Die stimmgewaltige Marja Hennicke residiert im Musical- Dauerbrenner "Hairspray" auf dem Hummerthron.

Foto: Der Standard/Christian Husar

Baden – In einem ähnlichen Tempo, in dem die elektronische Industrie ihre Produkte zur Weltvernetzung verbessert, liberalisieren sich die Gesellschaften der westlichen Welt. Davor hat's etwas gedauert: Erst Mitte der 1960er-Jahre wurde in den USA die Rassentrennung aufgehoben.

Hairspray, der wundervoll schräge Film von John Waters aus dem Jahr 1988, erinnert an jene Zeit, als gesellschaftliche Vorurteile so betonhart waren wie die Doris-Day-Frisuren der Damen. 2002 wurde Waters' Werk zum straffen, quicken Musical modifiziert, 2007 verfilmte Adam Shankman die Geschichte der so fülligen wie willensstarken Tracy Turnblad, die gegen Ressentiments aller Art antanzt, erneut.

Stimmgewaltig, entspannt und eisenhart

Im Stadttheater Baden ist es die stimmgewaltige Marja Hennicke, die sich in die "Corny-Collins-Show" und ins Herz von Link Larkin (provinzschön: Stefan Bleiberschnig) wirbelt. In die Fußstapfen von Divine und John Travolta als Edna Turnblad tritt René Rumpold: Der Kärntner zelebriert die Rolle von Tracys Mutter mit altersmilder Entspanntheit. Hochenergetisch hingegen Marina Petkov als Tracys schrilles Beiboot, Penny Pingleton.

Wenn ZiB-Mann Stefan Gehrer den Ausbruch aus den sterilen Küniglberg-Studios in Richtung Showbühne gewagt hätte, würde er wahrscheinlich ausschauen wie Reinwald Kranner als Corny Collins. Ariane Swoboda ist eine beängstigend dünne, schöne, eisenharte Velma von Tussle, Andreja Zidaric als Tochter Amber ihre charakterliche Nachbildung.

Superstreng Sylvia Rieser in diversen Aufpasserinnenrollen, liebenswert Gernot Kranner als Wilbur Turnblad. Deborah Woodson ist als Motormouth Maybelle eine Naturgewalt in Sachen Styling und Stimme; sympathisch, aber etwas artikulationsschwach Victor Hugo Barreto als Seaweed J. Stubbs. Bizarr Robert Sadils Mr. Pinky, ein Karl Lagerfeld in Rosé.

Altherrencombo mit Charme

Die Bühne von Dietmar Solt ist abwechslungsreich schräg ausgefallen, die Kostüme von Hanna Solt finden ein Höchstmaß an Eleganz in den Roben der zwei blondierten Wasp-Dominas. Getanzt wird ganz nett, wenn auch das eine oder andere Mitglied des Balletts daran denken sollte, dabei mehr ins Publikum als auf die eigenen Füße zu schauen (Choreografie: Michael Kropf). Bei den großen Ensembleszenen sind in den hinteren Reihen seltsame semiprofessionelle Gestalten zu bemerken.

Ferdinando Chefalos Inszenierung hat alles in allem Charme, das Orchester der Bühne Baden (Leitung: Michael Zehetner) erinnert zu Beginn der Premiere an eine Altherrencombo bei einer Verkaufsveranstaltung für Heizdecken, dann wird es aber immer besser. Begeisterung. (Stefan Ender, 4.8.2015)