Aerobic mit den Weltreligionen führte das georgische Künstlerkollektiv Bouillon Group 2013 in Venedig am Markusplatz, an der Rialtobrücke und im Arsenale (Bild) vor.

Foto: Bouillon Group

In Kay Walkowiaks Video "Ritual Union" (2010) vollziehen Sportler nicht nachvollziehbare Rituale ...

Foto: Kay Walkowiak

...mit konstruktivistischen Symbolen in futuristischer Architektur.

Foto: Kay Walkowiak

Ausstellungsansicht in der Galerie 5020 mit einer Styroporskulptur (o.T., 2015) von Herbert De Colle, die die Kommerzialisierung von Symbolen der amerikanischen Hippiebewegung in den Fokus nimmt.

Foto: Galerie 5020

Salzburg – "Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht. Sehr gut. Und jetzt noch mal alle Teile zusammen ..." Der Aerobic-Instruktor kniet sich hin, steht auf, kniet sich wieder hin, beugt den Kopf zur Erde, verschränkt die Beine, klatscht auf die Schenkel, steht neuerlich auf. Und so weiter.

Es ist Sommer 2013, wir sind in Venedig, auf der Kunstbiennale. Nach Stunden exzessiven Betrachtens käme so eine Gymnastikeinheit gerade recht. Müde Knochen bewegen und so auch den Geist rebooten. Damit käme man der Intention der kleinen Trainingsgruppe schon recht nahe: Denn freilich handelt es sich beim Turnen auf der grünen Wiese im Arsenale vielmehr um eine Performance des georgischen Kollektivs Bouillon Group.

Kay Walkowiak: "The Ritual" (2015)
Foto: Kay Walkowiak

Worauf sie abzielen, sind automatisierte Bewegungen, deren Bedeutung längst vergessen wurde. Nicht irgendwelche, sondern ritualisierte Bewegungen des Betens in den verschiedensten Religionen: Die Botschaften, die sich in den Handlungen vermitteln sollen, sind verlorengegangen. Spiritualität wird mechanisch.

In Religious Aerobics, das Rituale aus Judentum, Christentum und Islam verschmilzt und das nun als Videodokumentation in der Ausstellung Auratic and Other Phenomena zu sehen ist, wird diese Automatisierung in Form einer Übungsreihe auf die Spitze getrieben. Dem wohnt eine Schmunzeln machende Komik inne, trotzdem bleibt es nicht beim ephemeren Mundwinkelkräuseln: Denn es sind nicht nur die Rituale, sondern die Religionen als Gesamtheit, die den Kern ihrer Botschaften vergessen haben.

Kult um des Kults willen

In ihrer Unmittelbarkeit ist Religious Aerobics sicher die herausragende Arbeit der Schau Auratic and Other Phenomena in der Salzburger Galerie 5020. Thema von neun künstlerischen Positionen (und einem Vortrag zur Eröffnung) sind die Schnittmengen von Populärkultur mit Spiritualität, Esoterik, Religion und deren Symbolen. Die Beliebigkeit, vielleicht auch Inhaltsleere eines Kults um des Kults willen vermittelt auch ein Video von Kay Walkowiak: Für The Ritual hat er in aller Herrgottsfrüh ein Objekt, einen simplen Betonklotz, auf eine Sandbank, einer Pilgerstätte im indischen Varanasi, platziert. Wenig später legen die Boote der Pilger an, Blumenkränze werden abgelegt, der Quader mit leuchtenden Farbpigmenten geschmückt.

Die Sehnsucht, die eine solche Sinnsuche, ein Eintauchen in andere spirituelle, kulturelle Welten, alternative Lebensräume auslöst, illustriert die Dokumentation Icaros (2015) des mexikanischen Filmemachers Pedro González-Rubio: von einem der vor 30 Jahren auszog, um im Regenwald von Costa Rica das Glück zu finden und dort auch halluzinogene Ayahuasca-Rituale, die inzwischen die Vice-Magazin-Generation erreicht hat, für andere Sinnsuchende begleitet.

Trailer zu "Icaros" (2015) von Pedro González-Rubio
Pedro Gonzalez Rubio

Diese Mensch-Natur-Metapher führt auch der weitaus schrägere, experimentelle Dokfilm Symbiofaeritaxiplasm oder die Feen von Hadres (2015, Georg Vogt, Christian Karst, Bastian Petz) vor, allerdings garniert mit exzentrischen Kostümen: Vorgestellt wird die queere Subkultur der Radical Faeries (englisch für "Radikale Tunten", wörtlich "Radikale Feen"), die einen queeren Lebensstil und Vorstellungen neuer Gemeinschaftsformen mit einem spirituellen Interesse verknüpft. Beide Filme, der eine 56, der andere sogar 105 Minuten lang, eignen sich jedoch nicht für den Ausstellungskontext, schon gar nicht für eine Betrachtung auf kleinen Monitoren.

Trailer zu "Symbiofaeritaxiplasm oder die Feen von Hadres" (2015) von Georg Vogt, Christian Karst und Bastian Petz
Georg Vogt

Beinahe schwindlig wird einem bei Karin Ferraris origineller Analyse des Musikvideos Atlantis von US-Rapperin Azealia Banks, denn sie flicht die Symbolik jedes Zeichens in ein neues, irgendwie paranoides Narrativ ein. Das ist fast so schaurig wie die Dämonenbotschaften, die einem beim Rückwärtshören von Heavy-Metal-Scheiben ereilen, aber definitiv verbindlicher als die Ausstellung, die es bei einem losen Vorstellen tatsächlich interessanter Phänomene belässt. (Anne Katrin Feßler, 29.7.2015)