Dieser Fäustling wurde aus einem Garn (siehe unteres Bild) gestrickt, das aus Gelatine hergestellt wurde. Nur seine Wasserbeständigkeit ist noch ausbaufähig.

Foto: Philipp Stössel / ETH Zürich

Der Gelatine-"Wolle" ist ihre Herkunft nicht anzusehen.

Foto: Philipp Stössel / ETH Zürich

Zürich – Hier ist nicht vom legendären Fleischkleid Lady Gagas die Rede – stattdessen greifen Schweizer Forscher ein Verfahren auf, das in Ansätzen schon vor der Kunstfaserherstellung existiert hatte: nämlich Textilien aus tierischen Proteinen herzustellen. Schon 1894 wurde ein Patent für Textilien aus Gelatine eingereicht, wie die ETH Zürich berichtet.

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg verdrängten die aufkommenden Kunstfasern die biologischen Proteinfasern rasch und gründlich vom Markt. Fast zwei Drittel der weltweit gehandelten 70 Millionen Tonnen Fasern entfallen heute auf Kunstfasern auf Erdölbasis.

Im Zuge der Suche nach umweltfreundlicheren und nachhaltigen Alternativen hat der ETH-Materialforscher Philipp Stössel nun in Zusammenarbeit mit dem Advanced Fibers Laboratory der Empa St. Gallen in der Fachzeitschrift "Biomacromolecules" ein neues Verfahren vorgestellt, mit dem aus Gelatine hochwertige Fasern gewonnen werden sollen. Die Fasern konnten bereits zu einem Garn versponnen werden, aus dem sich tatsächlich Textilien herstellen ließen.

Von Schlachterresten zum Handschuh

Gelatine besteht im Wesentlichen aus Kollagen, das ein Hauptbestandteil von Haut, Knochen oder Sehnen ist und in Schlachthäusern in großen Mengen als Abfall anfällt. Daraus lässt sich einfach Gelatine herstellen. Beim Experimentieren mit diesem Rohmaterial bemerkte Stössel, dass sich das Protein bei der Zugabe des organischen Lösungsmittels Isopropanol zu einer erhitzten, wässrigen Gelatinelösung am Boden des Gefäßes absetzte.

Die formlose Masse sog der Forscher mit einer Pipette auf und konnte ohne Kraftaufwand einen dehnbaren, endlosen Faden aus ihr herausdrücken. Im Lauf seiner Dissertation entwickelte und verfeinerte Stößel das Verfahren: Anstelle der Pipette benutzte er mehrere parallel angeordnete Spritzenpumpen. Durch gleichmäßigen Druck trieben die Spritzen feine Endlos-Fäden aus, die über zwei teflonbeschichtete Rollen geführt wurden.

Die Rollen wurden konstant in einem Ethanolbad benetzt, dadurch konnten die Filamente nicht verkleben und härteten rasch aus, ehe sie auf einem Förderband aufgerollt wurden. Mit der von ihm entwickelten Spinnanlage konnte der 28-jährige 200 Meter Fasern pro Minute herstellen. Rund 1.000 Einzelfasern verzwirnte er danach mittels einer Handspindel zu einem Garn. Als Anschauungsobjekt ließ der Forscher daraus einen Fäustling stricken.

Schöner Glanz

Die einzelnen Filamente sind laut ETH äußerst fein und haben einen Durchmesser von nur 25 Mikrometer, halb so dick wie ein menschliches Haar. Die Oberfläche der Fasern ist glatt, während natürliche Wollfasern kleine Schüppchen aufweisen. "Die Gelatinefasern haben deshalb einen schönen Glanz", sagt Stössel.

Außerdem ist das Innere der Fasern durchzogen von Hohlräumen, wie Elektronenmikroskop-Bilder der Forschenden zeigten. Daher rührt womöglich auch der gute Isolationseffekt des Gelatinegarns, den Stössel beim Vergleich mit einem Fäustling aus Merinowolle messen konnte.

Ein Problem: Feuchtigkeit

Grundsätzlicher Nachteil der Gelatine aber ist ihre Wasserlöslichkeit. Durch verschiedene chemische Verarbeitungsstufen musste Stössel die Wasserfestigkeit des Garns daher stark verbessern. So behandelte er den Fäustling zuerst mit einem Epoxid, um die Gelatine-Bestandteile stärker miteinander zu verknüpfen. Weiter behandelte der Forscher das Material mit Formaldehyd, um es noch besser auszuhärten. Um das Garn geschmeidig zu machen, imprägnierte er es zuletzt mit Lanolin, einem natürlichen Wollfett.

In den kommenden Monaten sollen die Gelatinefasern noch wasserfester gemacht werden können, da sie in diesem Punkt Schafwolle immer noch unterlegen sind. Stössel ist aber davon überzeugt, dass er dem Ziel, eine Biopolymer-Faser aus einem Abfallprodukt herzustellen, sehr nahe ist. Zum Patent ist das Verfahren bereits angemeldet worden. (red, 29. 7. 2015)