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Ein großer Teil der europäischen Antikrisenpolitik ist Improvisation und Flickwerk – die Antikrisenmechanismen in gewisser Weise ein Baustelle.

Foto: Reuters/Datta

Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat der Welt eines voraus: Er weiß, wie sich ein Ausschluss aus der Eurozone anfühlt. Ende Juni, nach der Ankündigung des Referendums über das Sparprogramm in Athen, trafen sich die Finanzminister der Euroländer zu einem Krisengespräch in Brüssel. Varoufakis wurde zur Halbzeit aus der Runde geworfen – man wollte ohne ihn beraten.

Als er einwandte, dass die Regeln dies nicht erlauben würden, widersprachen Juristen, wie der Grieche später erzählte. Ihr Argument: Die Eurogruppe gebe es rechtlich nicht, sie gründe auf keinen Vertrag. Daher spreche auch nichts gegen den Rauswurf.

Die Anekdote verdeutlicht eines: Ein großer Teil der europäischen Antikrisenpolitik ist Improvisation und Flickwerk. Eine informelle Gruppe wie die Eurofinanzminister trifft Entscheidungen, die das Schicksal ganzer Länder verändern können. Mit seinen kritischen Bemerkungen über diesen Mechanismus steht Varoufakis ausnahmsweise nicht allein da. In den vergangenen Wochen haben sich zahlreiche Spitzenpolitiker zu Wort gemeldet und eine Reform der Eurozone verlangt. Frankreichs Staatschef François Hollande schlug die Einrichtung einer Regierung für die Eurozone mit eigenem Budget, also eigenen Steuern, und parlamentarischer Kontrolle vor.

Eurofinanzminister

Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble verlangt die Schaffung eines Eurofinanzministers. Vorschläge zur Errichtung eines Eurofinanzamts ("Treasury") finden sich auch in einem Vorschlag, den die fünf Präsidenten von EU-Institutionen ausarbeiten ließen.

Die vorgebrachten Ideen würden weitreichende Veränderungen bedeuten. Steuereintreibung zählt zu den nationalen Kernkompetenzen. Sind solche Reformvorschläge also realisierbar – und gehen sie in die richtige Richtung?

Ja, die Tendenz stimmt: Das sagen zumindest unisono eine Reihe vom STANDARD befragter Ökonomen und Politikwissenschafter, darunter Guntram Wolff, Chef des Brüsseler Thinktanks Bruegel, der US-Ökonom Barry Eichengreen und der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Marcel Fratzscher.

Eine große Übertragung von Kompetenzen an die EU sei aus heutiger Sicht illusorisch, sagen sie, weil die politische Unterstützung fehlt. Doch in einigen Kernbereichen sei eine verstärkte Zusammenarbeit möglich.

Wolff etwa meint, dass die informellen und oft chaotischen Entscheidungsprozesse in der Eurozone "transparenter und effizienter" werden müssen. In der Eurogruppe sollten nicht mehr alle Entscheidungen einstimmig fallen. Auch Mehrheitsentscheide, etwa darüber, ob ein Land Finanzhilfe bekommt, sollten möglich sein. Der Prozess sollte einer parlamentarischen Genehmigung auf europäischer Ebene unterliegen, was bisher nicht der Fall ist.

Wolff schlägt vor, dafür einen Ausschuss des EU-Parlaments aufzuwerten, in dem nur Euroländer vertreten sind. Zustimmung gibt es ebenso zur Idee eines Eurofinanzministers. Die Eurozone hat seit Krisenausbruch hektisch versucht, die gegenseitige Überwachung der nationalen Haushalte zu stärken. "Einen starken Sanktionsmechanismus gibt es aber weiterhin nicht, wenn Länder aus der Reihe tanzen", sagt der deutsche Ökonom Fratzscher.

Aus der Reihe

Um Abhilfe zu schaffen, sollte deshalb ein Eurofinanzminister das Recht bekommen, nationale Budgetgesetze per Veto zu stoppen, wenn diese den gemeinsamen Regeln widersprechen. Um Legitimität zu erhalten, müsste der Eurominister von einem Europarlament gewählt sein.

Fratzscher kann wie von Frankreich gewünscht auch einem Eurobudget, finanziert über eine eigene Unternehmensteuer, einiges abgewinnen. Mit diesem Budget soll kein dauerhafter Transfer stattfinden. Es geht also nicht darum, dass Deutschland Griechenland finanziert. Vorübergehend könnten aber Gelder aus diesem Topf genommen werden, um Ungleichgewichte auszugleichen.

Ein Einwand gegen eine zusätzliche Europäisierung lautet, dass eine Kompetenzübertragung allein wenig bringt, solange es zwischen den Mitgliedsländern nicht eine stärkere Konvergenz gibt. Die Konflikte in Europa haben ihren Ursprung ja in unterschiedlichen Interessen (Süd gegen Nord) und unterschiedlichen Ideologien (Sparen gegen Investieren). Solche Differenzen lassen sich nicht einfach durch neue Aufgabenverteilung beheben. Auch Wolff meint, dass ein Eurofinanzminister "wahrscheinlich zu 30 Prozent die deutsche Position vertreten werde, einfach weil Deutschland wirtschaftspolitisch so ein großes Gewicht hat". (András Szigetvari, 5.8.2015)