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Die Puppen mit dem respektlosen, hochpolitischen Witz waren vielen ein Dorn im Auge. Nun verschwinden sie aus der TV-Primetime.

Foto: picturedesk.com / AFP / François Guillot

Sie hatten den Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde gar nicht nötig. Seit 1988 ergötzten die Guignols de l'info die Fernsehnation mit ihren Sketches. Sie hielten sich länger als jede Marionettenshow, länger auch als die Pioniere von Spitting Image, die 1996 in London nach zwölf Jahren aufgegeben hatten.

Jetzt nähert sich ihre Ära dem Ende. Die Guignols wird es zwar weiter geben, aber nur noch für die Abonnenten des Pay-TV-Senders Canal+. Das hat der Medienkonzern Vivendi als ihr Eigner vor wenigen Tagen beschlossen. Die vier Macher der Sendung werden, unbestätigten Meldungen zufolge, allesamt entlassen.

Antithese zu den uniformen Pariser Medien

Die Guignols sind in Frankreich eine Institution. Die Hofnarren der Republik bieten die Antithese zu den uniformen Pariser Medien und ein Ventil für politische Non-dits. Jugendliche schalteten oft nur ihretwegen den Fernseher ein – jeweils kurz vor 20 Uhr, wenn die Guignols parallel zu den Tagesschauen der anderen Kanäle in Aktion traten. Dann begrüßte sie der Hauptkasper PPD, der einem Sprecher des Senders TF1 nachempfunden ist, mit dem legendären Spruch: "Bonsoir, Sie schauen zu viel fern!"

Das Satirefeuerwerk dauerte sieben Minuten. Über die Jahre änderten sich nur die Namen der Latexpuppen. Deren Ahnengalerie füllt mittlerweile ganze Regale: In den letzten Monaten dominierten etwa der megalomane Fußballer Zlatan Ibrahimovic, das Dominaopfer François Hollande oder Ex-Währungsfonds-Chef Dominique Strauss-Kahn, der seine Libido nicht unter seinen Leopardenfell-Morgenrock kriegt. Subtilität ist nicht das Ding der Guignols: Die französische Satire bringt es, wie auchCharlie Hebdo, so heftig und deftig wie möglich.

Krass und politisch

Auf jeden Fall luchsten die Kasperln den Informationssendungen kräftig Einschaltquoten ab. In den 1990er-Jahren verfolgte das vorwiegend jugendliche Publikum nicht den realen Präsidenten Jacques Chirac auf TF1 oder France 2, sondern dessen Marionette im Superman-Outfit, die sich jeweils als "supermenteur" (Oberlügner) vorstellte.

Diese Alternativ-Tagesschau brachte den täglichen Nachrichtenfluss viel krasser, aber oft auch genauer auf den Punkt als die zahmen Tagesschauen, die, je länger, desto unpolitischer werden. 74 Prozent der Franzosen erklärten einmal in einer Umfrage, die Guignols spiegelten durchaus die französische Politrealität wider.

Sturm der Entrüstung

Als im Juni erstmals durchsickerte, der Canal+-Eigner Vivendi wolle das Guignol-Abenteuer einstellen, ging ein Sturm der Entrüstung durch das Land und das Netz. Der neue Verwaltungsratspräsident Vincent Bolloré musste den Rückwärtsgang einlegen. Jetzt versucht er es offensichtlich mit einer Strategie des langsamen Erstickens.

Mitte Juli, mitten in den Sommerferien, ordnete der 63-jährige Hauptaktionär an, dass die Guignols aus dem für alle sichtbaren Teil des Bezahlsenders entfernt werden. Damit solle der Abonnementsteil "aufgewertet" werden, ließ der von Bolloré eingesetzte C+-Leiter Maxime Saada verlauten. Das nimmt ihm aber niemand ab: In Wirklichkeit werden nicht nur die Macher entlassen, sondern die Guignols insgesamt "enthauptet", wie die Zeitung Le Parisien ohne Umschweife meint.

Viele Feinde

Wie alle Medien nimmt sie politische Gründe als Motiv an. Tatsache ist, dass die Guignols viele Feinde haben, die sich über den respektlosen Ton oder über "ihre" eigene Puppe ärgern. So etwa Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, dessen Puppe geradezu nach Macht giert. Der Präsidentschaftskandidat für 2017 ist übrigens ein enger Freund Bollorés.

Bolloré hätte die Satiresendung auch an andere TV-Stationen verkaufen können; die öffentlich-rechtliche France Télévisions erklärte im Juni offen, sie würde den Guignols gerne "Asyl gewähren".

Pay-TV

Bolloré ging auf das Angebot von France Télévisions nicht ein und beschränkt die kratzbürstige Sendung lieber auf sein eigenes Pay-TV-Publikum. Das nährt zusätzlich Spekulationen, der Milliardär wolle die Sendung nicht loswerden, sondern abwürgen. "Bolloré liefert den Beweis, dass die Medien in der Hand der Mächtigen sind und kritische Informationen unterbinden", lautete einer von zahlreichen Twitter-Kommentaren: "Zum freien Ausdruck bleiben nur die sozialen Medien."

Letzteres hat einiges für sich: Die Krise ähnlich gelagerter Magazine und Sendungen zeigt auf, dass sich die Ventilfunktion politischer Satire heute langsam Richtung Internet verlagert. Die Guignols hatten ihre besten Tage bereits vor Bollorés Eingriff hinter sich. Ihre Fans werden nun noch mehr ins Web abwandern. Das hatte die angepasste Begrüßungsformel der Guignols schon längst vorweggenommen: "Bonsoir, Sie schauen gerade den Vorgänger von Internet." (Stefan Brändle aus Paris, 1.8.2015)