Prishtina (Pristina)/Wien – Nach monatelangem Tauziehen hat das kosovarische Parlament am Montag ein Sondertribunal zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) während des Kosovo-Krieges (1998-1999) auf den Weg gebracht. Die Ergebnisse könnten neben zahlreichen anderen Regierungspolitikern auch Außenminister und Vize-Premier Hashim Thaci in Bedrängnis bringen.

Die Parlamentarier stimmten nach einer mehrstündigen Marathondebatte am Montagabend zuerst für die zur Einrichtung des Tribunals notwendige Verfassungsänderung, bevor sie auch das eigentliche Gesetz zu dessen Schaffung verabschiedeten. Frühere Anläufe waren gescheitert.

Boykott

Auch am Montag boykottierten die Oppositionsparteien die Abstimmung, zwei Abgeordnete der Regierungspartei PDK von Thaci stimmten laut Medienberichten ebenfalls gegen die Verfassungsänderung. Thaci war früher selbst führendes UCK-Mitglied, hatte sich jedoch nach internationalem Druck für die Einrichtung des Sondertribunals eingesetzt. Ehemalige UCK-Kämpfer empfingen ihn daher am Montag mit "Dieb, Dieb"-Rufen und bewarfen ihn mit Flaschen.

Allerdings könnte das Tribunal auch Thaci selbst in Bedrängnis bringen. Der Schweizer Europarats-Sonderermittler Dick Marty hatte ihm und früheren Verbündeten neben anderen Kriegsverbrechen vorgeworfen, Serben getötet und deren Organe anschließend verkauft zu haben. Thaci hat die Anschuldigungen stets zurückgewiesen.

Sonderarbeitsgruppe

Die EU richtete 2011 eine Sonderarbeitsgruppe in der Angelegenheit ein. In einem Zwischenbericht erklärte der damalige Chefermittler Clint Williamson vor rund einem Jahr zwar ausreichende Beweise für Kriegsverbrechen, nicht jedoch für systematischen Organhandel gefunden zu haben.

Namen konkreter Beschuldigter nannte er damals nicht. Diese werden wohl erst bekannt, wenn die mittlerweile vom US-Juristen David Schwendiman geleitete Ermittlungsgruppe die ersten mutmaßlichen Kriegsverbrecher anklagt. Voraussetzung dafür ist wiederum das am Montag beschlossene Sondertribunal. Mit ersten Anklagen wird nun Anfang 2016 gerechnet.

Beifall

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier zollten dem Schritt am Dienstag Beifall. Kurz sprach von einem "wichtigen Schritt zur Aufarbeitung des Vergangenheit" und einem "Zeichen demokratischer Reife". "Die Abgeordneten haben damit bewiesen, dass es ihnen ernst ist damit, den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit folgend die Geschehnisse (...) lückenlos aufzuklären", lobte der Außenminister. Auch Steinmeier würdigte eine "mutige Entscheidung" für Verfassungsänderungen, um rechtsstaatliche Prinzipien und strafrechtliche Verantwortung durchzusetzen.

Die kosovo-albanische UCK war erstmals 1996 nach Repressionen und Übergriffen der serbischen Polizei mit Anschlägen und Angriffen in Erscheinung getreten. Zuvor hatte der serbische Präsident Slobodan Milosevic 1989 der Provinz Kosovo den Autonomiestatus größtenteils entzogen, und es wurden Albaner-feindliche Gesetze erlassen. Regional-Regierung und -Parlament wurden aufgelöst. Nach einer Volksabstimmung im Kosovo wurde die "Republik Kosovo" proklamiert und eine Paralleladministration der Albaner errichtet. 1998 kam es schließlich zu dem von Gräueltaten und Massenvertreibungen geprägten, offenen Unabhängigkeits-Krieg zwischen der UCK und Rest-Jugoslawien, in den schließlich die NATO aufseiten der Kosovo-Albaner eingriff. Der Kosovo kam danach unter UNO-Verwaltung, ehe er 2008 seine Unabhängigkeit erklärte.

Milosevic wurde u.a. wegen Kriegsverbrechen im Kosovo angeklagt. Mehrere ehemalige UCK-Kämpfer landeten vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag. Prominentester Fall: Der Ex-Befehlshaber und spätere Ministerpräsident Ramush Haradinaj. Er wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen, wobei etliche Zeugen unter mysteriösen Umständen starben. Nur im Fall von Haradin Bala kam es zu einer Verurteilung zu 13 Jahren Haft.

Das Sondertribunal gilt als Teil des Normalisierungsprozesses zwischen Serbien und dem Kosovo, auf den die Europäische Union für eine weitere Annäherung beider Staaten pocht. Es soll sich nun mit noch offenen Anschuldigungen, darunter jener des Organhandels, befassen. (APA, 4.8.2015)