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Die Preise für Nahrungsmittel liegen in Russland derzeit knapp um ein Fünftel höher als im Juli 2014. Statt Wurst aufs Brot gibt es bei vielen Russen, dem Sommer sei Dank, selbst geerntete Eierschwammerln.

Foto: Reuters / Alexander Demianchuko

Hinter dem Örtchen Belkowo, 120 Kilometer nordöstlich von Moskau, säumen Autos links und rechts die Straße. Die Gegend war bei Pilz- und Beerensammlern schon immer beliebt, doch so viel wie in diesem Sommer waren es seit Jahren nicht. Später werden viele von ihnen an den Ausfahrtsstraßen Moskaus stehen und den Pendlern Eierschwammerln und Heidelbeeren anbieten.

Auch Lilja Tibirzewa ist im Wald unterwegs. Die Rentnerin aus der Kleinstadt Alexandrow verdient sich mit dem Verkauf von Walderdbeeren an ihre Datschennachbarn ein kleines Zubrot zu ihrer schmalen Pension. Die reicht inzwischen für deutlich weniger als noch vor einem Jahr "Gas und Wohnnebenkosten sind teurer geworden", sagt die 73-Jährige im Gespräch mit dem STANDARD.

Teure Medikamente

Datschennachbarin Ljudmila ist Moskauerin und kommt mit ihrer Rente dank Hauptstadtzuschlag recht gut über die Runden. Doch auch sie klagt über die steigenden Nebenkosten in ihrer Wohnung, mehr noch aber über die Medikamentenpreise. Die Kosten für die teureren Präparate seien um 30 bis 50 Prozent gestiegen, bei den billigen sei es sogar ein Vielfaches. "Selbst eine Aspirintablette kostet inzwischen das Dreifache dessen, was sie vor einem Jahr gekostet hat", rechnet sie vor und konstatiert "Das Leben ist teurer geworden."

Größter Belastungsfaktor für die meisten Russen sind die steigenden Lebensmittelpreise. Laut Statistikbehörde liegen die Preise für Nahrungsmittel derzeit um 18,8 Prozent höher als im Juli 2014. Die Regierung hat sogar einen sozialen Warenkorb mit 24 unterschiedlichen Produkten erstellt.

Höchstpreise einfrieren

Die Mehrwertsteuer für diese Waren ist auf zehn Prozent gesenkt, um ärmere Bevölkerungsgruppen zu schützen. Zudem kann die Regierung hier die Höchstpreise zumindest zeitweise einfrieren.

Dennoch haben sich Brot, Milch, Zucker und zuletzt auch Reis deutlich verteuert. Nicht zu reden von Fleisch und Käse. Schuld daran sind zwei Faktoren: der drastische Rubelverfall und das vor einem Jahr als Reaktion auf die Sanktionen verhängte Importverbot für westliche Lebensmittel.

"In den vergangenen Monaten sind unsere Bürger gleichgültiger gegenüber Neuigkeiten über den Wechselkurs geworden, dafür aber aufmerksamer gegenüber den Preisen in den Geschäften, die leider mit einer Verspätung von einigen Monaten die Kursdynamik des Rubels nachvollziehen, kommentierte Konstantin Ordow, Dozent am Plechanow-Institut vor kurzem das Verhältnis zwischen Rubelschwäche und Preisspirale. Auf die gerade wieder einsetzende neue Talfahrt des Rubels – fast zehn Prozent in einer Woche – reagierte die Zentralbank nun immerhin mit der Aussetzung der Devisenkäufe.

Das Embargo befeuert zusätzlich die Inflation: Zwar wurden die Westprodukte in den Supermärkten schnell durch eigene ersetzt oder einfach umetikettiert, weshalb die Russen seit Mona- ten über "weißrussische" Lachsfische, Muscheln und Bananen lästern. Doch die neuen Auslagen haben ihren Preis, und der ist vor allem für die unteren Einkommensschichten zu hoch, wurden ihre Rubelbezüge doch nicht erhöht.

Urlaub im eigenen Land

Und so wird gespart, wo es geht: Der Auslandsurlaub wird gestrichen, "auch die Krim ist schön", sagen viele Russen trotzig. Handy oder ein neues Auto können ebenfalls warten. Fielen die Autoverkäufe schon im Vorjahr um 10,3 Prozent auf 2,5 Millionen Fahrzeuge, so befürchten Russlands Autohändler heuer gar einen Absatzrückgang um eine weitere Million Pkw.

Zahlreiche Autofabriken in Russland haben ihre Mitarbeiter daher in einen verlängerten Sommerurlaub geschickt. Da bleibt dann mehr Zeit für das Schwammerlsuchen im Wald. (André Ballin, 1.8.2015)