Vor 25 Jahren ist Bruno Kreisky gestorben. Mit ihm als Parteivorsitzenden und Kanzler wurde die SPÖ erstmals nach 1945 stärkste Partei und errang drei absolute Mehrheiten. Kreisky war aber auch ein außergewöhnlicher Politiker von großem Gestaltungswillen und -kraft, der die Veränderung wollte und Österreich auch verändert hat. All das erscheint heute wie eine Sage aus mythischen Tagen.

Bruno Kreisky hatte eigentlich alle Umstände gegen sich. Er war ein intellektueller Sohn aus jüdischem großbürgerlichem Haus. Die Sozialisten der Ersten Republik begegneten ihm daher mit Misstrauen. Der autoritäre Ständestaat sperrte ihn ein, und dem Nationalsozialismus entkam er knapp durch die Flucht nach Schweden. Auch nach seiner späten Rückkehr brachte er es in einer SPÖ, die für Emigranten – und Juden – nicht viel übrighatte, lange nicht weit.

Kreisky wurde 1967 eher aus personeller Verlegenheit der SPÖ deren Parteivorsitzender. Aber dann war er ein glänzender Oppositionsführer während der ÖVP-Alleinregierung 1966-1970. Er bewies seine Fähigkeit, die Notwendigkeiten der neuen Zeit zu erkennen, daraus ein Konzept zu entwerfen und es mit kommunikativem Geschick populär zu machen.

Man zeige uns den österreichischen Politiker, der das heute kann.

Kreiskys Thema war die Modernisierung – vordergründig der Infrastruktur (Telefone für jeden!), vor allem aber der gesellschaftlichen Strukturen. Die jungen Österreicher hatten den katholischen Muff der Nachkriegsjahre satt, die Frauen eine paternalistische Gesetzgebung, die Älteren hörten auf Kreiskys Anbot des Ausbaus des Sozialstaates.

Kreisky öffnete die Partei, lud in einer unnachahmlichen Formulierung Andersdenkende ein, "ein Stück Weges mitzugehen", versöhnte sich mit der Kirche unter dem progressiven Kardinal Franz König, traf sich unbefangen mit Großindustriellen und Adeligen, konnte mit Künstlern und Intellektuellen auf Augenhöhe diskutieren. Er war witzig, gekonnt grantig, mühelos im Umgang mit dem "Volk".

Den letzten, entscheidenden Erfolg aber brachte eine strategische Entscheidung: Der Jude und Emigrant Kreisky, der viele Verwandte im Holocaust verloren hatte, machte den hunderttausenden Österreichern, die NS-Mitglieder gewesen waren oder fanden, dass die Zeit "auch ihre guten Seiten" gehabt habe, ein Angebot zur "Versöhnung".

Auf der praktisch-zynischen Ebene ermöglichte ihm das, mit dem FPÖ-Chef Friedrich Peter 1970 ein Abkommen zu schließen, wonach die FPÖ eine SPÖ-Minderheitsregierung duldete. Auf der Ebene der Volkspsyche war es der Baustein für drei darauffolgende absolute Mehrheiten in einem noch immer antisemitischen Land.

Gewiss: Die Modernisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft war ebenso sehr, wahrscheinlich mehr an Kreiskys Erfolg beteiligt. Aber gerade, weil er wusste, wie viel er der "Versöhnung" mit den "Es war nicht alles schlecht"-Österreichern verdankte, verfiel er in rasende Wut, als Simon Wiesenthal aufdeckte: Kreiskys Partner Friedrich Peter war Mitglied einer SS-Judenmordbrigade gewesen.

Das war der Preis, der für so glänzende Erfolge zu zahlen war. Doch das verschwand hinter den objektiven Modernisierungserfolgen (und wurde erst später, zur Waldheim-Zeit, wieder relevant).

Kreiskys späte Regierungsjahre waren von Krankheit und von den strukturellen Folgen zu großen Staatseinflusses in der Wirtschaft (Verstaatlichte Industrie) gekennzeichnet. Aber es besteht kein Zweifel, dass er einer der bedeutendsten Veränderer Österreichs war. (Hans Rauscher, 31.7.2015)