Bild nicht mehr verfügbar.

Kein individuelles Problem: Auch Männer leiden unter Doppelt- und Dreifachbelastung.

Foto: Corbis

In der aktuellen "Falter"-Ausgabe findet sich ein interessantes Interview: Zwei "Wutväter", Marc Brost und Heinrich Wefing, haben ein Buch über die Unvereinbarkeit von Familie, Liebe und Karriere geschrieben, mit dem Titel: "Geht alles gar nicht".

Das Thema ist eigentlich zum Gähnen, so alt und altbekannt ist es. Hätte es eine Frau geschrieben, kein Mensch würde sich mehr dafür interessieren. So aber: Zwei Männer, noch dazu zwei Redakteure der "Zeit", machen sich Gedanken, wie es gelingen kann, moderne Arbeitswelt, anstrengenden Nachwuchs und fordernde Partnerschaft auf die Reihe zu bekommen.

Die beiden Journalisten, geboren 1965 und 1971, bezeichnen sich als Mitglieder der "überforderten Generation", weil sie die Ersten seien, die als Folge der Digitalisierung den "Terror der ständigen Erreichbarkeit" erfahren, die Ersten, die versuchten, "wirklich Gleichberechtigung zu leben" und auch noch in ihren Berufen zu reüssieren, und die in der Folge weniger schlafen, schneller essen und durch die Stadt hetzen statt zu gehen. Dazu fällt einer nur ein: Willkommen in einem durchschnittlichen Frauenleben!

Immer dieselbe Erkenntnis

Die Erkenntnis der Autoren bezüglich der Frage, ob das überhaupt noch geht, kurz zusammengefasst: gar nicht, wenn sich nicht endlich das System unserer Arbeitswelt ändert. "Aber geh, wirklich? Na so was!", liegt es frau da auf der Zunge, und der "Falter"-Interviewer fragte hier auch beherzt nach. Darüber reden Frauenpolitikerinnen doch seit Jahrzehnten, Journalistinnen schreiben sich darüber die Finger wund, und in vielen, vielen Netzwerkveranstaltungen, Seminaren, Worldcafés, Selbsthilfegruppen etc. ist das der immer wiederkehrende Schluss: Die Arbeitswelt muss sich ändern.

Der innere Zwang, sich mitzuteilen, wenn etwas scheinbar Besonderes passiert oder geleistet wird und man dabei Erleuchtung erfährt, wird gerne Frauen unterstellt – offenbar ist er aber ein männliches Phänomen. Man denke nur an diverse Karenzväter-Kolumnen, -Bücher, -Kabarettprogramme und -TV-Schmonzetten. Und jetzt eben: Männer in der Doppelt- und Dreifachbelastungsmühle.

Gemeinsames Problem

Dennoch, abseits des Schmunzelns (und ein wenig Spottens) ist es gut, dass Männer Bücher wie dieses schreiben. Weil es zeigt, dass die Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Arbeit und Freizeit kein Minderheiten- oder "Frauenthema" ist.

Weil Männer, die ihre vielfältigen Rollen im Leben ernst nehmen, dieselben Probleme mit den fast unbewältigbaren Herausforderungen der modernen Arbeitswelt, dem wachsenden ökonomischen Druck und der vielzitierten "Work-Life-Balance" haben. Und dass ihnen, wenn sie sich darüber beklagen, dasselbe widerfährt, das auch Frauen immer wieder erleben: dass ihr Problem individualisiert wird, dass ihnen Narzissmus unterstellt wird, weil sie nicht "einfach weniger tun", dass sie ständig das Gefühl haben, sie seien die Einzigen, die nicht alles unter einen Hut bekommen.

Dazu kommt – auch das darf nicht vergessen werden –, dass auch Menschen ohne Kinder den Druck der Arbeitswelt als immer belastender empfinden. Auch ohne quengelnden Nachwuchs stimmt die Work-Life-Balance bei vielen nicht mehr. Wer sich zur Wehr setzt, wird geschnitten, bei Beförderungen übergangen oder gar an die Luft gesetzt.

Gegendruck nötig

Zu hoffen ist, was auch die Autoren selbst artikulieren: dass, wenn eh (fast) alle darüber einig sind, dass es so nicht weitergehen kann, der Gegendruck auf Unternehmen – und auch auf die Politik – so groß wird, dass endlich erkannt wird, dass dies eines der größten Themen der Zukunft ist.

Niemand soll mehr damit durchkommen, bloß zu behaupten, "die Wirtschaft" bleibe nicht wettbewerbsfähig, wenn der Druck auf Mütter, Väter und überhaupt alle Angestellten gelockert wird. Niemand soll mehr ganz selbstverständlich wichtige Sitzungen grundsätzlich in den Abendstunden oder in Wochenendseminaren parken, weil Familienleben und Freizeit eh überschätzt werden. Und niemand soll mehr prinzipiell als WICHTIG!!! eingestufte E-Mails schicken (mit der Forderung auf umgehende Beantwortung), wenn er oder sie genau weiß, dass der betreffende Empfänger eigentlich frei hat.

Wenn es gelungen ist, all das abzustellen und noch ein bisschen mehr (sinnvolle Teilzeitmodelle, Betriebskindergärten, verkürzte Sommer-Schulferien etc.), dann soll ruhig wieder ein Männerbuch über Selbsterfahrung erscheinen. Titelvorschlag: "Wie wir Superväter das System verändert haben." Geschenkt. (Petra Stuiber, 30.7.2015)