Journalisten unter dem Verdacht des Landesverrats: Die Ermittlungen gegen die "Netzpolitik"-Redakteure Markus Beckedahl und André Meister sorgen für Aufregung in Berlin. Wie konnte es so weit kommen?

25. Februar:

"Netzpolitik" zitiert in einem Artikel aus internen Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Darin geht es um Pläne des Inlandsgeheimdiensts, massenhaft Internet-Inhalte auszuwerten. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen sieht einen Verrat von Staatsgeheimnissen: Er stellt eine erste Strafanzeige. Sie richtet sich gegen "unbekannt". Die Namen von Beckedahl und Meister werden in der Anzeige aber erwähnt.

15. April:

"Netzpolitik" legt nach: Der Blog zitiert erneut aus internen Akten des Verfassungsschutzes. Es geht um eine BfV-Referatsgruppe, die massenhaft das Internet auswerten soll. Maaßen stellt eine zweite Strafanzeige. Die übergeordnete Behörde, das Bundesinnenministerium, ist durch Maaßen informiert und billigt die Strafanzeigen.

Ende April/Anfang Mai:

Generalbundesanwalt Harald Range prüft die Anzeigen – und bittet den Verfassungsschutz um weitere Informationen. Das Amt soll darlegen, dass es sich tatsächlich um den Verrat von Staatsgeheimnissen handelt; andernfalls wäre Range gar nicht zuständig. Das BfV liefert daraufhin ein ausführliches Rechtsgutachten, das den Verrat von Staatsgeheimnissen bejaht.

13. Mai:

Der Generalbundesanwalt leitet ein Ermittlungsverfahren gegen Beckedahl und Meister ein. Range ordnet dabei nach Angaben seiner Behörde an, "dass mit Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit keine Maßnahmen gegen die in den Strafanzeigen des BfV namentlich genannten Journalisten ergriffen werden". Solche Maßnahmen hätten etwa in Hausdurchsuchungen bestehen können. Um sich abzusichern, will Range zunächst ein externes Gutachten zum Vorliegen eines Staatsgeheimnisses anfordern.

27. Mai:

Beim deutschen Justizministerium geht ein Schreiben der Bundesanwaltschaft ein. Darin unterrichtet Range die übergeordnete Behörde über die Ermittlungen gegen die "Netzpolitik"-Journalisten. Nach Angaben seines Ministeriums hat Minister Heiko Maas (SPD) Bedenken gegen dieses Vorgehen und teilt dies Range auch mit – wann genau, ist nicht bekannt. "In der Folge des 27. Mai", sagt Maas' Sprecher zum Zeitpunkt.

19. Juni:

Range gibt bei einem externen Fachmann ein unabhängiges Rechtsgutachten in Auftrag, ob es sich bei den "Netzpolitik"-Informationen tatsächlich um Staatsgeheimnisse handelt, wie es der Verfassungsschutz behauptet. Das Gutachten erhält er erst am 3. August. Der Befund: Ja, es handle sich um Staatsgeheimnisse.

24. Juli:

Auf diesen Tag ist der Brief datiert, in dem der Generalbundesanwalt Beckedahl und Meister über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens informiert.

30. Juli:

Der Brief geht bei Beckedahl und Meister ein. Sie informieren die Medien, der Fall wird öffentlich bekannt und löst einen Sturm der Entrüstung aus. Das Bundeskanzleramt erfährt nach Angaben einer Sprecherin erst an diesem Tag durch die Medienberichte von dem Fall.

31. Juli:

Der Fall bestimmt die Schlagzeilen: Kritiker sehen einen Angriff auf die Pressefreiheit. Minister Maas rückt demonstrativ von seinem unter Beschuss geratenen Generalbundesanwalt ab. Er bezweifle das Vorliegen von Landesverrat, sagt Maas.

2. August:

BfV-Präsident Maaßen verteidigt seine Strafanzeigen – und versucht, sich selbst aus der Schlusslinie zu bringen: Seine Anzeigen seien gegen "unbekannt" gerichtet gewesen, nicht direkt gegen Journalisten. Range kontert: Maaßens Anzeigen hätten die Namen von Beckedahl und Meister enthalten.

3. August:

Um Range wird es einsam. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt ausdrücklich das Vorgehen von Maas. Eine Vertrauenserklärung für Range will sie nicht abgeben. Unterdessen geht bei Range in Karlsruhe das externe Gutachten ein, das das Vorliegen von Staatsgeheimnissen bejaht. Minister Maas interveniert: Er erteilt Range nach dessen Angaben die Weisung, "das Gutachten sofort zu stoppen".

4. August:

Range wehrt sich öffentlich. Mit Blick auf den Justizminister beklagt er einen "unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz". (APA, 4.8. 2015)