Jörg Matthes (38) ist Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien. Dort forscht er zu den Themengebieten politische Kommunikation und Werbung.

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STANDARD: Warum erleben wir zurzeit einen Anstieg an sogenannten Hasspostings?

Jörg Matthes: Im Netz fühlen sich Menschen anonym und sicher, was zu einer Enthemmung bei der Kommunikation führt. Auch werden die Nachrichten von Themenlagen dominiert, die die Menschen bewegen und polarisieren. Hasspostings beziehen sich insbesondere auf Gruppen, denen versteckte oder offene Ressentiments entgegengebracht werden, etwa Ausländer.

STANDARD: Was können hetzeri- sche Kommentare bei Lesern bewirken?

Matthes: Studien legen nahe, dass die eigene Hemmschwelle beim Posten sinkt, wenn wir stark mit solchen Äußerungen konfrontiert sind. Menschen bekommen dann zunehmend das Gefühl, dass es okay ist, sich abwertend und ausfällig zu äußern. Sie sehen, dass sie mit ihren Einstellungen nicht allein sind. Das betrifft aber nur jene, bei denen ohnehin eine Disposition zu diesen Einstellungen besteht. Nicht jeder, der Hasspostings liest, wird selbst zum Hassposter. Die Mehrheit lehnt solche Wortmeldungen ab.

STANDARD: Unternehmen reagieren auf Fehltritte ihrer Mitarbeiter scharf. Könnte das potenzielle Hassposter beeinflussen?

Matthes: Das Wissen um mögliche negative Konsequenzen von Hasspostings spielt da schon eine zentrale Rolle. Es geht deshalb darum, als Gesellschaft darüber aufzuklären, dass Hetze nicht tolerierbar ist und unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen haben kann. Ich denke, dass vielen Verfassern solcher Kommentare nicht bewusst ist, dass sie möglicherweise eine Straftat begehen und ihre Identität strafrechtlich ermittelt werden könnte. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass die Anzahl solcher Postings in nächster Zeit zurückgeht.

STANDARD: Was kann langfristig eine Strategie gegen Hass im Netz sein?

Matthes: Wir brauchen eine stärkere Sensibilisierung für das Thema: In der Schule, bei den Eltern und in der Gesellschaft. Die moralische und strafrechtliche Grenze spielt natürlich eine wichtige Rolle. Wir regulieren unsere Kommunikation selbst ja täglich und sagen nicht alles, was uns durch den Kopf geht. Das Drohpotenzial ist allerdings noch zu gering, um wirkliche Abschreckung zu bewirken.

STANDARD: Welche Rolle spielen parteipolitische Kampagnen?

Matthes: Ich denke, dass die Kommunikation im Netz davon eher wenig beeinflusst wird. Dort entstehen Gruppen, die sich in ihren Meinungen gegenseitig verstärken. Menschen, die schon extremistische Einstellungen haben, können durch Hasspostings in ihren Überzeugungen bestätigt oder angestachelt werden. (Fabian Schmid, 4.8.2015)