Wien/Washington – Vor drei Jahren wurde erstmals eine gentechnisches Methode vorgestellt, die die Manipulation am Erbgut von Lebewesen revolutionierte. Das sogenannte CRISPR/Cas9-Verfahren birgt allerdings auch Gefahren: Es könnte auch eingesetzt werden, um die gesamte weltweite Population einer bestimmten Art genetisch zu verändern. Eine internationale Wissenschaftergruppe fordert nun im Fachjournal "Science" entsprechende Sicherheitsvorkehrungen.

Eine Möglichkeit zur Erbgutveränderung, die ganze Populationen von Organismen betreffen könnte, wurde vor kurzem mit der "mutagenic chain reaction" via CRISPR/Cas9-Verfahren vorgestellt. Die internationale Gruppe von Genforschern unter Beteiligung der Wiener Forscher Jürgen Knoblich und Peter Duchek fordert nun, dass solche Experimente weltweit kontrolliert und nur unter sehr stringenten Sicherheitsvorkehrungen zugelassen werden.

Das CRISPR/Cas9-Verfahren wurde 2012 in "Science" publiziert. Maßgeblich an der Entwicklung beteiligt waren die US-Wissenschafterin Jennifer Doudna und die Französin Emmanuelle Charpentier. Letztere hat auch an den Wiener Max F. Perutz Laboratories (MFPL) gearbeitet. Die Wissenschafter nutzten einen damals neu entdeckten RNA-Komplex (CRISPR), um eine "DNA-Schere" (ein sogenanntes Restriktionsenzym) gezielt an Stellen von Erbgut zu steuern, wo sie dann schneiden sollten. Das ist die Voraussetzung für alle Arbeiten, um Erbgut künstlich zu verändern bzw. neue Erbinformationen einzuschleusen. Die Methode ist wesentlich effizienter als die bisher bekannten Verfahren.

Verfahren mit Gefahrenpotenzial

Doch bald nach dem Einsatz der Methode – sie nutzt übrigens Abwehrmechanismen von Bakterien gegen Viren – wurden bei bestimmten Anwendungen des Verfahrens Bedenken laut. Theoretisch könnte man damit zum Beispiel das Genom von bestimmten Insekten so verändern, dass sich diese Veränderungen an alle Nachkommen weitervererben.

Wissenschafter um Ethan Bier von der University of California haben dazu ein Verfahren auf Basis von CRISPR/Cas9 entwickelt. Dieses als "Gene-Drive" bezeichnete Phänomen stellt die Gesetze der klassischen Vererbungslehre auf den Kopf. Kommen auf diese Weise veränderte Organismen frei, könnten sie ihr Erbgut unkontrolliert an die Wild-Typ-Insekten der gleichen Art weitergeben und damit die gesamte Wild-Population einer Art verändern.

Einen solchen "Gene Drive" haben Wissenschafter bereits vor vielen Jahrzehnten in der Natur beobachten können. Jürgen Knoblich vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien, der gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Duchek an dem neuen Vorschlag für Sicherheitsvorkehrungen mitgearbeitet hat: "Das 'Gene Drive'-Phänomen wurde bei der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster; Anm.) beobachtet. Das war in den 1950er-Jahren. Seit den 1920er-Jahren hatte man die Fliegen in Labors gezüchtet, um mit ihnen genetische Studien durchzuführen. In den 1950er- und 1960er-Jahren bemerkte man, dass man die Labor-Drosophilas nicht mehr mit jenen aus der freien Natur (Wildtype; Anm.) kreuzen konnte."

Wuchernde Erbsubstanz

Die Ursache: Von Milben hatten sich "hüpfende Gene" (P-Elemente, Transposons; "selfish genes" – solche Gene zielen ausschließlich auf ihre eigene Vermehrung ab; Anm.) in den in der Natur vorkommenden Fruchtfliegen verbreitet. Und dies mit einer Rasanz und Durchsetzungsfähigkeit, die man bis dahin so nicht beobachtet hatte. Die Untersuchungen zeigten, dass sich diese P-Elemente so in das Erbgut eingefügt hatten, dass sie an alle Nachkommen weitergegeben wurden. Knoblich: "Normalerweise wird Erbgut, das nicht direkt zu einem Überlebensvorteil führt, aufgrund der Mendelschen Gesetze wieder aus der Keimbahn entfernt." Beim "Gene Drive" überwuchert hingegen die neue Erbsubstanz binnen weniger Generationen die alte, auch wenn sie zu einem Nachteil führt.

Der Wiener Wissenschafter: "Es geht nicht darum, eine Methode zu verbieten. Wir begrüßen es aber, dass hier Wissenschafter ihre Verantwortung erkannt haben lange bevor der Gesetzgeber entsprechend handeln kann. Gene-drive-Experimente komplett zu verbieten wäre unserer Meinung nach auch falsch. Gene drives könnten zum Beispiel dazu verwendet werden, Anopheles-Mücken so zu verändern dass sie keine Malaria übertragen können. Damit könnte diese Krankheit vielleicht komplett ausgerottet werden."

Schutzbarrieren gegen Unfälle

Die Vorstellungen der Experten sehen mehrfache Sicherheitsbarrieren vor, um "Unfälle" bei bestimmten Anwendungen der neuen Methode zu verhindern. So sollten alle Arbeiten mit Verfahren, die zu einem Gene Drive führen könnten, in Hochsicherheitslabors durchgeführt werden, die von dafür zuständigen Behörden überwacht werden.

Die Fachleute schlagen auch vor, dass man solche Experimente mit Organismen jeweils nur in Regionen durchführen sollte, in denen (auch) die genetisch veränderten Organismen bei Freikommen aus dem Labor keine Überlebenschance haben. Der Wiener Wissenschafter Jürgen Knoblich (IMBA): "Mit Anopheles-Mücken, die Malaria übertragen, könnte man beispielsweise in Skandinavien arbeiten." Klar: Entkommt eine im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments veränderte und potenziell gefährliche Anopheles-Stechmücke in einer Weltregion, wo die Insekten "zu Hause" sind, wäre buchstäblich Feuer am Dach.

Ein weiterer Punkt wäre, dass solche Arbeiten an Organismen immer nur von einem Wissenschafter durchgeführt werden, um Fehler beim Handling durch viele Personen zu verhindern. Schließlich könnte man die CRISPR/Cas9-Methode in einer Art anwenden, welche in sich schon die Gefahr eines Gene Drive minimiert: Durch Einfügen der "Gen-Schere" und des Steuerungselements an verschiedenen Orten des Erbguts des Zielorganismus. Am Dienstag fanden zu diesem Thema in den USA bereits Beratungen der Regulierungsbehörden statt. (APA/red, 31.7.2015)