkeiten 'Jobs für Buben' gibt, müssen – und ich denke: sie können – zu Ende gehen", so Wigemark. Das neue Arbeitsgesetz schaffe mehr Flexibilität und sei fairer.
Gewerkschaften fürchten Sozialabbau
Die Gewerkschaften sind da ganz anderer Ansicht. Denn das Arbeitsgesetz erleichtert auch Kündigungen und Entlassungen und ermöglicht Änderungen bei Kollektivverträgen. Andererseits stammen die Arbeitsgesetze in Bosnien-Herzegowina teils noch aus jugoslawischer Zeit und sind laut Ökonomen mit ein Grund dafür, dass es so wenig Investitionen gibt.
Das Arbeitsgesetz war zuletzt in der Föderation daran gescheitert, dass die Regierung des Landesteils auseinandergebrochen war. Kurz vor der Verabschiedung im Parlament hatten sich aber neue Mehrheiten gebildet.
"Türen für Arbeitgeber geöffnet"
Die neue Regierung umfasst die größte bosniakische Partei SDA, drei kleinere bosniakische Parteien (BPS, SZBiH und A-SDA), sowie die kroatische HDZ, die HDZ 1990 und die Naša Stranka, eine liberale und multinationale Partei. Die drei kleineren bosniakischen Parteien ersetzen die Demokratska Fronta (DF), die bis zum Auseinanderbrechen in der Koalition war.
Der Premier der Föderation, Fadil Novalić, sagte, dass die neue Koalition mit dem Arbeitsgesetz Mut gezeigt habe. "Mit diesem haben wir auf der einen Seite die Türen für Arbeitgeber geöffnet und sie von Ängsten befreit, Leute zu beschäftigen, und andererseits haben wir die Tore für die Europäische Integration geöffnet." Die DF und die Sozialdemokraten kritisierten, die Regierung habe die "Rechte der Arbeiter verraten". (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 5.8.2015)